Spielwiesen im Universum
Sie beide beschäftigen sich mit den grossen Fragen des Universums. Fühlen Sie sich da nicht manchmal klein und unbedeutend?
Didier Queloz: Doch, das tu’ ich tatsächlich. Aber das ist kein Problem, sondern wohl eher eines der Privilegien, die man in der Grundlagenforschung hat. Wer wirklich das Unbekannte erforschen will, muss bescheiden sein, denn man weiss ja nie, was man finden wird. Bescheidenheit ist bei Forschenden eine wünschenswerte Eigenschaft. Wissenschaft ist wirklich faszinierend, wenn man entlang einer Zeitachse forscht, die sich über Milliarden von Jahren erstreckt. Auf die Zukunft bereitet man sich vor, indem man auf der Vergangenheit aufbaut. Das ist ein wichtiger Aspekt des neu gegründeten Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL).
Cara Magnabosco: Als Erdwissenschaftlerin und Evolutionsforscherin beschäftige ich mich mit der Erdgeschichte und dem zeitlichen Ablauf der menschlichen Evolution. Verglichen mit dem Alter unseres Planeten ist unsere Lebensspanne extrem kurz.
Wo genau liegt der Schwerpunkt Ihrer Forschung, Frau Magnabosco?
Magnabosco: Ich untersuche die Interaktionen zwischen lebenden und nicht lebenden Systemen. Zentrale Fragen für mich sind zum Beispiel, wie eine Welt ohne Leben aussieht und was passiert, wenn dort Leben, Stoffwechsel und Biodiversität hinzukommen.
Haben Sie überhaupt noch genug Zeit für Ihre eigene Forschung? Sie sitzen ja beide im Direktorium des COPL, dem 40 Forschungsgruppen angehören.
Magnabosco: Wir müssen uns Zeit nehmen, um den Austausch unter den Forschenden zu fördern, etwa mit Veranstaltungen. Dieser Aufwand zahlt sich aber aus. Denn es ist ein grosser Gewinn für die Forschung. Und das gesamte Team des Centre unterstützt uns dabei sehr.
Queloz: Ich hatte beschlossen, meine Forschungszeit zu halbieren, um mich der Entwicklung des COPL zu widmen. Die Gründung des COPL hat meine Forschung nun aber vervielfacht und meine eigene Rolle darin verändert. Es geht nicht mehr darum, dass ich und mein Team in meinem Labor arbeiten. Jetzt geht es darum, dass ich in einer viel grösseren Gruppe von Menschen arbeite, die ihre Kräfte bündeln, um eine der grössten Fragen des Universums anzugehen. Diese Arbeitsweise hat auch Auswirkungen auf die akademische Kultur, in der manchmal die Tendenz besteht, egoistisch die eigenen Interessen zu verfolgen.
Centre for Origin and Prevalence of Life
Das neue Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL) der ETH Zürich will die Grenzen der verschiedenen Disziplinen überwinden und das vorhandene Fachwissen aus Chemie, Biologie, Geologie und Astrophysik in einem multidisziplinären Forschungsprogramm mit gemeinsamer wissenschaftlicher Vision zusammenführen. Das COPL lanciert ein innovatives Fellowship-Programm, das die NOMIS Foundation ermöglicht hat. Das Programm soll jungen Forschenden die Möglichkeit geben, in einem interdisziplinären Umfeld dem Ursprung des Lebens auf den Grund zu gehen. In den nächsten sechs Jahren sollen neun Fellowships vergeben werden. Damit das COPL sein volles Potenzial entfalten kann, benötigt es kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch engagierte Einzelpersonen, Stiftungen und Unternehmen.
Was können Sie als Erdwissenschaftlerin und Astrophysiker voneinander lernen?
Magnabosco: Nachdem wir nun Tausende von Exoplaneten entdeckt und bei deren Beobachtung riesige Mengen an Wissen und Daten gesammelt haben, besteht der nächste Schritt darin, mehr über ihre Zusammensetzung, ihr Inneres, ihre Oberfläche und ihre Atmosphäre herauszufinden. Für mich als Geobiologin, die die Entwicklung des Lebens im Laufe der Erdgeschichte untersucht, sind das Tausende und Abertausende neuer Spielwiesen, Geschichten und Atmosphären, die Leben ermöglichen könnten.
Queloz: Wenn ich über Gesteinsplaneten sprechen will, wende ich mich an einen Planetenforscher. Über erdähnliche Planeten weiss niemand mehr als ein Geophysiker. Eine Chemikerin, die den Ursprung des Lebens erforscht und wissen will, wie die Oberfläche eines Planeten chemisch zusammengesetzt ist, fragt Cara. Es ist wie ein grosses Puzzle. Man darf die Frage nicht nur aus einer Richtung betrachten. Sonst könnte man am Ende von falschen Annahmen ausgehen. Das ist das Schöne am COPL: Es ist ein Schmelztiegel von verschiedensten Fachkenntnissen, Talenten und Altersgruppen.
Herr Queloz, Sie forschen seit über 30 Jahren. Frau Magnabosco, Sie sind erst 33 Jahre alt. Gibt es zwischen den Forschergenerationen Unterschiede?
Queloz: Die junge Generation ist viel klüger als die ältere. Weil es mehr zu lernen gibt, ist die Herausforderung grösser. Ich glaube, beide Generationen haben zur Forschung dieselbe Einstellung, aber die Jüngeren legen eine grandiose Energie und Kreativität an den Tag, und das ist entscheidend, um Fortschritte zu machen. Doch Forschende, die pure Energie und extreme Kreativität miteinander verbinden, können leicht in Fallen tappen und Fehler machen. Deshalb ist es so wertvoll, dass wir am COPL eine Mischung aus jungen Forschenden und erfahrenen Fachleuten haben. Ich freue mich sehr, dass auch Cara sich entschlossen hat, mitzumachen.
Frau Magnabosco, was fasziniert Sie an Ihrer Forschung am meisten?
Magnabosco: Das Leben, das man tief unter der Erde findet. Da gibt es Systeme, die keinen Input von der Oberfläche haben. Die Organismen haben keinen Zugang zu Kohlenstoff oder Sauerstoff aus der Photosynthese. Unter der Erde sehen wir, welche Reaktionen möglich sind, wenn es kein Leben gibt – also allein zwischen dem Wasser und dem Gestein. Ich untersuche, wie Lebewesen Energie nutzen können, wenn sie plötzlich verfügbar wird. Wie diese Organismen überleben können. Ihre Populationen scheinen viel langsamer zu wachsen und sich zu erneuern als Organismen an der Oberfläche. Die Dynamik dieser Gemeinschaften zu erforschen – das ist es, was ich auf meinem Gebiet am spannendsten finde.
Herr Queloz, Sie haben den ersten Exoplaneten entdeckt und dafür den Nobelpreis erhalten. Welche weiteren Meilensteine hat es in Ihrem Forschungsgebiet gegeben?
Queloz: Der zweite Meilenstein war, Menschen von unserer Entdeckung zu überzeugen. Im Ernst! Das war eine grosse Herausforderung. Wir haben etwa vier Jahre gebraucht, bis die Wissenschaftsgemeinde unsere Erkenntnisse geglaubt und deren Tragweite verstanden hat. Damit begann eine Reihe fantastischer Fortschritte, die zur Entwicklung einer Technologie führten, mit deren Hilfe wir viele andere Planeten entdeckt haben.
Gibt es komplexes Leben ausserhalb der Erde?
Queloz: In der Wissenschaft haben wir zwar keine Angst vor schwierigen und abwegigen Ideen, aber wir sind nicht so verrückt, uns auf eine Suche zu machen, für die wir gar keine Erfolgschance sehen. Wir gehen davon aus, dass es im Universum jede Menge Leben gibt. Die Frage ist nur, ob wir es jemals finden werden. Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht.
Magnabosco: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es da draussen irgendwo Leben gibt. Vor allem, wenn wir davon ausgehen, dass die Existenz von zellulärem Leben auf die Existenz von komplexem Leben hinweist. Eine Zelle – im weitesten Sinne definiert als etwas, das biologisches Material abtrennt und konzentriert – ist eine ziemlich raffinierte Sache. Ich bin optimistisch, dass wir eines Tages Beweise für die Existenz von komplexem Leben ausserhalb der Erde finden.
Queloz: Es gibt nichts Komplizierteres als eine Zelle, denn sie durchläuft viele Schleifen und Trial-and-Error-Prozesse, bevor sie sich zu einer vollwertigen Zelle entwickelt. Die Zelle ist gewissermassen die ultimative Vollendung des Lebens auf der Erde. Die Frage ist, ob alles Leben darauf hinausläuft, dass eine solche Zelle entsteht. Und welche Bedingungen sie braucht, um sich mit anderen Zellen zu verbinden. Diese Fragen werden wir hoffentlich eines Tages beantworten können.
In Ihrer Forschung geht es um den Ursprung des Lebens. Welchen Bezug haben Sie denn zum Tod?
Magnabosco: Ich habe in meiner Forschung einen recht engen Bezug zum Tod. Wir sehen uns das Leben in der Tiefe an und beobachten, wie es sich verlangsamt und stirbt. Im Grunde fasziniert mich der Tod.
Queloz: Der Mensch kann Pläne machen und überlegen, wie er in der Zukunft leben will. Das ist ein unglaubliches Privileg. Aber damit geht auch die Herausforderung einher, dass wir uns das eigene Ende vorstellen können. Deshalb fragen wir uns zum Beispiel, warum wir sterben müssen. Aber auf solche Fragen gibt es keine Antworten. Das dürfte der Grund für unseren Hang zur Spiritualität sein. Wir brauchen eine Art spirituelles Element, um die Welt in ihrer Ganzheit zu verstehen. Doch je besser eine Gesellschaft die Welt zu verstehen scheint, desto mehr Kontrolle gewinnt sie darüber und desto gefährlicher kann sie auch werden. Und zwar nicht nur für andere Arten – von denen wir im letzten Jahrhundert ja etliche vernichtet haben –, sondern auch für unsere eigene. Deshalb glaube ich, dass wir jetzt an einen Wendepunkt der menschlichen Geschichte gelangen, an dem wir uns Gedanken über die Zukunft der Menschheit machen sollten. Und die Suche nach dem Ursprung des Lebens und nach Leben auf anderen Planeten könnte eine Möglichkeit sein, Antworten auf das Unbekannte zu finden.