EPFL-Forschende setzen Technologie für Entwicklungsländer ein
Verschiedene Menschen bringen oft unterschiedliche Ideen und Fähigkeiten für dieselbe Herausforderung mit. Was wäre also, wenn wir diese unterschiedlichen Erkenntnisse nutzen könnten, um praktische Lösungen für reale Probleme zu entwickeln? Das ist die Grundidee von Tech4Dev, einer vor zwei Jahren gestarteten Initiative der EPFL, die Forschende und Studierende der Hochschule mit Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zusammenbringt. Das Programm vergibt Fördermittel an ausgewählte Projekte, die das Potenzial haben, eine positive soziale und ökologische Auswirkung für eine Gemeinde oder Region im globalen Süden zu erzielen, und zwar durch Technologien, die einen bestimmten Bedarf decken und den lokalen Bedingungen entsprechen.
Die ersten vier Tech4Dev-Förderempfangende wurden vor einem Jahr bekannt gegeben (siehe Artikel). Weitere vier Geförderte wurden in diesem Frühjahr bekannt gegeben, nachdem ein internationales Expertengremium die Vorschläge geprüft hatte. Jedes Projekt erhält eine Förderung von bis zu 300 000 CHF über zwei Jahre. Mindestens 40 % der Fördergelder müssen in dem jeweiligen Entwicklungsland ausgezahlt werden.
Eine durchgehende Kühlkette für die Lagerung von Impfstoffen
Solomzi Makohliso, Michael Hobbins, Wendy Queen, Sashidhar Jonnalagedda.©2021 EPFL/A.Herzog
Viele Impfstoffe, darunter auch einige für COVID-19, müssen bei extrem niedrigen Temperaturen aufbewahrt werden. Doch die Aufrechterhaltung einer ununterbrochenen Kühlkette kann sich aus logistischen und klimatischen Gründen als unglaublich schwierig erweisen – und erst recht, wenn der Impfstoff eine ultrakalte Kette erfordert. In manchen Teilen der Welt geht bis zu einem Viertel der Impfstoffe wegen einer fehlenden oder unzuverlässigen Stromversorgung verloren.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, haben sich Forschende des EssentialTech Centre und des Laboratory for Functional Inorganic Materials (LFIM) der EPFL unter der Leitung von Prof. Wendy Queen mit der Schweizer Non-Profit-Organisation SolidarMed zusammengetan, um die Coldbox zu entwickeln – einen stromlosen Kühlbehälter für den Transport und die Lagerung von Impfstoffen über mehrere Wochen. Das Forschendenteam wird das Fördergeld nutzen, um die richtigen Materialien auszuwählen, sie für die rauen Klimabedingungen zu optimieren und sie in eine robuste, hochisolierte und vibrationsfeste Coldbox einzubauen.
Im zweiten Jahr werden diese Prototypen im ländlichen Mosambik im Feldversuch getestet.
Ein Toolkit zur Transportkartierung
Anna Weyerhaeser, Jérôme Chenal, Rémi Jaligot, Vitor Pessoa. ©2021 EPFL/A.Herzog
Schätzungsweise über 1 Milliarde Menschen, die in ländlichen Gemeinden im globalen Süden leben, haben keinen Zugang zu zuverlässigen Transportmitteln. Dieser Mangel an sicheren, alltäglichen Mobilitätsoptionen vereitelt den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Wasser.
Die Idee hinter diesem Projekt, das von Forschenden der EPFL-Gemeinschaft für Stadt- und Regionalplanung (CEAT) und des Center for Excellence in Africa (EXAF) geleitet wird, ist die Entwicklung eines Open-Source- und partizipativen Mapping-Toolkits zur Unterstützung der Entscheidungsfindung im Transportwesen in marginalisierten Gebieten. Das Toolkit wird die Sammlung und den Austausch von Geodaten erleichtern und so lokalen Gemeinschaften ermöglichen, die Zugänglichkeit, Nutzung und Nachhaltigkeit von Fahrrad, Bus, Carsharing und anderen Transportmöglichkeiten zu bewerten. Die Global-South-Partner für dieses Projekt sind die NGOs World Bicycle Relief und Flying Labs Nepal.
Eine zuverlässige Lösung für das Screening auf Gebärmutterhalskrebs
Magali Cattin, Jean-Philppe Thiran, Solomzi Makohliso. ©2021 EPFL/A.Herzog
Gebärmutterhalskrebs ist nach wie vor ein grosses Problem für die öffentliche Gesundheit und fordert jedes Jahr das Leben von über 300 000 Frauen. Es wird prognostiziert, dass diese Zahl bis 2035 400 000 übersteigen wird. Darüber hinaus ereignen sich über 85 % dieser Todesfälle in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen die Verfügbarkeit von geschulten Gesundheitsdienstleistern und der Zugang zu Screening-Geräten begrenzt ist.
Die visuelle Inspektion des Gebärmutterhalses mit Essigsäure (VIA) ist eine einfache, gut etablierte Methode zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs, die auch für einkommensschwache Länder gut geeignet ist. Doch die Methode, die menschliche Beobachtungen einbezieht, ist im Allgemeinen subjektiv und die Genauigkeit ist begrenzt. Jetzt haben Forschende den Automated VIA Classifier (AVC) entwickelt – eine kostengünstige, Smartphone-basierte Lösung, die automatisch Anzeichen von Gebärmutterhalskrebs aus Videos des Gebärmutterhalses erkennt, die während der VIA aufgenommen wurden.
Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Signalverarbeitungslabor 5 (LTS5) der EPFL, der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Genfer Universitätskliniken (HUG) und zwei lokalen Organisationen in Kamerun: ASCRES (eine Organisation zur Unterstützung von Forschung, Lehre und Gesundheitswesen) und die Universität Dschang.
Notunterkünfte für von der Flutkatastrophe betroffene Gemeinden
Edison Estrella Arcos, Corentin Fivet, André Ullal, Dominika Bednarova. ©2021 EPFL/A.Herzog
Die Gemeinden im Südsudan sind mit schwereren und immer häufigeren saisonalen Überschwemmungen konfrontiert. Allein im Jahr 2020 waren über 1 Million Menschen im ganzen Land von Überschwemmungen betroffen, die bereits prekäre Häuser zerstörten und den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen einschränkten. Diese Episoden haben den dringenden Bedarf an widerstandsfähigeren Unterkünften deutlich gemacht.
Computational Design for Resilient Shelters, ein gemeinsames Projekt des Structural Exploration Lab der EPFL und der Nichtregierungsorganisation Medair, zielt darauf ab, diese Herausforderung zu bewältigen, indem Optionen für vielseitige, lokal relevante Unterkunftsdesigns unter Verwendung kostengünstigerer Materialien untersucht werden. Kombiniert mit Kenntnissen aus erster Hand über den sozialen Kontext vor Ort wird die Technologie der Forschenden auf lokale Baumethoden und Know-how zurückgreifen, um neue Entwicklungswege zu eröffnen und für mehr Klimaresilienz in von Überschwemmungen betroffenen Gemeinden zu sorgen.