Methan als Energiespeicher
Stellen wir uns das folgende fiktive Szenario vor: Wir schreiben das Jahr 2050. Im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung und auf Zurufe seiner weltweiten Fans wagt sich der mittlerweile 69-jährige Roger Federer noch einmal auf den Rasen, um in einem Freundschaftsspiel gegen seinen langjährigen Kontrahenten Rafael Nadal anzutreten. Ein Weltereignis, das live aus der St. Jakobshalle in Basel auf die heimischen und internationalen Bildschirme und zu den unzähligen Public Viewings in der ganzen Schweiz übertragen wird. Es ist ein schwüler Samstagnachmittag im Juli, die Getränke werden zuhauf gekühlt und die Klimaanlagen laufen auf Hochtouren. Der Himmel ist bewölkt und der Wind bleibt aus.
Wahrscheinlich bietet das Wetter nicht die idealen Voraussetzungen für den nicht mehr ganz so jungen Roger Federer, um Hochleistungssport zu betreiben. Auch den Zuschauern macht die drückende Atmosphäre zu schaffen. 2050 hängen in der Schweiz keine Kernkraftwerke mehr am Netz und neue erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie leisten einen wichtigen Beitrag zu unserer Stromversorgung. Doch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, bleiben die Bildschirme schwarz und das grösste TV-Ereignis des Jahres fällt aus.
Zugegeben, das Szenario wirkt etwas konstruiert – die zugrunde liegende Problematik ist jedoch brandaktuell. Neue erneuerbare Energien sinnvoll zu speichern, um sie auch ausserhalb von Spitzenzeiten ins Netz einspeisen zu können, ist eine Herausforderung, an der intensiv geforscht wird – so auch am PSI.
Die bestehende Infrastruktur nutzen
Seit fast zehn Jahren entwickelt das Labor für Bioenergie und Katalyse am PSI Prozesse, um Biomasse aus land- und forstwirtschaftlichen Abfällen sauber und effizient in gasförmige oder flüssige Brenn- oder Treibstoffe umzuwandeln. Power-to-Gas nennt sich dieses Konzept, bei dem überschüssiger Strom dazu verwendet wird, Wasserstoff zu produzieren und in einem zweiten Schritt in synthetisches Erdgas umzuwandeln.
Der erste Schritt geschieht über die sogenannte Wasserelektrolyse. Hierbei wird mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die elektrische Energie wird dadurch in einen chemischen Energieträger, in Wasserstoff, umgewandelt.
«Mithilfe von Brennstoffzellen lässt sich Wasserstoff wieder in Strom umwandeln», erklärt Tilman Schildhauer, wissenschaftlicher Leiter der Methanisierungsforschung am PSI. Diese Zellen sind sehr leistungsstark und sauber. Dadurch, dass sie keine Verbrennung erfordern, entstehen bloss Wärme und Wasser als Nebenprodukte. «Allerdings sind die Herstellungskosten sehr hoch. Zudem handelt es sich bei Wasserstoff um ein leichtes Gas, das ein enormes Speichervolumen beansprucht. Auch fehlt in der Schweiz oft noch die nötige Infrastruktur, um Wasserstoff sinnvoll zu nutzen.»
Anders verhält es sich mit Methan. Das farb- und geruchlose Gas beansprucht bei gleichem Energiegehalt nur ein Drittel des Volumens von Wasserstoff und lässt sich bereits heute über dieselbe Infrastruktur wie Erdgas speichern und verteilen. Tilman Schildhauer und sein Team nutzen deshalb den gewonnenen Wasserstoff, um ihn in einem zweiten Schritt zu Methan zu synthetisieren.
Von Wasserstoff und Kohlenstoff zu Methan
Bereits 1902 entdeckten die französischen Chemiker Paul Sabatier und Jean-Baptiste Senderens die Reaktion von Kohlendioxid und Wasserstoff zu Methan und Wasser. Seither entstanden viele unterschiedliche Verfahren, um diese Reaktion so effizient wie möglich zu gestalten. Die Forschenden am PSI haben für ihren Methanisierungsprozess einen Wirbelschichtreaktor entwickelt, welcher feinkörnige Nickelpartikel als Katalysatoren enthält. Mit dem Einströmen des Kohlendioxids und des Wasserstoffs werden die Partikel aufgewirbelt und durch die aufwärtsgerichtete Strömung in einen sogenannten fluidisierten Zustand versetzt – die Reaktion läuft dadurch über die Länge des Reaktors kontinuierlich ab.
Nebst Methan und Wasser entstehen durch diese Reaktion auch hohe Temperaturen. Um den Prozess aufrechtzuerhalten und hohe Umsätze zu erzielen, muss das Gemisch auf die optimale Reaktionstemperatur heruntergekühlt werden. Hierfür haben Tilman Schildhauer und sein Team einen besonderen Kniff angewandt: «Über ein Rohrsystem lassen wir Öl durch unseren Reaktor fliessen, welches die Wärme im Inneren des Reaktors aufnimmt und draussen wieder abgibt – ähnlich wie bei einem Kühlschrank», erklärt Tilman Schildhauer. Diese Konstruktion und die Fluidisierung der Partikel erlauben eine besonders effiziente Kühlung und resultieren in einem isothermen, also temperaturstabilen, kompakten und kostengünstigen Reaktor.
Dieser Reaktor lässt sich nun beispielsweise in Biogasanlagen einsetzen. Biogas entsteht durch Vergärung von Biomasse wie Gülle, Pflanzen oder Klärschlamm und besteht zu etwa zwei Drittel aus Methan und zu einem Drittel aus Kohlendioxid. Damit nun dieses Gasgemisch wirksam im Gasnetz genutzt werden kann, muss es einen gewissen Reinheitsgrad aufweisen – mindestens 96 Prozent Methangehalt lautet die Devise. « Das Gasgemisch kommt zusammen mit dem gewonnenen Wasserstoff in unseren Wirbelschichtreaktor und das Kohlendioxid reagiert zu zusätzlichem Methan», so Tilman Schildhauer.
Der Schritt vom Labor in die Industrie
Die Technologie funktioniert und ein erster Pilotreaktor wurde am PSI gebaut und getestet. Jetzt gilt es, den Methanisierungsprozess in der Industrie umzusetzen. Dafür hat sich das PSI mit dem Start-up AlphaSYNT zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie den neuen Ansatz vermarkten – nicht für private Haushalte, dafür ist die Technologie zu komplex. Vielmehr sollen grössere Energieversorger, welche beispielsweise im Besitz von Biogasanlagen sind, von dieser Technologie profitieren.
2020 wurde AlphaSYNT von Andreas Aeschimann (Geschäftsführer) und Luca Schmidlin (Technischer Direktor) als Start-up gegründet. Aus einem zufälligen Gespräch während der Kaffeepause eines Seminars für Messtechnik wuchs eine starke Partnerschaft mit gemeinsamem Ziel. «Alpha steht für Anfang – wir wollten beide an vorderster Front dabei sein, etwas wagen und investieren, um den Umbau des Energiesystems mitzugestalten und voranzubringen. Luca und ich haben uns auf Anhieb verstanden», erinnert sich Andreas Aeschimann. «Die Technologie vom PSI ist ready to use. Durch unser wirtschaftliches und technisches Know-how können wir dieses Ziel nun verwirklichen.»
Mit der Vermarktung des am PSI entwickelten Methanisierungsprozesses sollen fossile Gase sukzessive durch erneuerbares Methangas ersetzt werden. «Die flexible Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen im Sommer trägt zudem zur Stabilisierung des Stromnetzes bei», erklärt Andreas Aeschimann.
Blick in die Zukunft
Nicht nur Biogasanlagen können von der Partnerschaft mit AlphaSYNT und dem PSI profitieren. Die Technologie funktioniert mit jeglicher Form von Kohlendioxidquelle. Das Kohlendioxid lässt sich beispielsweise aus der Umgebungsluft entziehen oder es stammt aus Abwasserreinigungsanlagen, Kehrichtverbrennungsanlagen, Zementwerken oder Anlagen mit Holzvergasung. Für Letztere haben AlphaSYNT und das PSI im Mai dieses Jahres den Zuschlag zum Bau einer Methanisierungsananlage in Portugal erhalten.
Der Pilotreaktor ist Teil der Energy-System-Integration-Plattform des PSI, kurz ESI. In enger Zusammenarbeit mit AlphaSYNT und weiteren Partnern aus Forschung und Industrie werden hier verschiedene Varianten der Power-to-Gas-Technologie auf ihre technische und wirtschaftliche Machbarkeit hin untersucht.
Damit sollte unserem fiktiven Tennismatch der Zukunft nichts mehr im Wege stehen – eine Durchführung obliegt nun der Motivation von Roger Federer und seinem möglichen Gegner, Rafael Nadal.