«Wir können den Klimawandel nun regional betrachten»
Frau Schwikowski, im August ist der Teilbericht einer Arbeitsgruppe des Weltklimarates IPCC erschienen und darin sind auch die Ergebnisse Ihrer Forschung am PSI eingegangen. Wie kommt das?
Meine Forschungsgruppe und ich untersuchen unter anderem verschiedene Aerosole und wie ihre Konzentration in der Erdatmosphäre im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zu- oder abgenommen hat. Für den IPCC ist das relevant, weil auch Aerosole eine Klimawirkung haben. Aerosole sind kleine Schwebeteilchen in der Luft; Russ ist ein klassisches Beispiel dafür. Den kennt man ja, wenn eine Kerze nicht gut brennt: diese schwarze Schmiere. Russ entsteht vor allem bei der unvollständigen Verbrennung von fossilen Brennstoffen.
Aerosole sind doch die winzigen schwebenden Tröpfchen, über die sich das Coronavirus verbreiten kann?
Ja, auch das sind Aerosole, aber es sind flüssige. Meine Arbeitsgruppe und ich untersuchen dagegen feste Schwebeteilchen, eben solche aus Russ oder anderen chemischen Verbindungen, zum Beispiel Sulfat-Aerosole, die vor allem aus Schwefeldioxid entstehen.
Und diese Feststoff-Aerosole tragen genau wie die klimaaktiven Gase Kohlendioxid (CO2), Methan und so weiter ebenfalls zur globalen Erwärmung bei?
Bei Aerosolen muss man genauer hinschauen. Sie haben eine deutliche Auswirkung auf das Klima, aber die ist aus zwei Gründen komplizierter als diejenige der klimaaktiven Gase. Erstens haben nicht alle Aerosole den gleichen Effekt. Russ-Aerosole sind dunkel und heizen sich im Sonnenlicht auf, sodass sich auch die Luft erwärmt. Sulfat-Aerosole dagegen reflektieren eher das Sonnenlicht zurück ins All und kühlen dadurch sogar die Atmosphäre. Also müssen wir die Wirkungen der verschiedenen Aerosole gegeneinander aufrechnen.
Und zweitens?
Zweitens sind das CO2 und die anderen Treibhausgase sehr langlebig, sie erreichen daher jeden Winkel unseres Globus und es ist somit egal, ob man auf Hawaii oder in der Schweiz ihre Konzentration bestimmt – wir sehen überall auf der Welt den gleichen starken Anstieg dieser Gase seit Beginn der Industrialisierung. Aerosole dagegen haben eine sehr viel kürzere Lebensdauer: Nach mehreren Tagen oder spätestens einer Woche werden sie mit dem Niederschlag aus der Luft entfernt, was der wichtigste Reinigungsprozess in der Atmosphäre ist. Sie kommen also nicht dazu, sich gleichmässig in der Atmosphäre zu verteilen und dementsprechend müssen wir sie eigentlich in den Regionen messen, wo sie freigesetzt werden.
Letzteres klingt nach einem Vorteil für die Klimamodelle?
Ja, die Klimamodelle sind durch die Betrachtung der Aerosole deutlich besser geworden.
Die breite Bevölkerung denkt beim Klimawandel eigentlich nur an CO2. Was sollten Laien Ihrer Meinung nach besser verstehen?
Zunächst bleibt es zwar dabei: Die klimaaktiven Gase sind eindeutig der grösste Faktor für den Klimawandel. Wie sicherlich bekannt ist, steht CO2 an erster Stelle. Methan kommt dann schon auf Platz zwei, aber all diese weiteren Gase werden heutzutage oft in CO2-Äquivalente umgerechnet und finden so Eingang in die Debatten.
Was noch kaum vorkommt in der öffentlichen Wahrnehmung, ist, dass die Klimawirkung aller Aerosole zusammengenommen sich bislang kühlend auf das Klima auswirkt. Die erwärmenden Aerosole werden aktuell durch die reflektierenden, kühlenden Aerosole ausgestochen.
Lässt sich das beziffern?
Ja. Aktuell ist die globale Temperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit im Durchschnitt schon um 1,1 Grad Celsius gestiegen. Sie erinnern sich sicherlich: Das Übereinkommen von Paris, das 2015 unterzeichnet wurde, sieht vor, dass wir insgesamt höchstens 1,5 Grad zulassen sollten. Was wir aus der Forschung nun wissen: Wir haben schon so viele klimaaktive Gase in die Atmosphäre entlassen, dass wir diese 1,5 Grad fast jetzt schon erreicht hätten. Die aktuellen 1,1 Grad globaler Erwärmung messen wir nur deshalb, weil die insgesamt kühlende Gesamtwirkung der Aerosole hinzukommt.
Kommt zu den Klimagasen und Aerosolen noch Weiteres hinzu?
Der dritte Faktor, der das Klima stark beeinflusst und daher in die Klimamodelle eingeht, ist das Rückstrahlvermögen der Erde, die sogenannte Albedo. Vereinfacht gesagt geht es hier um die hellen Flächen wie Eis und Wolken, die tagsüber das Sonnenlicht reflektieren und somit die Erde kühlen im Vergleich zu den dunklen Flächen wie Ozeanen und Wäldern.
Was ist Ihr Fazit aus dem aktuellen IPCC-Bericht und was bedeutet er für die Schweiz?
Der Klimawandel wird uns enorm betreffen. Die erwähnten 1,1 Grad Celsius Erhöhung, die wir aktuell global haben, sind der Durchschnittswert über alle Kontinente und Ozeane. Die Ozeane reagieren langsamer, die Landflächen dagegen haben sich entsprechend schon stärker erwärmt. Genau das ist die Stärke des jetzigen IPCC-Berichts, dass er die Entwicklung auf die Regionen herunterbricht. Wer kann denn mit einem globalen Mittelwert etwas anfangen? In der Schweiz messen wir schon jetzt einen Temperaturanstieg um durchschnittlich 1,8 Grad Celsius, also fast doppelt so viel wie der globale Wert.
Und wie könnte es weitergehen?
Das Szenario des IPCC, das den aktuellen Entwicklungsweg weiterzeichnet, führt bis zum Jahr 2100 zu einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um bis zu 6 Grad Celsius. Wiederum auf die Schweiz übertragen bedeutet das, ohne starke Interventionen können wir mit einem Temperaturanstieg um mehr als 10 Grad rechnen, im Schnitt. Das will sich niemand vorstellen. Der vergangene Sommer mit den Waldbränden im Mittelmeerraum, den Dürren und den Überschwemmungen spiegelt exakt das wieder, was viele Fachleuchte voraussagen, und das sind ja erst die schwachen Anfänge. Wir müssen diese Klimakrise abwenden.