Die Unterwasserwelt entdecken
«Wow, das ist ja so schön!»: Das sind Ausrufe von Kindern und Erwachsenen, die sich von Bildern der Eawag-Unterwasserkamera Aquascope während der Ausstellung «Treffpunkt Science City 2019» an der ETH Zürich begeistern liessen. Die Bilder zeigten Fotos von klitzekleinen, im Wasser schwebenden Lebewesen, die sich gerade im Wasser des Greifensees tummelten. Diese Aufnahmen wurden live von dem im Greifensee installierten Aquascope via Internet auf einen Computerbildschirm in der Ausstellung übertragen.
Plankton leichter beobachten
Die im See schwebenden Millimeter-kleinen Organismen werden Plankton genannt. Wenn es sich um Tierchen handelt, sprechen wir vom Zooplankton, handelt es sich um Pflanzen, werden sie Phytoplankton genannt. Bisher wurde das Plankton meistens mit manuellen Techniken untersucht – dabei sammeln Forschende Wasserproben von einem Boot aus mit viel Aufwand, zum Teil auch nachts. Im Labor werden die Proben anschliessend von Taxonominnen und Taxonomen untersucht. Um das Plankton zu sortieren, die Arten zu bestimmen, zu vermessen und zählen, sitzen die Fachpersonen teilweise stundenlang vor dem Mikroskop. All das braucht sehr viele materielle und finanzielle Ressourcen und bringt nur eine geringe Ausbeute – ein paar Datenpunkte über einige Monate verstreut.
Ein multidisziplinäres Team an der Eawag hat nun die Unterwasserkamera Aquascope entwickelt. Daran beteiligt waren Forschende der Abteilungen «Aquatische Ökologie» sowie «Systemanalyse, Integrated Assessment und Modellierung», der IT-Service der Eawag und das «Jaffe Laboratory of Underwater Imaging» an der Scripps Institution of Oceanography (Kalifornien, USA). Diese Kamera macht in Echtzeit Bildaufnahmen von Plankton und sendet sie direkt auf einen Server der Eawag. Eine von der Eawag entwickelte Deep-Learning-Software identifiziert die einzelnen Lebewesen automatisch bis mindestens auf das Niveau der Gattung. Anschliessend können die Forschenden und alle daran Interessierten die Bilder und Daten zu jeder Zeit auf www.aquascope.ch abrufen.
Training der Kamera
Damit die Software die Lebewesen richtig erkennt, musste sie zuerst mit abertausenden von Planktonbildern trainiert werden. Bevor die Bilder vom Aquascope jedoch zum Training in die Software eingelesen wurden, bestimmte ein Taxonome jedes Planktonwesen auf den Fotos auf die Art genau. Je mehr Bilder der gleichen Art für die Software zur Verfügung stehen, desto besser lernt sie, diese Art zu bestimmen.
«Die Kamera verschafft uns Zugang zu einer noch sehr unbekannten Welt» erzählt Ewa Merz, Doktorandin an der Eawag und Erstautorin eines kürzlich veröffentlichten Artikels, welcher die Kamera im Detail beschreibt. «Wir können das Plankton im Greifensee vom Bürostuhl aus live mitverfolgen und beobachten» erklärt sie begeistert. Zurzeit ist die Kamera im Greifensee auf einer Tiefe von drei Metern installiert und liefert jede Stunde Bilder. Das ermöglicht zeitlich sehr hochaufgelöste Messreihen mit denen die Forschenden zum Beispiel frühe Warnungen vor toxischen Algenblüten machen können.
Überraschende Funde
Da die Kamera nicht direkt ins Geschehen des Planktonlebens eingreift, stört sie die Populationsdynamik und individuelle Arteninteraktionen nicht in ihrem Ablauf. Solche Einblicke bleiben mit der herkömmlichen Methode verborgen, weil das Plankton in den Proben in der Regel abgetötet und fixiert werden muss, bevor man sie mit dem Mikroskop analysieren kann. Oft zerstört die Fixierung die Lebewesen so stark, dass sie unter dem Mikroskop nicht mehr zu erkennen sind. Solche Artefakte können die Resultate verfälschen. «Was wir mit der Kamera etwa neu entdeckt haben ist, dass die Rädertierchenart Paradileptus elephantinus im Greifensee gar nicht so selten ist, wie wir früher dachten. Wir denken, dass sich das Tierchen durch die chemische Fixierung aufgelöst hat. Seit die Kamera installiert ist, sehen wir P. elephantinus fast jeden Tag» erzählt Ewa Merz begeistert. «Ciliaten wie P. elephantinus fressen Algen und scheinen wichtig zu sein, um die Algenpopulation zu regulieren. Die Kamera ermöglicht uns nun, die Dynamik dieser Ciliaten und anderer kleinen Phytoplanktonfresser im Zusammenspiel mit den Algen genau zu beobachten. Und das ist einzigartig» erklärt Francesco Pomati, Leiter des Aquascope-Teams.
Wertvoll für die Gesellschaft
Da die Bilder für alle zugänglich sind, können auch Verwaltungen und Umweltämter die Daten verwenden und die Leute zum Beispiel frühzeitig vor potentiellen Algenblüten warnen. Auch Badefreudige können sich einen Einblick ins Gewässer, in dem sie sich abkühlen wollen, verschaffen. «Meistens sind die Leute sehr erstaunt, wie gross die Vielfalt in einem Wassertropfen ist» erklärt Ewa Merz. Die Kamera hat deshalb auch sehr viel Potential, die Bevölkerung für die Artenvielfalt und den Gewässerschutz zu sensibilisieren.
Die Zukunft der Kamera
Das heutige Modell der Kamera hat zwei Vergrösserungsobjektive, die zusammen Objekte zwischen zehn Mikrometern und einem Zentimeter (zum Vergleich – die Dicke eines Haares ist ungefähr 60 Mikrometer) aufnehmen können. Da es jedoch auch Planktonarten gibt, die noch viel winziger sind, möchten die Forschenden die Kamera in Zukunft zusätzlich mit einem Objektiv ausstatten, das noch kleinere Organismen aufnehmen kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, damit einen noch tieferen Einblick ins Leben der kleinsten Planktonarten zu erhaschen.