Unerwartete Immunreaktion könnte Schlüssel zu langfristiger Krebsremission sein
Die siebenjährige Emily Whitehead war 2012 die erste pädiatrische Patientin, die eine bahnbrechende chimäre Antigenrezeptor-Therapie (CAR-T) erhielt, um das Wiederauftreten einer akuten lymphatischen Leukämie (ALL) zu bekämpfen. Zwölf Jahre später ist Emily in Remission und studiert an der Universität von Pennsylvania, wo die Therapie entwickelt wurde. Doch für viele andere geht der Kampf weiter: Mehr als die Hälfte der ALL-Patienten erleidet innerhalb eines Jahres nach der CAR-T-Therapie einen Rückfall.
Nun wurden Proben aus denselben bahnbrechenden klinischen Studien in einer neuen Studie verwendet, die kürzlich in Zusammenarbeit mit der EPFL, der Yale University, der University of Pennsylvania und der Cleveland Clinic in Nature veröffentlicht wurde und erneut einen Paradigmenwechsel in der Krebsbehandlung einleiten könnte.
«Für diese Studie wollten wir herausfinden, ob die CAR-T-Zellen von ALL-Patientinnen wie Emily, die seit langem überlebt haben, ein bestimmtes Profil oder eine bestimmte Signatur aufweisen, die sie von Patienten unterscheidet, die einen Rückfall erlitten haben», erklärt Li Tang, Leiter des Labors für Biomaterialien für Immunoengineering an der Fakultät für Ingenieurwisssenschaften der EPFL.
Bei der CAR-T-Therapie werden weisse Blutkörperchen, so genannte T-Zellen, entnommen und so verändert, dass sie bestimmte Proteine exprimieren, die den Krebs des Patienten besser bekämpfen. Die modifizierten CAR-T-Zellen werden dann der Patientin zurückgegeben, wobei einige für die Forschung zurückbehalten werden. Für die Nature-Studie verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fast 700 000 CAR-T-Zellen von 82 ALL-Patienten und sechs gesunden Kontrollpersonen und erstellten einen Atlas der Genexpression, um jede einzelne Zelle zu analysieren. Dieser Atlas zeigte, dass die Zellen von Langzeit-ALL-Überlebenden tatsächlich etwas Besonderes hatten: Sie enthielten bestimmte Proteine – unter anderem das Zytokin IL-4 – die normalerweise mit einer sogenannten Typ-2-Immunreaktion in Verbindung gebracht werden.
Im Gegensatz zu einer Typ-1-Immunantwort, die traditionell das Ziel von Krebstherapien wie CAR-T ist, werden Typ-2-Antworten zur Bekämpfung parasitärer Immunbedrohungen wie Würmer mobilisiert. Bisher dachten die Forschenden, dass Typ-2-Immunfaktoren bei der Krebsbekämpfung nicht nützlich seien und sogar das Tumorwachstum fördern könnten. Die Daten des Zellatlas zeigten jedoch das Gegenteil: Die Forschenden beobachteten eine statistisch signifikante Korrelation zwischen dem Vorhandensein von Typ-2-Immunfaktoren und einer achtjährigen rezidivfreien Remission bei ALL.
Ein Energieschub im Kampf gegen den Krebs
Tang betont, dass die Ergebnisse der Zellatlas-Studie zwar signifikant, aber korrelativ sind: «Wir haben keinen kausalen Zusammenhang zwischen Typ-2-Immunität und Krebsremission gezeigt», sagt er. Eine zweite Studie, die von Tangs Labor geleitet und gleichzeitig in Nature veröffentlicht wurde, deutet jedoch darauf hin, dass IL-4 den Stoffwechsel von T-Zellen verändern und sie bei der Bekämpfung von Tumoren «wiederbeleben» kann.
In dieser zweiten Studie, die den Mechanismus der Typ-2-Immunität untersuchen sollte, verglichen die Forschenden die Wirkung der Typ-1-CAR-T-Immuntherapie allein mit der einer kombinierten Typ-1/Typ-2-Immuntherapie auf Tumore in Mäusen. Diese kombinierte Therapie enthielt eine modifizierte, länger anhaltende Version des Zytokins IL-4. Die Mäuse, die die kombinierte Behandlung erhielten, wiesen nicht nur eine höhere Heilungsrate (86 %) auf, sondern zeigten dank des Immungedächtnisses auch ein verbessertes Überleben, selbst nachdem ihr Immunsystem erneut mit Krebszellen herausgefordert worden war.
Eine genauere Analyse dieser Daten ergab, dass das modifizierte IL-4 offenbar die Glykolyse fördert – einen wichtigen Stoffwechselweg, der die Zellen mit Energie versorgt. Wie ein Kohlenhydrat-Snack in der Mitte eines Marathons, so die Theorie der Forschenden, geben Typ-2-Immunitätsfaktoren wie IL-4 erschöpften T-Zellen einen Energieschub, der ihre Fähigkeit zur Krebsbekämpfung wiederbelebt.
«Wir wollten herausfinden, ob wir die Typ-2-Immunität nutzen können, um die derzeitige Immuntherapie zu verbessern, die ganz auf den Typ 1 ausgerichtet ist. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Typ-1- und die Typ-2-Immunität als Synergie betrachtet werden können, wie Yin und Yang», sagt Tang.
«Unsere Studie beleuchtet nicht nur die Synergie zwischen diesen beiden Arten der Immunantwort, sondern zeigt auch eine innovative Strategie für die Krebsimmuntherapie der nächsten Generation durch die Integration von Typ-2-Immunfaktoren auf. Insgesamt hoffe ich, dass diese beiden Studien – eine präklinische mechanistische und eine klinische – das Feld dazu inspirieren werden, das Typ-1-zentrierte Paradigma in der Krebsimmuntherapie in Frage zu stellen und die Rolle der Typ-2-Immunität neu zu untersuchen.»