Das Universum gibt sich zu erkennen
Heute kann man sowohl einen Exoplaneten, der um seine Sonne kreist, eine bestimmte Galaxie als auch das Universum als Ganzes beobachten. «Das Universum ist letztendlich sehr leer, es verbirgt nicht viel», erklärt Jean-Paul Kneib, Professor am Labor für Astrophysik der EPFL. Das Wichtigste ist, zu wissen, wonach man sucht, das richtige Instrument zu bauen und in die richtige Richtung zu schauen. Und dann ein bisschen aufräumen: «Der Vordergrund unserer Galaxie versperrt uns den Horizont, um darüber hinaus zu blicken. Um zum Beispiel eine Karte des Wasserstoffs im frühen Universum zu erstellen, modellieren wir den gesamten Vordergrund und subtrahieren ihn von unseren Bildern, bis wir zu einem Signal kommen, das eine Million Mal kleiner ist als das der Milchstrasse.»
Während Galileo Galilei nur zeichnen konnte, was er mit seinem Fernrohr sah, ist es heute möglich, das Universum in seiner Gesamtheit zu sehen, bis hin zur Annäherung an seine frühesten Augenblicke. Dies ist in erster Linie auf die gigantischen Fortschritte bei den Instrumenten zurückzuführen, die bereits erzielt wurden und noch erzielt werden sollen. Das vor zweieinhalb Jahren gestartete James Webb Space Telecope (JWST) soll mit seiner Infrarotbeobachtung bis zu 13 Milliarden Jahre in die Zeit zurückgehen, in der die ersten Galaxien und Sterne entstanden sind. Das im Bau befindliche und für das Ende des Jahrzehnts geplante Radioteleskop SKA (Square Kilometre Array) wird noch weiter in die Zukunft blicken. Dort, wo es noch keine Sterne gibt, sondern hauptsächlich Wasserstoff, der 92 % der Atome im Universum ausmacht. «Eine sehr einfache Möglichkeit, dieses Gas nachzuweisen, besteht darin, sich in den Radiofrequenzbereich zu begeben, in dem das SKA-Projekt angesiedelt ist. Wir werden versuchen, ein Signal zu entdecken, das eine Million Mal kleiner ist als die Signale im Vordergrund.«Das europäische Weltrauminterferometer-Projekt (LISA), das für 2035 geplant ist, wird Gravitationswellen beobachten, um Aufschluss über das Wachstum von Schwarzen Löchern im Universum oder über mögliche Wellen zu geben, die direkt nach dem Urknall entstanden sind.
Digitale Herausforderung
Allerdings würden die Instrumente ohne Fortschritte in anderen Bereichen blind bleiben. «Im Moment haben wir nicht die Software, um die SKA-Daten zu verarbeiten», räumt der Professor ein, ist aber zuversichtlich, dass dies gelingen wird. Nicht nur Computer, sondern auch Rechenleistung, Computational Science und Künstliche Intelligenz sind unverzichtbare Hilfsmittel. KI ist zum Beispiel wertvoll, um grosse Datenmengen zu sortieren, um etwas Aussergewöhnliches zu finden, oder um die Masse von Galaxien zu berechnen! «Durch den Gravitationslinseneffekt, der dazu führt, dass das Licht bei einer sehr hohen Massenkonzentration abgelenkt wird, kann man die Masse von Galaxienhaufen fast auf das Prozent genau messen, wie bei einer Waage», erklärt der Astrophysiker. «Und so kann man der Künstlichen Intelligenz beibringen, die durch Gravitationslinsen hervorgerufenen Bildverzerrungen zu erkennen. Wenn man bedenkt, dass es im Universum wahrscheinlich 200 Milliarden Galaxien gibt, ist das schon eine grosse Hilfe, selbst wenn man es schafft, nur die Masse einer von tausend Galaxien zu messen.»
Sehen wir wirklich das, was uns gezeigt wird? Würden wir einen leuchtenden Donut sehen, wie er auf dem 2019 veröffentlichten Foto eines Schwarzen Lochs zu sehen ist, wenn wir uns ihm nähern könnten? Jean-Paul Kneib räumt ein: «Das ist kein optisches Foto, sondern ein rein digitales. Um auf dieser Millimeterwellenlänge genau beobachten zu können, wurden mehrere Teleskope auf der Erde zusammengeschaltet, um ein Teleskop zu erhalten, das ungefähr die Grösse der Erde hat. Durch Interferometrie (eine Messung anhand von Interferenzen, Anm. d. Red.) wurde das Bild rekonstruiert. Aber es ist immer noch die Messung eines echten Signals, das mit der Menge an Materie in der Staubwolke um das Schwarze Loch herum zusammenhängt. Vereinfacht gesagt, ist der dunkle Teil das Schwarze Loch und der helle Teil die Menge an Materie, die um das Schwarze Loch herum kreist.»
Die vierte Dimension
«In der Astronomie kann man sich nicht nur auf Berechnungen verlassen. Man muss sich die Dinge vorstellen können, das dient auch dazu, zu überprüfen, ob sie richtig sind», fährt der Astrophysiker fort. Er liest wie in einem Buch ein prächtiges Bild des Lagunennebels, der 4000 Lichtjahre von uns entfernt ist. «Wir haben mehrere optische Beobachtungen bei verschiedenen Wellenlängen kombiniert, um die verschiedenen Gase herauszuarbeiten. Es gibt ein wenig künstlerische Arbeit, um die Farben zu verstärken. Aber das Bild hat auch eine grosse Bedeutung in Bezug auf die Physik. Die Farben zeigen die Anwesenheit von Gasen an: Rot bedeutet Wasserstoff, Blau Sauerstoff und Grün Stickstoff. Sehr kompakte, schwarze Bereiche enthalten eine Ansammlung von Staub und sind normalerweise Orte, an denen Sterne entstehen.»
Die Visualisierung ist umso wichtiger, als sie über die 2D-Ebene hinausgeht. «In der dritten Dimension kann man messen, wie weit die Himmelsobjekte voneinander entfernt sind.» So gaben Anfang April die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DESI-Projekts (Dark Energy Spectroscopic Instrument), an dem die EPFL beteiligt ist, bekannt, dass sie die grösste jemals erstellte 3D-Karte von Galaxien und Quasaren im Universum erstellt haben.
Aber das ist noch nicht alles, man arbeitet auch mit der vierten Dimension – der Zeit – und diese eröffnet bereits völlig neue Perspektiven, um vorübergehende, leuchtende, aber sehr flüchtige Phänomene zu sehen. «Wir wissen zum Beispiel nicht wirklich, woher die schnellen Radioausbrüche (fast radio bursts) kommen , sehr helle Phänomene, die höchstens ein paar Sekunden oder sogar nur Bruchteile einer Millisekunde dauern», bedauert Jean-Paul Kneib.
Wird es jemals Leben auf einem Exoplaneten geben? «Durch Interferometrie im Infrarotbereich könnte man sich vorstellen, ein Foto von einem Planeten zu machen, der um eine andere Sonne kreist. Das Bild wäre wahrscheinlich unscharf, aber man könnte sehen, ob es Wolken oder Strukturunterschiede auf der Oberfläche gibt, und diese charakterisieren. In 20 oder 30 Jahren könnte man sich das vorstellen», meint der Professor.
Um einige grundlegende Fragen zu klären, wird die Bildgebung wahrscheinlich nicht ausreichen: Warum dehnt sich das Universum immer schneller aus? Ist die dunkle Energie der Grund dafür? Warum sind 80 % der Materie unsichtbar? Haben wir uns beim Phänomen der Gravitation völlig geirrt? Auch künftige Generationen von Astrophysikerinnen und Astrophysikern werden noch nach oben blicken oder auf Bildschirme starren, um diese Rätsel zu lösen, die für das Verständnis unseres Universums von entscheidender Bedeutung sind.