Bewältigung der Hochspannung von Satelliten der nächsten Generation
Der derzeitige Boom in der Weltraumforschung bedeutet nicht nur mehr Satelliten, sondern auch modernere Satelliten mit höherem Energiebedarf und geringeren elektrischen Verlusten. Dies bedeutet u. a. höhere Spannungen für die Satellitenelektronik und die Triebwerke.
Um die von den Solarzellen erzeugte Energie zu nutzen, sind die Satelliten mit einer «Schleifringeinheit» ausgestattet, einer Komponente, die dazu dient, die elektrische Energie während der Rotation an elektrische Systeme wie Bordcomputer, Wanderfeldröhren, Datenerfassungsgeräte und Triebwerke zu übertragen. Der Schleifring nutzt dazu elektrische Schleifkontakte: einen rotierenden Ring und eine feststehende Bürste – den «Wischer». Während sich das System in einem Satelliten dreht, gleitet der Wischer entlang der Ringoberfläche und überträgt elektrischen Strom mit niedriger Spannung.
Forschende des Swiss Plasma Centers (SPC) der EPFL und von Beyond Gravity haben nun erfolgreich eine Schleifringanordnung entwickelt, die höhere Spannungen in Satelliten ermöglicht, und zwar von derzeit 28-100 Volt auf 300-600 Volt, was zu einer verbesserten Leistung des Satelliten und einer erhöhten Robustheit gegenüber elektrischen Ausfällen führt.
Die Arbeiten wurden im Rahmen des 4.0 ARTES (Advanced Research in TElecommunications Systems) Core Competitiveness-Programms der ESA im Rahmen des APRIOM-Projekts (Advanced sliP Ring for hIgh vOltage Mechanism) kofinanziert, dessen Ziel es ist, «ein Breadboard-Modell in einer relevanten Umgebung zu entwickeln, herzustellen und zu testen»: Im Weltraum wird ein Breadboard-Modell verwendet, um kritische Funktionen in repräsentativen Umgebungen mit einem repräsentativen Breadboard zu verifizieren, das für die endgültige Mission geeignet ist.
Der neue Schleifring ist der Höhepunkt der Arbeit eines anderen Projekts, der Horizon 2020 High Voltage Electrical Power System Architecture (HV-EPSA), in dem das SPC-Forschungsteam unter der Leitung von Professor Ivo Furno und unter Beteiligung von Dr. Fabio Avino und Dr. Alan Howling ein fortschrittliches Modell ihres zylindrischen Schleifrings entwickelt hat, das von der Schweizer Firma RUAG Space hergestellt wurde, dem Vorgängerunternehmen von Beyond Gravity, das in Nyon ansässig und auf Schleifringe spezialisiert ist.
Die Teilnehmenden von Beyond Gravity, der ESA und dem SPC der EPFL. Bildrechte: Beyond Gravity
Ziel der SPC-Forschenden war es nicht nur, dem wachsenden Bedarf an höheren Spannungen in Satelliten gerecht zu werden, sondern auch die Herausforderungen beim Betrieb eines Schleifringkörpers im Weltraum zu bewältigen und das Risiko eines elektrischen Zusammenbruchs zu beseitigen, insbesondere die Erzeugung eines schädlichen Plasmas, das den Satelliten dauerhaft beschädigen könnte.
Eines der Probleme, die es zu bewältigen gilt, sind die grossen Druckschwankungen, denen ein Satellit ausgesetzt ist, vom atmosphärischen Druck beim Start bis zum tiefen Vakuum des Weltraums. Dies ist seit langem ein Problem, da die Isolierung elektrischer Komponenten in Satelliten in der Regel unter Vakuumbedingungen erfolgt, d. h. ohne jeglichen Gasdruck. Die bisher vorgeschlagenen Lösungen beinhalten immer komplexere Konfigurationen der elektrischen Schaltkreise, die die Funktion des Satelliten beeinträchtigen können.
Eine weitere Herausforderung ist die Anzahl der Umdrehungen, die der Ring pro Tag machen muss, was sich nach einer gewissen Zeit nachteilig auf seine Funktion auswirken kann.
Wie im Rahmen des APRIOM-Projekts gefordert, stellten die SPC-Forschenden Beyond Gravity ihr Fachwissen und ihre technische Unterstützung zur Verfügung bei der Entwicklung des neuen Schleifrings und bei Tests unter Bedingungen, die der Lebensdauer eines Satelliten entsprechen. Der Schleifring erwies sich als funktionsfähig innerhalb von 400-500 Volt (und 8 A) von sehr niedrigen Drucken (10-5 mbar ) bis zu den kritischsten Druckwerten (~1 mbar), mit einer daraus resultierenden Übertragungsleistung von bis zu 40 kW. Diese Leistung konnte auch nach 25 000 Umdrehungen beibehalten werden – zum Vergleich: Der Schleifringkörper eines geostationären Satelliten schafft nach 30 Jahren Betrieb etwa 11 000 Umdrehungen.
«Der Erfolg dieses Projekts ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie, bei der alle Partner die Bedürfnisse und Einschränkungen des jeweils anderen genau verstehen mussten», sagt Furno. «Mit dem neuen Schleifringdesign, das in den kommenden Jahren in der Umlaufbahn erprobt werden soll, ebnen wir den Weg für die neue Generation von Hochleistungs-Thruster-Satelliten.»