Ein Schwimmroboter untersucht Fortbewegung und Neurowissenschaften
Um die Fortbewegung bei Tieren und insbesondere die neurowissenschaftlichen Grundlagen der Bewegungserzeugung zu erforschen, entwickelt das Biorobotik-Labor (BIOROB) der EPFL innovative Roboter, die in der Lage sind, diese Schlüsselaspekte von Tieren nachzubilden. Ihr Schwimmroboter AgnathaX wurde soeben in Zusammenarbeit mit Forschenden der Tohoku University in Japan, des Institut Mines-Télécom Atlantique in Nantes, Frankreich, und der University of Sherbrooke in Kanada in der Zeitschrift Science Robotics veröffentlicht. «Mit diesem Roboter wollten wir untersuchen, wie das Nervensystem sensorische Informationen berücksichtigt, um eine bestimmte Art von Bewegung zu erzeugen», sagte Auke Ijspeert, Professor an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften STI der EPFL und Leiter des BIOROB-Labors. «In einem lebenden Organismus ist es kompliziert, dies zu analysieren, da die zentralen und peripheren Komponenten des Nervensystems* im Rückenmark eng miteinander verbunden sind, was es schwierig macht, ihre Dynamik und ihre gegenseitige Beeinflussung zu verstehen.»
AgnathaX ist ein schwimmender Roboter, der das Neunauge, einen primitiven aalartigen Fisch, nachahmt. Wie das Tier kann er mittels wellenförmiger Bewegungen schwimmen. Mehrere Motoren betätigen die zehn Segmente, aus denen er besteht, auf die gleiche Weise wie die Muskeln des Körpers des Tieres. Die Kraftsensoren sind seitlich am Körper des Roboters verteilt, ähnlich wie die Neuronen in der Haut des Neunauges, die auf den Wasserdruck reagieren.
Mithilfe mathematischer Modelle konnten die Forschenden die verschiedenen Komponenten der komplexen Funktionsweise des Nervensystems in ihrem Roboter nachbilden. «Wir haben ihn in einem Becken schwimmen lassen, das mit einem Verfolgungssystem ausgestattet ist, mit dem wir die Bewegungen des Roboters quantifizieren können», erklärte Laura Paez, Doktorandin am BIOROB-Labor. In jedem Segment konnten die Ein- und Ausgänge des peripheren und zentralen Nervensystems ein- oder ausgeschaltet werden, so dass sie den verschiedenen neurowissenschaftlichen Hypothesen entsprechen.
Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem an der Erzeugung einer robusten Fortbewegung beteiligt sind. Der Einsatz beider Systeme war im Falle neuronaler Störungen, wie z.B. Störungen in der Kommunikation zwischen Körpersegmenten oder deaktivierten Sensoren, von Vorteil. «Mit anderen Worten, wenn der Roboter zentrale und periphere Komponenten kombinierte, konnte er einer grösseren Anzahl von neuronalen Störungen widerstehen und dabei weiterhin mit hoher Geschwindigkeit schwimmen, als ein Roboter mit nur einer dieser Komponenten», sagte Kamilo Melo, Mitautor der Publikation. «Wir haben auch herausgefunden, dass Kraftsensoren auf der Oberfläche des Roboters und physische Interaktionen zwischen dem Körper und dem Wasser sehr nützliche Signale zur Erzeugung und Synchronisierung der für die Fortbewegung erforderlichen rhythmischen Muskelaktivität liefern können.» Unterbrach man die Verbindung zwischen den Segmenten (womit eine Rückenmarksverletzung simuliert wurde), reichten die hydrodynamischen Druckkräfte gegen den Körper des Tieres aus, um Wellenbewegungen entlang des Roboters zu erzeugen.
Diese Ergebnisse werden die Leistung von Rettungsrobotern oder Robotern für die Umweltüberwachung verbessern. Die von den Forschenden entwickelten Steuerungen und Kraftsensoren können ihre Navigation durch instabile Strömungen verbessern und sie widerstandsfähig gegen technische Ausfälle machen. Die Arbeit hat auch Auswirkungen auf die Neurowissenschaften. Sie bestätigt nämlich, dass periphere Mechanismen wichtige Funktionen erfüllen und im Vergleich zu den viel besser erforschten zentralen Mechanismen unterschätzt werden. «Sie könnten eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung der motorischen Funktion nach einer Rückenmarksverletzung spielen, da im Prinzip keine Verbindung zwischen verschiedenen Teilen des Rückenmarks erforderlich ist, um eine Welle entlang des Körpers aufrechtzuerhalten», fügte Robin Thandiackal, Mitautor der Publikation, hinzu. «Dies erklärt möglicherweise, wie einige Wirbeltiere ihre Bewegungsfähigkeit nach einer Rückenmarksverletzung beibehalten.»
*Zentrales versus peripheres Nervensystem
Die Fortbewegung bei Wirbeltieren ist ein komplexer Mechanismus, an dem das zentrale Nervensystem (das Gehirn und das Rückenmark) und das periphere Nervensystem (die mit den Muskeln und den sensorischen Neuronen verbundenen Nerven) beteiligt sind.
Seit Anfang des letzten Jahrhunderts gibt es in den Neurowissenschaften eine lange Debatte darüber, wie die für die Fortbewegung notwendigen neuronalen Rhythmen erzeugt und synchronisiert werden. Einige Forschende, wie z.B. Charles Scott Sherrington, waren der Meinung, dass Rhythmen hauptsächlich durch sensorische Rückkopplungssignale, d.h. durch einen peripheren Mechanismus, erzeugt werden. Eine Flosse oder ein Glied wird in eine Richtung bewegt, bis ein sensorisches Signal die Bewegung in die andere Richtung auslöst. Andere Forschende, wie z.B. Thomas Graham Brown, glaubten, dass die Rhythmen stattdessen durch spezifische Mustergeneratoren im zentralen Nervensystem erzeugt werden. Seitdem hat sich die Debatte zwischen zentralen und peripheren Mechanismen stark zugunsten der zentralen Mechanismen verschoben, da im Rückenmark neuronale Schaltkreise entdeckt wurden, die selbst dann koordinierte Rhythmen erzeugen können, wenn sie von sensorischen Rückmeldungen völlig abgeschnitten sind.
Die vorliegende Studie zeigt, dass beide Arten von Nervensystemen wichtig sind, dass beide Schwimmbewegungen erzeugen können und dass sie zusammen eine robustere Fortbewegung ermöglichen als einzeln.