Bessere Überwachung bedeutet besserer Schutz für Wildtiere
Überall ist die Artenvielfalt bedroht. Nach Angaben des World Wildlife Fund (WWF) sind die Wildtierpopulationen seit 1970 um 69 % gesunken. Das Artensterben vollzieht sich mehr als 1000 Mal so schnell wie natürlich. Die Prozentzahlen der vom Aussterben bedrohten Arten sind erschreckend: 40 % für Pflanzen, 41 % für Amphibien, 27 % für Säugetiere und 13 % für Vögel. Auch wenn der Klimawandel und der wachsende Energiebedarf diesen Trend wahrscheinlich nicht umkehren werden, könnten der technische Fortschritt und die wissenschaftliche Forschung dazu beitragen, seine Auswirkungen abzumildern.
Der von den Vereinten Nationen vor zehn Jahren eingeführte Weltnaturschutztag erinnert an die Verabschiedung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES) am 3. März 1973. Aus diesem Anlass haben wir beschlossen, die EPFL-Forschungsgruppen ins Rampenlicht zu rücken, die Systeme zur Identifizierung, Überwachung und Erhaltung von Wildtieren entwickeln.
Die Fauna am Himmel verfolgen
Drohnen, die hoch über dem Boden schweben, sind zu einer beliebten Methode geworden, um Wildtierpopulationen aus der Ferne zu verfolgen und zu katalogisieren. Ein Beispiel dafür ist das Kuzikus Wildlife Reserve in Namibia, wo Devis Tuia und seine Gruppe kürzlich das jüngste einer Reihe von Projekten zur Verfeinerung der KI-gestützten Computer-Vision-Software, die autonom Informationen aus Drohnenbildern extrahiert, gestartet haben.
Prof. Tuia, der das Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory (ECEO) der EPFL leitet, war massgeblich daran beteiligt, Wissenschaftlerinnen von Universitäten, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zusammenzubringen, die an der Schnittstelle von Naturschutzökologie, Drohnentechnologie und Computer Vision arbeiten. Gemeinsam haben sie das WildDrone-Netzwerk ins Leben gerufen, eine internationale Initiative, die darauf abzielt, den Schutz von Wildtieren durch den Einsatz von Drohnentechnologie zu revolutionieren. An der Initiative sind zehn Doktorandenprojekte beteiligt, die vom Marie-Skłodowska-Curie-Programm für Doktorandennetzwerke finanziert werden, zwei von UK Research and Innovation (UKRI) und eines vom Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
Im Kuzikus Wildlife Reserve in Namibia, beobachten Forschende Tierarten mithilfe von KI-gestützter Software. ©Friedrich Reinhard
«Drohnen haben das Wildtiermonitoring wirklich verändert», sagt Tuia: «Mit ihnen kann man nicht nur ein grösseres Gebiet abdecken als beispielsweise mit einem Hubschrauber, sondern sie sind auch billiger, sicherer und leichter skalierbar.» Drohnen, die mit KI-gestützter Computer Vision ausgestattet sind, können nicht nur alle paar Monate die Tierpopulationen zählen, sondern auch bei Bedarf eingesetzt werden und nahezu in Echtzeit verwertbare Erkenntnisse liefern.
Allerdings gibt es noch Raum für Verbesserungen: «Heute können wir KI-Modelle erstellen, die in einer bestimmten Umgebung, z. B. in einem Wildtierreservat, gut funktionieren, aber in einer anderen Umgebung oder sogar in der gleichen Umgebung zu einer anderen Jahreszeit nicht so gut», sagt Tuia. Die Arbeit seiner Forschungsgruppe im Rahmen der WildDrone-Initiative zielt darauf ab, dieses Problem zu lösen.
Das Kuzikus-Projekt ist nur eines von mehreren Projekten zum Schutz von Wildtieren, die Tuias Forschungsgruppe durchführt, um Tierpopulationen mithilfe von KI-basierter Software zu bewerten. So haben sie beispielsweise ihre KI-Technologie in Verbindung mit Drohnen eingesetzt, um die Population von Seevögeln wie der Afrikanischen Königsseeschwalbe an der Küste zu überwachen. Und in der näheren Umgebung erhellt ihre Software die Interaktionen zwischen den Wildtierarten im Schweizerischen Nationalpark.
«Unser Traum», sagt Tuia, «ist es, Tiere zu überwachen, ohne sie zu verletzen oder zu stören, und den Rangern die Echtzeitdaten zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Arbeit zum Schutz der Tierwelt benötigen. Vielleicht können wir in ein paar Jahren sogar noch weiter gehen und den Entscheidungsträgern die Informationen liefern, die sie benötigen, um eine bessere Politik zu entwickeln und Konflikte zu reduzieren.»
Verschiedene EPFL-Babors arbeiten an der Erforschung dessen, was Korallen aus dem Roten Meer so widerstandsfähig macht gegen Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung. ©Guilhem Banc-Prandi
Die Pflege von Korallenriffen
Die Hälfte der weltweiten Korallenriffe ist bereits zerstört und hat nicht nur ihre faszinierenden Farben, sondern auch die Ökosysteme, die sich um sie herum entwickelt haben, mit sich genommen. Das Verschwinden der Korallenriffe wirkt sich auf alles aus, von einzelligen Algen bis hin zu Fischereigemeinschaften an der Küste. Mehrere EPFL-Labors untersuchen Möglichkeiten zur Erhaltung der Korallenriffe. So arbeiten sie zum Beispiel mit dem Transnational Red Sea Center der EPFL an einem Projekt, um herauszufinden, was die Korallen des Roten Meeres so widerstandsfähig gegenüber der globalen Erwärmung und der Verschmutzung macht. Das Labor für biologische Geochemie (LGB) unter der Leitung von Anders Meibom setzt diese Korallen wärmeren Temperaturen aus und beobachtet ihre Anpassungsreaktion, um die Mechanismen hinter ihrer Widerstandsfähigkeit besser zu verstehen. In der Zwischenzeit setzt ECEO eine einfache GoPro-Kamera ein, um grosse Bereiche flacher Korallenriffe zu kartieren. Die Daten werden dann von einem KI-Programm ausgewertet, um die Zusammensetzung der Riffe, den Grad ihrer Zerstörung und die vorhandenen Abfälle zu ermitteln. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von GEOME – ehemals Laboratory of Geographic Information Systems (LASIG) und jetzt Teil von LGB – nutzen Satellitendaten, um die Anpassungsfähigkeit von Korallen besser zu verstehen und vorherzusagen, indem sie genomische Informationen mit Umweltmesswerten (wie Temperatur und Wasserströmungen) kombinieren. Ihr Ansatz wird als Umweltgenomik bezeichnet und wurde bereits in ähnlichen GEOME-Projekten im südlichen Pazifik und an Land zur Untersuchung der Anpassungsfähigkeit einheimischer Arten in Uganda, Marokko und mehreren europäischen Ländern eingesetzt.
Verfolgung des Verhaltens von Tieren
In kleinerem Massstab untersuchen Forschende das Verhalten von Tieren, um sie besser schützen zu können. Eine wichtige Methode zur Quantifizierung des Tierverhaltens ist die «Posenschätzung», d. h. die Verwendung eines Computerprogramms zur Ermittlung der Pose (Position und Ausrichtung) verschiedener Körperteile eines Tieres. Die Posenschätzung wird im Labor durch das Anbringen von Markierungen am Tier durchgeführt, aber bei wildlebenden Arten in der Savanne oder auf einer Eiskappe ist diese Methode nicht umsetzbar. Die EPFL-Professoren Alexander Mathis und Mackenzie Mathis haben daher ein Programm entwickelt, das eine «markerlose» Verfolgung von Tieren ermöglicht. Die Software mit dem Namen DeepLabCut nutzt Algorithmen des Deep Learning, um Computern beizubringen, Teile eines Tieres zu erkennen, ohne auf physische oder virtuelle Markierungen angewiesen zu sein.
Smart Microphone nimmt Tiergeräusche auf und erkennt sie, mithilfe von KI. ©Olivier Stähli
Während einige Tierarten aussterben, vermehren sich andere rasant. Wölfe sind ein solches Beispiel, auch in der Schweiz, wo sie ein echtes Ärgernis für Tierzüchter sind. Um dieses Problem anzugehen, haben zwei EPFL-Studierende – Miya Ferrisse und Olivier Stähli – ein Gerät namens Smart Microphone entwickelt, das Tiergeräusche aufnehmen und mit Hilfe von KI erkennen kann. Das System wurde bereits erfolgreich an Wölfen in den Schweizer Alpen und Elefanten in Südafrika getestet. Sobald das Gerät ein Wildtier geortet hat, sendet es einen Echtzeitalarm an ein Smartphone, so dass Wildhüter sofort reagieren können. Ziel der neuen Technologie ist es, die Bemühungen zum Schutz der Wildtiere zu unterstützen und ein friedlicheres Zusammenleben von Mensch und Tier zu ermöglichen. Ferrisse, Stähli und zwei weitere Schweizer Universitätsstudierende haben ein Startup namens Synature gegründet, um ihr Gerät weiterzuentwickeln und zu vermarkten.