Eine räumliche Kartierung der Genexpression

EPFL-Forschende haben einen Algorithmus entwickelt, der das räumliche Muster der Genexpression im Körper ohne Mikroskope und komplizierte Geräte, wie sie derzeit verwendet werden, herausarbeiten kann.
Eine Australische Bartagame (Pogona vitticeps) (iStock Fotos).

Da wir immer mehr Gensequenzierungsdaten sammeln, werden die Datenbanken der Zelltypen immer grösser und komplexer. Es ist wichtig, dass wir verstehen, wo sich die verschiedenen Zelltypen im Körper befinden, und ihre Genexpressionsmuster an bestimmten Stellen in Geweben und Organen zuzuordnen. Zum Beispiel kann ein Gen in einer Zelle aktiv exprimiert werden, während es in einer anderen unterdrückt wird.

Eine Möglichkeit, Gene in Geweben abzubilden, ist eine Technik, die als In-situ-Hybridisierung bezeichnet wird. Einfach ausgedrückt, wird ein Zielgen mit einem fluoreszierenden Marker in den Abschnitten des Gewebes, in dem es sich befindet, markiert («hybridisiert») (der «in situ»-Teil). Die Schnitte werden dann unter einem speziellen Mikroskop visualisiert, um zu sehen, wo das Gen «aufleuchtet». Die aufeinanderfolgenden Fotos der einzelnen Schnitte werden dann zusammengesetzt, um eine «räumliche» Karte der Position des Gens im Gewebe zu erstellen.

Das Problem bei Methoden, die In-situ-Hybridisierung verwenden, ist, dass sie mit zunehmender Anzahl der Zielgene kompliziert werden, eine spezielle Ausrüstung erfordern und die Wissenschaftlerinnen zwingen, ihre Ziele vorher auszuwählen, ein Prozess, der mühsam sein kann, wenn das Ziel darin besteht, eine vollständige Karte der Genverteilung im Gewebe zu rekonstruieren.

«Spatialisieren» von Sequenzierdaten

Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflter der EPFL-Fakultät für Life Sciences einen Rechenalgorithmus namens Tomographer entwickelt, der Gensequenzierungsdaten in räumlich aufgelöste Daten wie Bilder umwandeln kann, und zwar ohne ein Mikroskop zu benötigen. Die Arbeit wurde von der Forschungsgruppe von Gioele La Manno durchgeführt und nun in Nature Biotechnology veröffentlicht.

Bei der neuen Tomographen-Technik wird das Gewebe zunächst entlang der interessierenden Achse in aufeinanderfolgende Schnitte zerlegt, die dann jeweils in Gewebestreifen mit unterschiedlichen Winkeln geschnitten werden. Die Zellen aus den Streifen werden aufgeschnitten, um ihre gesamte Boten-RNA (mRNA) zu sammeln. Jede mRNA entspricht einem Gen, das in der Zelle aktiv war. Die aus den Streifen resultierenden Messungen können dann als Eingabe für den Tomographer-Algorithmus verwendet werden, um räumliche Genexpressionsmuster im gesamten Gewebe zu rekonstruieren.

«Der Tomographer-Algorithmus eröffnet einen vielversprechenden und robusten Weg, um verschiedene Genomik-Messverfahren zu «verräumlichen», sagt Gioele La Manno. Als Anwendung nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Tomographer, um die molekulare Anatomie des Gehirns der Australischen Bartagame (Pogona vitticeps) räumlich zu kartieren – ein Nicht-Modellorganismus, der zeigt, wie vielseitig der Algorithmus sein kann.

«Seit ich Medizin studiert habe, bewundere ich die Art und Weise, wie die Computertomographie die Art und Weise, wie wir Organe und Körperteile untersuchen, revolutioniert hat», so Christian Gabriel Schneider, einer der Hauptautoren der Studie, «Heute bin ich sehr stolz, Teil eines Teams zu sein, das eine molekulare Tomographie-Technologie entwickelt hat. Bisher haben wir uns auf Anwendungen in der Neuroentwicklungsbiologie konzentriert, aber in Zukunft können wir uns durchaus vorstellen, dass die molekulare Tomographie ein Bestandteil der personalisierten Medizin wird.»

«Es war eine aufregende Gelegenheit, eine zugängliche und flexible Berechnungsmethode zu entwickeln, die das Potenzial hat, den Fortschritt in den Gesundheitswissenschaften voranzutreiben», fügt Halima Hannah Schede, die andere Hauptautorin der Studie, hinzu. «Ich freue mich sehr darauf zu sehen, welche anderen räumlich aufgelösten biologischen Datenformen mit Tomographer ans Licht gebracht werden.»

Dr. Gioele La Manno ist der erste Stipendiat des EPFL Life Sciences Independent Research (ELISIR) Programms, einem revolutionären Stipendium, das aussergewöhnlich begabten Doktorierenden die Art von Forschungsunabhängigkeit ermöglicht, die sie normalerweise erst viel später in ihrer Karriere erhalten. Lesen Sie hier ein Interview mit Dr. La Manno.

Weitere Informationen

Andere Mitwirkende

  • Karolinska-Institut
  • Max-Planck-Institut für Hirnforschung
  • Columbia Universität

Finanzierung

Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaft

Referenzen

Halima Hannah Schede, Christian G. Schneider, Johanna Stergiadou, Lars E. Borm, Anurag Ranjak, Tracy M. Yamawaki, Fabrice P.A. David, Peter Lönnerberg, Maria Antonietta Tosches, Simone Codeluppi, Gioele La Manno. Spatial tissue profiling by imaging-free molecular tomography. Nature Biotechnology 19. April 2021.