Einmalig scharfer Röntgenblick
Die Strukturen auf Mikrochips werden immer winziger, Festplatten schreiben ganze Enzyklopädien auf fingernagelgrosse magnetische Scheiben: Viele Technologien durchbrechen derzeit die Grenzen der klassischen Physik. Doch in der Nanowelt gelten andere Gesetze – die der Quantenphysik. Und dort sind noch viele Fragen offen: Wie wandert eigentlich Wärme durch ein Halbleitermaterial? Was passiert genau, wenn einzelne Bits in eine Computerfestplatte magnetisiert werden? Auf viele dieser und vieler anderer Fragen gibt es noch keine Antworten, hauptsächlich weil die üblichen experimentellen Methoden nicht tief und genau genug in die Werkstoffe schauen können und weil manche Vorgänge viel zu schnell für herkömmliche Experimentierverfahren ablaufen. Wenn man aber die technische Miniaturisierung weitertreiben will, muss man solche Phänomene auf atomarer Ebene verstehen.
Der Methodenmix macht's
Frischen Wind in die Sache bringt nun eine neue Methode, die sich Cristian Svetina vom PSI ausgedacht hat, gemeinsam mit Jeremy Rouxel und Majed Chergui an der EPFL in Lausanne, Keith Nelson am MIT in den USA, Claudio Masciovecchio am Fermi-FEL in Italien sowie weiteren internationalen Partnern. „Obwohl, neu ist die Methode eigentlich nicht, sie wird seit Jahrzehnten im optischen Bereich mit grossen Erfolgen eingesetzt“, sagt Svetina, der am PSI derzeit die neue Experimentierstation Furka an der Strahllinie Athos am SwissFEL aufbaut. Das Besondere sei die Kombination und Erweiterung bekannter Methoden aus der nichtlinearen Laserphysik, aber eben mit dem Röntgenlicht aus dem neuen Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL. In dieser Kombination ist das sowohl neu als auch überraschend. Zahlreiche andere Forscherteams weltweit haben Versuche unternommen, allerdings ohne Erfolg. Zuletzt wurden sogar Zweifel laut, ob diese neuen Experimente bei den hohen Energien von Röntgenstrahlung überhaupt erfolgreich sein können. Das Team am PSI hat bewiesen: Ja, es geht.
Im Kern handelt es sich um ein Verfahren, das sich im Englischen Transient Grating Spectroscopy nennt, was übersetzt so viel wie Übergangsgitter-Spektroskopie bedeutet. Unter Spektroskopie fassen die Physiker einen bewährten Strauss an Methoden zusammen, um Informationen über ein Material zu gewinnen, etwa aus welchen chemischen Elementen und Verbindungen es besteht, welche magnetischen Eigenschaften es besitzt oder wie sich die Atome darin bewegen. Bei der speziellen Variante der Transient Grating Spectroscopy wird die Probe mit zwei Laserstrahlen beschossen, die ein Interferenzmuster erzeugen. Ein dritter Laserstrahl wird an diesem Muster gebeugt, wodurch ein vierter Strahl entsteht, der die Informationen über die Eigenschaften der Probe enthält.
Unter die Oberfläche schauen
Mit dem Begriff Laser wird dabei immer Licht im sichtbaren oder im infraroten Bereich des Wellenlängenspektrums bezeichnet. Laser können in eine Probe nur mit einer begrenzten Auflösung von Hunderten Nanometern hineinschauen. Deshalb benötigt man Röntgenstrahlen. Den Forschern am PSI ist es nun erstmals gelungen, die Transient Grating Spectroscopy auch für einen Röntgenlaser zugänglich zu machen und das gleich mit sehr harten Röntgenstrahlen mit einer Energie von 7,1 Kiloelektronenvolt, was einer Wellenlänge von 0,17 Nanometern, also etwa dem Durchmesser mittelgrosser Atome entspricht. Der Vorteil: Erstmals ist es möglich, in Werkstoffe hineinzuschauen, mit einer Auflösung bis hinunter zu einzelnen Atomen, mit ultrakurzen Belichtungszeiten von Bruchteilen von Femtosekunden (eine millionstel Milliardstelsekunde). Das erlaubt es sogar, Videos von atomaren Vorgängen aufzunehmen. Ausserdem ist die Methode elementselektiv, das heisst, man kann gezielt bestimmte chemische Elemente in einem Gemisch aus Stoffen vermessen. Die Methode ergänzt andere Techniken wie die inelastische Streuung mit Röntgenstrahlung und Neutronen um eine bessere Auflösung bei Zeit und Energie.
Konkret sieht der Versuchsaufbau so aus: Der SwissFEL schickt einen Strahl mit einem Durchmesser von 0,2 Millimetern aus ultrakurzen Röntgenpulsen auf ein Gitter aus Diamant, das unter dem Mikroskop wie ein feiner Kamm aussieht. Diamant deshalb, weil er auch von energiereichen Röntgenstrahlen nicht zerstört wird. Das Gitter wurde eigens von Christian David vom Labor für Mikro- und Nanotechnologie am PSI hergestellt. Die Zinken des Kamms haben einen Abstand von zwei Mikrometern. Sie zerlegen den Röntgenstrahl in feine Teilstrahlen, die sich hinter dem Gitter überlagern und so das Beugungsmuster des Transient Grating erzeugen. Hinter dem Gitter kann man Eins-zu-eins-Abbildungen des Gitters beobachten, die sich in regelmässigen Abständen – den sogenannten Talbot-Ebenen – wiederholen. Platziert man eine Probe in einer dieser Ebenen, werden einige Atome darin angeregt, gerade so, als würde sie an der Stelle des Gitters sitzen. Dabei werden nur die Atome angeregt, die die Röntgenstrahlen in dieser periodischen Modulation "sehen", während die Nachbaratome, die die Bestrahlung nicht erfahren, im Grundzustand bleiben. Das ist der Clou der Methode, denn so können die Forscher charakteristische Bereiche selektiv anregen.
Kamera mit Blitzlicht
Die Anregung der Atome allein liefert aber noch keine Informationen. Dazu braucht es eine Art Kamera mit einem Blitz, der die Probe kurz belichtet. Das übernimmt bei der Transient Grating Spectroscopy ein Laser, der schräg auf die Probe zielt und minimal zeitverzögert zu dem Röntgenstrahl aus dem SwissFEL Bilder schiesst. Die Information kommt hinten aus der Probe heraus und trifft auf einen Detektor, der das Bild aufnimmt. In den ersten Experimenten hat sich ein Vorteil der Methode gezeigt: Sie erzeugt kein unerwünschtes Hintergrundsignal. „Wenn die Atome angeregt sind, sieht man ein Signal, sind sie nicht angeregt, sieht man nichts“, erläutert Svetina. Das ist äusserst wertvoll bei Messungen an Proben, die nur schwache Signale aussenden.
Dass Cristian Svetina und sein Team geschafft haben, was anderen Forschenden nicht gelungen ist, liegt an der Kreativität und Geduld der Protagonisten. „Wir sind schrittweise vorgegangen und wollten nicht alles auf einmal versuchen“, sagt der Physiker. Vor fünf Jahren haben die Forschenden ihre Experimente mit sichtbarem Licht begonnen und auf extremes ultraviolettes Licht ausgedehnt, bevor sie am PSI zu Röntgenlicht übergingen. Hier, anstatt gleich „echte“ Proben zu untersuchen, haben sie mit Goldfolien getestet, ob die Energie ausreicht, um Atome anzuregen. Dabei gelang es, das Gittermuster aus einer Talbot-Ebene in die Folie zu brennen. Svetina: „Da wussten wir: Wenn wir sogar Strukturen drucken können, können wir mit geringerer Intensität auch Atome anregen.“ Der Weg war damit frei für das mittlerweile gelungene Experiment. An einer Probe aus Bismut-Germanat konnten die Forschenden zeigen, dass die Methode alle Hoffnungen bezüglich Auflösung, Messtempo und Elementselektivität erfüllt.
Nächstes Ziel: Alles mit Röntgenstrahlen
Der letzte Schritt steht allerdings noch aus. Bisher handelt es sich nur bei dem Strahl, der die Probe anregt, um einen Röntgenstrahl. Der Blitz der Kamera kommt nach wie vor aus einem Laser, ist also sichtbares Licht. Der Gipfel wäre erreicht, wenn auch das ein Röntgenstrahl wäre. Svetina: „Diesen finalen Schritt wollen wir im Lauf des Jahres machen.“ Dabei bekommen sie weitere Unterstützung: Die Institute LCLS-SLAC und PULSE, beide in Stanford, Kalifornien, SPRING8-RIKEN in Japan und FLASH-DESY in Deutschland haben sich dem Team angeschlossen.
Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forschenden heute im Fachmagazin Nature Photonics.
Text: Bernd Müller