«LéXPLORE bringt Forschende unterschiedlicher Disziplinen zusammen – das ist fantastisch»
LéXPLORE ist seit zweieinhalb Jahren in Betrieb. Was wurde oder wird auf der Plattform bisher erforscht?
Natacha Tofield-Pasche: Es sind rund 30 Projekte im Gang. Manche nehmen physikalische Prozesse unter die Lupe, andere die Chemie oder Ökologie des Sees. Die Untersuchungen sind sehr vielfältig: Ein Team etwa erforscht Verunreinigungen durch Mikroplastik, ein anderes das Vorkommen der Quagga-Dreikantmuschel, einer invasiven Muschelart. Fünf Projekte widmen sich der Entwicklung neuer Technologien. Eine Gruppe der EPFL beispielsweise ist daran, ein Gerät zu entwickeln, das DNA – etwa von Bakterien – aus dem Wasser extrahieren und sequenzieren kann.
Sind Sie selber auch an einem dieser Forschungsprojekte beteiligt?
Tofield-Pasche: Ja, ich habe an einem kürzlich abgeschlossenen Projekt mitgearbeitet, das die Primärproduktion, also die Biomasseproduktion des Sees untersucht hat.
Damien Bouffard: Ich arbeite zurzeit an verschiedenen Projekten mit. Bei einem untersuchen wir die Rolle der vom Wind verursachten Oberflächenwellen auf den CO2-Austausch zwischen Luft und Wasser. Bei einem anderen Projekt vergleichen wird die von Satelliten ermittelte Oberflächentemperatur mit der Wassertemperatur, die wir vor Ort einige Zentimeter unter der Seeoberfläche messen.
Tofield-Pasche: Und ausserdem warst du für die Entwicklung der Open Science Plattform verantwortlich.
Bouffard: Ja, stimmt, das war auch eine Art Projekt. Mittlerweile ist die Open Science Plattform ein integraler Bestandteil von LéXPLORE. Die Überlegung dahinter war, dass wir der Forschungs-Community, aber auch der Öffentlichkeit, auf einer nutzerfreundlichen, ansprechenden Web-Plattform eine Reihe an Messdaten von LéXPLORE frei zur Verfügung stellen. Zum Beispiel die Temperatur in verschiedenen Seetiefen, das Sauerstoffprofil des Wassers oder diverse meteorologische Messungen wie zum Beispiel Windgeschwindigkeit. Diese Daten liefern wertvolle Hintergrundinformationen für spezifischere Fragestellungen und fördern interdisziplinäre Studien. Ziel ist es, dass die Datenplattform längerfristig mit Datensätzen aus den laufenden Forschungsprojekten angereichert werden kann.
Welche Vorteile hat dieses schwimmende Labor im Vergleich zu den üblichen Messungen vom Boot aus?
Bouffard: Normalerweise nimmt man Wasserproben und hat dann einen ziemlichen Stress. Denn die Proben müssen möglichst schnell ins Labor, damit die biologischen oder chemischen Prozesse, die man untersuchen will, möglichst wenig gestört werden. Dieses Problem haben wir hier nicht: Auf LéXPLORE können wir die Proben vor Ort analysieren und auswerten.
Tofield-Pasche: Ausserdem erlaubt uns die Plattform kontinuierliche Messungen. Die Messgeräte zeichnen rund um die Uhr und bei jedem Wetter auf. Wir können so zum Beispiel untersuchen, wie sich verschiedene Parameter im Tag-Nacht-Zyklus verändern. Oder welche Vorgänge sich im See während eines Sturms abspielen.
Es gibt auch auf anderen Seen schwimmende Forschungsstationen. Was macht LéXPLORE einzigartig?
Bouffard: Zum einen die Grösse des Sees. Viele Plattformen sind auf kleineren Seen installiert. Mit LéXPLORE können wir die Vorgänge in einem grossen See mit starkem Wellengang und Tiefenwasser untersuchen, der sich noch dazu in einer dicht besiedelten Region befindet.
Tofield-Pasche: Ein weiterer Unterschied ist sicherlich die Grösse und die Infrastruktur. Andere Plattformen sind in der Regel viel kleiner oder bestehen einfach aus mehreren Bojen mit Messgeräten. LéXPLORE ist hingegen ein richtiges Labor, in dem 16 Personen gleichzeitig arbeiten können, und mit diversen Hightech-Instrumenten ausgestattet.
Bouffard: Weil auf LéXPLORE so viele unterschiedliche Messungen zeitgleich geschehen, können wir ausserdem verschiedene Vorgänge miteinander vergleichen.
Zum Beispiel?
Bouffard: Die Echosender zeichnen auf, wenn Fische im Bereich der Plattform vorbeiziehen. Dieses Fischaufkommen lässt sich dann beispielsweise mit der Wassertemperatur vergleichen, die zu jenem Zeitpunkt gemessen wurde. Eine solche Kombination verschiedener Beobachtungen eröffnet uns ganze neue Möglichkeiten, um Seen besser zu verstehen. LéXPLORE fördert damit vielschichtigere Projekte und bringt Forschende unterschiedlicher Disziplinen in einem Labor zusammen – das ist einfach fantastisch und für mich persönlich eine grosse Motivation. Dieser gemeinschaftliche, kollaborative Aspekt zeichnet LéXPLORE aus.
Welches waren die grössten Herausforderungen bisher?
Tofield-Pasche: Zunächst einmal das Projekt an sich, dass wir LéXPLORE überhaupt realisieren konnten. Es hat sechs Jahre gedauert, von den ersten Diskussionen bis die Plattform dann auf dem Wasser war. Es gab immer wieder Stimmen, die sagten, «vergisst es, das wird nichts». Auch die Bevölkerung und der Segelclub der Anrainergemeinde Pully waren dem Projekt gegenüber anfangs kritisch eingestellt. Diesen Widerständen zu trotzen und sich nicht entmutigen zu lassen, war sicherlich eine Herausforderung.
Bouffard: Das ist denk ich vor allem Johny Wüests Verdienst. Er war bis vor kurzem Direktionsmitglied der Eawag und ist Professor an der EPFL. LéXPLORE war seine Idee – auch wenn er selber die Lorbeeren nie für sich alleine beanspruchen würde. Er hat das Projekt initiiert und hartnäckig weiterverfolgt.
Tofield-Pasche: Ja, absolut. Johny Wüest war die treibende Kraft hinter LéXPLORE. Er hat die richtigen Personen an Bord geholt, hat nie den Optimismus verloren und uns alle immer wieder motiviert. Ich bin froh, dass die Plattform noch vor seiner Pensionierung diesen August in Betrieb gehen konnte.
Und welche Knacknüsse gab es in technischer Hinsicht zu bewältigen?
Tofield-Pasche: Die Installation der Messinstrumente war eine Herausforderung. Und ist es immer noch, weil mit jedem neuen Projekt wieder neue Instrumente dazukommen. Unsere Techniker machen einen tollen Job, sie finden immer wieder neue und bessere Lösungen.
Bouffard: Es kommt auch immer wieder einmal vor, dass Instrumente ausfallen. Nach einem Sturm zum Beispiel. Bisher aber hat die Plattform Unwettern, ja selbst Blitzschlag, gut Stand gehalten.
Tofield-Pasche: Kritisch ist das Wetter auch für die Stromversorgung. Wegen anhaltendem Nebel lieferten die Solarpanels letzten Winter nicht genügend Strom und die Batterie war irgendwann leer. Der Generator ist dann aber wie vorgesehen angesprungen und hat die Stromversorgung sichergestellt.
Sie haben den Widerstand aus der Bevölkerung erwähnt. Wie sieht es denn jetzt aus? Ist die Akzeptanz gestiegen?
Tofield-Pasche: Ja, mittlerweile haben viele gemerkt, dass diese Plattform weder das Landschaftsbild noch die Schifffahrt stört. Viele fahren jetzt sogar mit ihren Booten bei der Plattform vorbei, um sie anzuschauen.
Bouffard: Was wir daraus lernen können, ist, die Leute früher mit ins Boot zu holen, ihnen besser zu erklären, was wir vorhaben, warum das, was wir machen, wichtig ist und der Allgemeinheit etwas bringt. Gerade bei einem stark genutzten See wie dem Genfersee sind zum Beispiel Erkenntnisse bezüglich Wasserqualität von allgemeinem Interesse.
Tofield-Pasche: Wir hatten eigentlich auch vor, im Sommer 2019 eine öffentliche Besichtigung durchzuführen. Wegen schlechten Wetters mussten wir die aber absagen. Und 2020 kam dann Covid. Wir hoffen sehr, dass wir ab 2022 zweimal pro Jahr eine solche Besichtigung anbieten können.
Hat LéXPLORE Ihre Erwartungen in den ersten zweieinhalb Jahren erfüllt?
Tofield-Pasche: Auf jeden Fall. Ich bin überrascht, wie viele Projekte bereits laufen. Und das obwohl wegen der Covid-Pandemie nur Forschungsteams aus der Schweiz und Frankreich auf der Plattform aktiv sind. Wir hoffen, dass bald auch internationale Kollaborationen möglich sein werden.
Bouffard: Meine Erwartungen hat LéXPLORE übertroffen. Ich schätze die Zusammenarbeit und den Austausch mit Forschenden verschiedener Fachrichtungen sehr. So entstehen neue Ideen.
Geplant ist, dass LéXPLORE bis 2026 in Betrieb sein soll. Besteht die Chance, die Plattform längerfristig zu nutzen?
Tofield-Pasche: Nein, eher nicht. Stand heute ist, dass wir die Plattform 2026 wieder abbauen müssen, weil die Nutzungsgenehmigung für diesen Seebereich dann ausläuft.
Bouffard: Wir haben uns von Anfang an darauf eingestellt, dass die Plattform nichts Permanentes sein wird. Es ist manchmal auch ganz gut, eine Deadline zu haben. So nutzen wir die Plattform nun umso intensiver und motivierter.