Das Djatlow-Pass-Mysterium und was ein Forschungsartikel auslösen kann

Das Lawinenmodell, mit dem Alexander Puzrin und Johan Gaume, zwei Forscher der ETH und der EPFL, das Rätsel vom Dyatlov-Pass erklärten, hat weltweit viele Reaktionen ausgelöst. In einem Folgeartikel reflektieren die beiden Forscher die Auswirkungen ihrer Forschungsergebnisse in Wissenschaft sowie Medien und beschreiben die Folgeexpeditionen zum Djatlow-Pass, die ihre Theorie der Schneebrettlawine untermauert haben.
Ihre Erklärung des Rätsels vom Djatlow-​Pass hat das Leben von Johan Gaume (EPFL) und Alexander Puzrin (ETH, rechts) verändert. (Bild: Jamani Caillet/EPFL)

Es gibt wissenschaftliche Artikel, deren Ergebnisse nicht nur unter Forschenden zu diskutieren geben, sondern ebenso in Medien und Gesellschaft: Genau das haben ETH-Professor Alexander Puzrin, Leiter des Instituts für Geotechnik, und EPFL-​Professor Johan Gaume, Leiter des Labors für Schnee-​ und Lawinensimulation sowie Gastwissenschaftler am ​Institut für Schnee-​ und Lawinenforschung SLF, im vergangenen Jahr erlebt.

2021 veröffentlichten sie einen Artikel in Communications Earth & Environment, einer neuen Zeitschrift von Nature Research. Darin konnten sie mit Hilfe von Computersimulationen und analytischen Modellen eine wissenschaftlich plausible Erklärung für das so genannte Rätsel vom Djatlow-​Pass geben. Ihr theoretisches Modell deutete darauf hin, dass eine seltene Art von kleinen Schneebrettlawinen indirekt zum Tod mehrerer Teilnehmer einer Ski-Expedition im Uralgebirge geführt haben könnte (vgl. ETH-News, 28.01.2021).

Annahmen und Modell bekräftigt

Im Januar 1959 brach eine zehnköpfige Gruppe, die hauptsächlich aus Studierenden des Polytechnischen Instituts des Urals bestand, zu einer Expedition zum Gora-Otorten-Berg in Westsibirien auf. Die Expedition fand unter sehr schwierigen Wetterbedingungen statt und nahm ein tragisches Ende: Neun Mitglieder der Gruppe wurden später tot aufgefunden. Die Ursachen wurden nicht vollständig ermittelt. Offiziell wurde eine «zwingende Naturgewalt» angegeben. Daneben wurden auch Militärexperimente, ein mörderischer Yeti oder Ausserirdische vermutet.

In einem Folgeartikel, der heute in Nature Communications Earth & Environment erschienen ist, beschreiben Puzrin und Gaume, wie die Wissenschaftsgemeinschaft, Medien aus der ganzen Welt oder Bergführer aus dem Ural auf die Forschungsergebnisse und die Medienberichte reagierten. In dem Folgeartikel gehen die Wissenschaftler auch auf die menschliche Seite ihrer Arbeit ein. Die Reaktionen fielen zum Teil sehr unterschiedlich aus, bevor ihr theoretisches Modell schliesslich akzeptiert wurde. Zum Teil wurde es in Frage gestellt, da der Hang am Djatlow-Pass nicht steil genug sei, hätten die Bedingungen hätten nicht ausgereicht, um eine Lawine auszulösen.

Vor allem gab es nach der Veröffentlichung des Nature-Artikels drei weitere Expeditionen zum Djatlow-Pass, die zusammen mit unabhängigen Untersuchungen russischer Schnee- und Klimawissenschaftler die Lawinenmodellierung von Gaume und Puzrin untermauerten. Die aus den Expeditionen gewonnenen Erkenntnisse bestätigen, dass die Region lawinengefährdet ist und die Hänge am Djatlow-Pass steil genug sind, um Schneebrettlawinen auszulösen.

Unterstützung von Dokumentarfilmer

Ungewöhnlich an Gaumes und Puzrins weiteren Erkenntnissen ist, dass nicht nur zwei Bergführer zu den neuen Ergebnissen beitrugen, sondern auch der investigative Journalismus von Matteo Born, der die Regie des Dokumentarfilms «Il mistero Dyatlov» führte, der auf dem italienischsprachigen Schweizer Sender RSI ausgestrahlt wurde. Das von Born mit Drohnen aufgenommene Filmmaterial trug wesentlich dazu bei, das Lawinenmodell der Forscher mit Messdaten zu belegen. Die Geschichte über das Rätsel des Dyatlov-Passes wurde nicht nur in einem Dokumentarfilm, sondern auch in einem Artikel des National Geographic aufgegriffen, der zu einem Comic von PICTOLINE inspirierte.

Zudem reflektieren Gaume und Puzrin in einem Interview mit den Kolleg:innen von EPFL Mediacom die intensive Medienberichterstattung und wie diese ihr Leben verändert hat. «Für mich persönlich ging es bei dieser ganzen Erfahrung darum, für die wissenschaftliche Methode als wertvolle, zuverlässige Methode zur Erklärung von Naturphänomenen einzutreten», sagt Alexander Puzrin in dem Interview.

Wer will, kann den Forschenden selbst zuhören: Im Oktober 2021 erzählten Alexander Puzrin und Johan Gaume im ETH-Podcast, was sie an dem Vorfall so fasziniert hat und was nach der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse passierte.

Literaturhinweis

Gaume J, Puzrin A. Mechanisms of slab avalanche release and impact in the Dyatlov Pass incident in 1959. Communications Earth and Environment. 28. Januar 2021. DOI: 10.1038/s43247-​020-00081-8

Puzrin A, Gaume J. Post-publication careers: follow-up expeditions reveal avalanches at Dyatlov Pass. Communications Earth & Environment, 24. März 2022. DOI: 10.1038/s43247-022-00393-x