«Das war richtige Detektivarbeit»
Am 26. November 2018 setzte der Insight-Lander der NASA erfolgreich auf dem Mars auf. Siebzig Mars-Tage später begann das auf der Marsoberfläche installierte Seismometer SEIS Erschütterungen des roten Planeten aufzuzeichnen. Bis heute hat es mehr als 1300 Beben registriert. Anhand der seismischen Aufzeichnungen konnten die Forschenden unter anderem die innere Struktur des Mars genauer als je zuvor beschreiben.
Doch nun droht der Mission das Ende: Die Solarpanels des Landers liefern zu wenig Energie, weil sie mit Staub bedeckt sind. ETH-Professor Domenico Giardini, der mit einem Team von Forschenden und Ingenieur:innen der ETH Zürich die Steuerelektronik für SEIS entwickelte und für den Marsbebendienst verantwortlich ist, zieht eine vorläufige Bilanz über die Mission und erklärt, warum er dennoch nicht pessimistisch ist.
ETH-News: Die Nasa erwartet, dass dem Insight-Lander Ende Sommer nicht mehr genügend Energie zur Verfügung steht, um das Seismometer weiterzubetreiben. Wie beurteilen Sie die Situation?
Domenico Giardini: Wie erwartet hat sich die Energieversorgung in den Monaten März und April wegen der Sandsturmsaison weiter verschlechtert. Auf den Solarpanels des Landers lagerte sich viel Staub ab, was die Stromversorgung mindert. Es gibt jedoch auch Windhosen, die den Staub gelegentlich entfernen. Wir hoffen daher, dass uns noch etwas mehr Zeit bleibt.
Reichen solche Windstösse aus, um die Panels zu reinigen?
Nicht ganz. Problematisch ist vor allem der äusserst feine Staub, der aufgrund elektrostatischer Anziehung an den Panels haftet. Daher ging die Nasa davon aus, dass Ende Sommer nicht mehr genügend Strom produziert werden kann, um die Mission weiterzuführen. Nun zeigt sich aber, dass die Energieversorgung besser ist als erwartet, und dass zumindest unser Seismometer weiter betrieben werden kann.
Wie lange reicht die Energie?
Wir werden sicher bis im August, mit Glück auch länger, Messungen durchführen können. Zurzeit läuft der Betrieb gut. Das Seismometer misst permanent und der Lander übermittelt laufend Daten. Ab Juli werden wir wahrscheinlich nur noch stundenweise messen können. Auch die Übermittlung der Daten an die Erde müssen wir optimieren. Wir werden dann wahrscheinlich nur noch sporadisch Daten bekommen.
Trotz dem baldigen Ende: Wie sieht Ihre Bilanz bisher aus?
Wir sind sehr zufrieden - diese Mission dauert bereits jetzt doppelt so lange wie geplant. Und sie war eines der aufregendsten Projekte, an dem ich mitarbeiten durfte. Etwas vom Schönsten ist, dass sich die Wissenschaft schrittweise entwickelt hat. Der Mars war ein im Grund genommen unbekannter, unerforschter Planet. Über seine innere Struktur wussten wir vor dieser Mission kaum etwas, heute sind wir um viele wichtige Erkenntnisse reicher.
Ist die Nasa ebenfalls zufrieden?
Die interne Begutachtung der Mission, welche die Nasa diesen Frühling durchführte, war wirklich enthusiastisch. Sie würde sogar eine weitere Verlängerung von zwei Jahren bewilligen, wäre die Energieversorgung gewährleistet. Die Nasa hat ein starkes Interesse, die Station so lange wie möglich am Leben zu erhalten und die Messungen weiterzuführen, weil sie viele aufregende wissenschaftliche Erkenntnisse hervorgebracht hat.
Was lief nicht so gut wie erhofft?
Wir lagen mit unserer Annahme, dass der Mars seismisch aktiver ist, dass es mehr und vor allem auch grössere Beben von Magnitude 5 und höher gibt, falsch. Vor der Mission hatten wir eine Karte erstellt, wo wir seismisch aktive Zonen erwarten. Doch die Messungen zeigten, dass die Erschütterungen an anderen und an weniger Orten auftraten und dass die Beben kleiner waren. Die Seismizität trat vor allem in einem Gebiet auf, das in jüngerer Zeit vulkanisch aktiv war. Das hatten wir erwartet. Aber anderswo traten die erwarteten Beben nicht auf. Das hat mich überrascht. Schlussendlich aber registrierten wir zahlreiche mittelgrosse Beben, und diese ermöglichten es uns, die innere Struktur des Planeten zu erkunden, was ja auch das Forschungsziel der Insight-Mission ist.
Was bedeutet das für die Auswertung?
In die Auswertungen mussten wir viele kleine und mittelgrosse Beben einbeziehen. Auf der Erde verwenden wir solche Ereignisse normalerweise kaum. Es war wirklich Detektivarbeit! Viele der Techniken, die wir anwenden wollten, konnten wir nicht brauchen, und wir mussten neue Herangehensweisen entwickeln, um mit nur einer seismologischen Messstelle auszukommen. Zum Glück waren wir damit erfolgreich.
Mitte Mai hat es – gerade noch rechtzeitig - eine grosse Überraschung gegeben: Die Nasa vermeldete, dass SEIS erstmals ein Beben von Magnitude 5 auf dem Mars gemessen hat. Können Sie damit noch etwas anfangen?
Dieses Beben kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Nach mehreren Ereignissen mit Magnitude 4 endlich eines von Magnitude 5!. Selbst nach drei Jahren intensiver Analysen hilft es uns, die Seismizität und die innere Struktur noch besser zu verstehen. Mit diesen Daten können wir Neues beginnen, und sie werden in weitere Auswertungen einfliessen, etwa bei der Untersuchung von Wellen, die auf der Mars-Oberfläche entlanglaufen. Da stehen wir erst am Anfang, weil solche Wellen nur durch grössere Beben erzeugt werden. Bei diesem neuen Ereignis haben wir aber starke Oberflächenwellen beobachtet, die mehrmals um den Mars herumreisen und damit ein unentbehrliches Werkzeug darstellen, um die Struktur der Kruste zu erforschen. Alle Teams sind nun wieder voll an der Arbeit!
Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass in der verbleibenden Zeit weitere grosse Beben auftreten und registriert werden können?
Die Magnitude eines Bebens ist wichtig, aber noch wichtiger ist die Kombination von Distanz und Magnitude. In unserer Forschung suchen wir nach speziellen Wellen, die durch den Planetenkern hindurchlaufen oder sich an dessen Oberfläche fortbewegen, ehe sie wieder an die Plantenoberfläche kommen. Solche Wellen sind selten, selbst auf der Erde. Auf dem Mars haben wir erst eine Handvoll davon registriert. Jedes neue grosse Beben kann uns weitere wertvolle Informationen bescheren.
Es fehlt also trotz allem an Daten?
Ideal ist vor allem, wenn wir ein neues Ereignis registrieren, das ausserhalb der vulkanischen Zone liegt, in der wir schon 30 Ereignisse registriert haben. Wir untersuchen einen ganzen Planeten mit nur zehn Beben aus verschiedenen Distanzen. Wenn diese Beben immer dasselbe Epizentrum haben, würden uns auch 100 Events nichts nützen.
Würde es theoretisch etwas bringen, weitere Seismometer auf dem Mars zu platzieren?
Sicher! Beben von der anderen Seite des Planeten sehen wir nicht, wenn sie zu klein sind. Sie gehen im starken Hintergrundrauschen unter. Wir wissen also nicht, was auf der anderen Seite geschieht.
Wie geht es für die Marsforschung an der ETH nach Insight weiter?
Bei den Mars- und Mondprogrammen steht jetzt im Vordergrund, Menschen dorthin zu fliegen. Das ist nicht unsere Expertise. Wir werden uns aber auf jeden Fall einklinken, wenn wissenschaftliche Geräte benötigt werden, etwa um zu untersuchen, wieviel Wasser und Eis auf dem Mond vorhanden sind. Wir werden Geräte entwickeln, mit denen man auf dem Mond bis in grössere Tiefen nach Wasser suchen kann. Die Ausschreibung zu einem solchen Projekt erwarten wir 2022 oder 2023. Die Technologien, die wir dafür brauchen, ähneln derjenigen von Insight.
Sie werden bald pensioniert. Wie motivieren Sie sich dafür, Projekte zu lancieren, deren Ende Sie vielleicht nie erleben werden?
Ich werde meine Professur an der ETH bis 2028 behalten, aber solche grossen Weltraummissionen sind Generationenprojekte. Jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin sollte auch Dinge vorantreiben, deren Ausgang er oder sie zu Lebzeiten vielleicht nicht mehr erleben wird.
Sie haben also keine Zweifel, dass solche Lebenszeitinvestitionen richtig sind?
Nein! In einem Land wie der Schweiz mit all ihren Möglichkeiten kommen mir keine solche Zweifel. Ich arbeite seit 20 Jahren an der Esa-Mission Lisa Pathfinder, mit der die Gravitationswellen im All entdeckt werden sollen, und Lisa wird erst 2035 gestartet. Wenn die Esa Projekte für Mond-Missionen ausschreibt, wieso soll ich mich nicht bewerben? Ich habe noch lange nicht genug!