Europakarte der Aerosolverschmutzung kann der öffentlichen Gesundheit dienen
Gute Luftqualität ist entscheidend für unsere Gesundheit. Aerosole, auch Feinstaub genannt, können gesundheitsschädlich sein, unter anderem weil die Schwebeteilchen tief in die Lunge eindringen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO verursacht Luftverschmutzung in Form hoher Aerosolkonzentrationen weltweit jährlich 7 Millionen Todesfälle. Um sinnvolle Massnahmen zur Luftverbesserung ergreifen zu können, ist es wichtig, die hauptsächlichen Aerosolquellen zu ermitteln.
Unter der Leitung des Paul Scherrer Instituts PSI haben Forschende nun eine Europakarte der Aerosolquellen erstellt. Hierfür haben sie Daten ausgewertet, die an 22 Standorten sowohl in Städten als auch in ländlichen Gebieten in ganz Europa erhoben wurden. Sie haben die wichtigsten Quellen für organische Aerosole – sowohl natürlichen als auch menschlichen Ursprungs – und deren Schwankungen im Verlauf von Tagen, Monaten und Jahreszeiten ermittelt.
«Für die Forschung im Bereich Luftqualität ist dies ein grosser Durchbruch», sagt Imad El Haddad, Leiter des Labors für Atmosphärenchemie ad interim am PSI und Mitautor der Studie. «Unsere Daten können nun benutzt werden, um Modelle zur Luftqualität zu verbessern.» Diese Modelle werden in der Epidemiologie genutzt, um zu bestimmen, welche Aerosolquellen die grösste Gesundheitsgefahr bergen. «Darauf aufbauend könnten politische Entscheidungsträger zielgerichtete Massnahmen zur Reduktion der schädlichsten Aerosole vornehmen», so der PSI-Forscher.
Verbrennung und Verkehr
Wenngleich die Zusammensetzung des Feinstaubs von Ort zu Ort variierte, machten die Forschenden durchweg eine Hauptquelle der Aerosolverschmutzung aus: das Heizen von Wohngebäuden mit festen Brennmaterialien wie Holz oder Kohle.
«Wenn Holzscheite, Holzpellets, Kohle oder – in einigen Ländern – Torf zum Heizen von Wohnhäusern verwendet werden, wird viel Feinstaub in die Luft freigesetzt, der für die Lokalbevölkerung gesundheitsschädlich ist», sagt Gang Chen, Aerosolforscher am PSI und Erstautor der neuen Publikation. «Im Gegensatz zu Kraftwerken, für die es strenge Vorschriften und Filtersysteme gibt, unterliegen die Emissionen von Wohnheizungen in den meisten europäischen Ländern, so auch in der Schweiz, nicht ausreichend strengen Vorschriften.» Beispielsweise werden in ländlichen Gebieten der Alpen noch viele Häuser mit festen Brennstoffen beheizt. «Holz ist ein natürliches Material. Wahrscheinlich ist deshalb vielen Menschen nicht bewusst, wie gesundheitsschädlich die Verbrennung von Holz ist», fügt Chen hinzu, der in der Forschungsgruppe für Gasphasen- und Aerosolchemie am PSI unter der Leitung von André Prévôt arbeitet, der auch diese internationale Studie leitete. Die Forschenden hoffen, mit ihrer Arbeit die Öffentlichkeit stärker für die Auswirkungen von Gebäudeheizungen auf die Luftqualität zu sensibilisieren.
Verkehr ist eine weitere wesentliche Feinstaubquelle. Während die Abgasemissionen des Strassenverkehrs seit den 1990er-Jahren strengen Vorschriften unterliegen, sollten zur Verbesserung der Luftqualität auch andere Emissionen wie Reifen- und Bremsenabrieb stärker beachtet werden, so die Wissenschaftler.
Standardisiertes Protokoll als Vorlage für den weltweiten Einsatz
Die Daten für die neue Publikation stammen von 22 Messstationen in 14 Ländern, verteilt über den europäischen Kontinent, an denen verschiedene Universitäten und Institutionen jeweils ihre eigenen Aerosol-Messstationen betreiben. Die PSI-Forschenden entwickelten ein standardisiertes Protokoll, mit dem die Daten ausgewertet und die Aerosolquellen ermittelt werden konnten. Die Studie ist das Hauptergebnis des internationalen Projekts «Chemical On-Line cOmpoSition and Source Apportionment of fine aerosoL» (COLOSSAL) und entsprechend hat die Fachveröffentlichung eine gemeinsame Autorenschaft von 70 Forschenden.
Entscheidend für die Studie waren auch mehrere langjährige EU-Forschungsinfrastrukturen, darunter das «Aerosols, Clouds, and Trace gases Research InfraStructure Network» (ACTRIS). «ACTRIS und andere paneuropäische Forschungsinfrastrukturen sind der Ausgangspunkt unserer Forschung und liefern hochwertige Langzeitdaten über kurzlebige Bestandteile der Atmosphäre, die für unser regionales Klima und die öffentliche Gesundheit relevant sind», sagt El Haddad. Diese Infrastrukturen liefern nicht nur wichtige Informationen für politische Entscheidungsträger, sondern bilden auch die Grundlage für mehrere europäische Forschungsprogramme wie beispielsweise das Programm «Research Infrastructures Services Reinforcing Air Quality Monitoring Capacities in European Urban & Industrial AreaS» (RI-URBANS).
Die Forschenden hoffen, dass ihre jetzige Veröffentlichung als Grundstein für einen globalen Auftrag verstanden wird. «Wir haben für Europa gezeigt, dass unser standardisiertes Protokoll der Datenauswertung funktioniert. Es kann nun von Forschenden überall übernommen werden», so Chen. «Das PSI ist weltweit führend in dieser Arbeit, mit der wir die gemessenen Aerosole ihren Quellen zuordnen können. Wir möchten unser Protokoll gerne ausweiten, um Aerosolkarten der ganzen Welt zu erhalten.»
Ausserdem erhoffen sich die Forschenden, dass diese Art Daten bald in Echtzeit gesammelt und analysiert werden kann. «Damit liesse sich die Wirksamkeit von Massnahmen zur Feinstaubreduzierung unmittelbar feststellen», sagt Chen.
Richtwerte effizienter gestalten
Derzeit fordert die WHO, dass die Gesamtmenge der Aerosole, die einen Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer haben, nicht mehr als 5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft beträgt. Diesen Wert hat die WHO erst kürzlich neu definiert, zuvor lag er bei 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. «Allerdings werden beide Werte fast überall überschritten», sagt El Haddad. «Setzt man den neuen Wert von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter an, dann leben 99 Prozent aller Menschen in Gebieten, in denen dies derzeit nicht erfüllt ist. In der Schweiz wurde vor wenigen Jahren immerhin der Wert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft unterschritten – dank bisheriger Anstrengungen zur Reduktion von Feinstaub.»
Damit die Verbesserung der Luftqualität effizienter voranschreitet, könnten in Zukunft die Grenzwerte insbesondere für die gesundheitsschädlichsten Aerosole stärker gesenkt werden als für andere, argumentieren die Forschenden. Chen fügt hinzu: «Letztlich geht es darum, Menschenleben zu retten. Unsere Daten helfen dabei, dass wir bei der Luftqualität gute Prioritäten setzen.»