Neue Wege zur Regeneration von Gliedmassen dank dem Axolotl

EPFL-Forschende beleuchten die einzigartigen Fähigkeiten des Axolotls zur Regeneration von Gliedmassen. Sie stellen damit weit verbreitete Vorstellungen in Frage und bieten neue Einblicke in die potenzielle Regeneration von Gliedmassen bei Säugetieren.
Ein Axolotl © Tatiana Sandoval-Guzmán (Université technique de Dresde)

In den ruhigen Gewässern Mexikos fasziniert der Axolotl – eine Salamanderart – Forschende seit langem mit seiner bemerkenswerten Fähigkeit, verlorene Gliedmassen nachwachsen zu lassen. Diese faszinierende Fähigkeit hat ihn in den Blickpunkt von Forschenden gerückt, die versuchen, die Geheimnisse der Gliedmassenregeneration zu entschlüsseln. Dennoch hat sich die Regenerationsfähigkeit des Axolotl als schwer fassbar erwiesen und zu einer nicht geringen Kontroverse geführt.

Die Schlüsselfigur ist eine Struktur, die als «apikal-ektodermaler Rücken» (VRE) bekannt ist und eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Gliedmassen bei Wirbeltieren spielt. Im sich entwickelnden Embryo bildet sich der VRE aus der so genannten Gliedmassenknospe und wird zum wichtigsten Signalzentrum, das das ordnungsgemässe Wachstum der Gliedmassen des neuen Organismus organisiert und gewährleistet. Ohne ein VRE sollten keine Gliedmassen gebildet werden.

Was hat das mit dem Axolotl zu tun? In zahlreichen Studien, die zu verstehen versuchten, wie der Axolotl seine Gliedmassen regeneriert, konnte nicht festgestellt werden, ob diese Tiere VRE-Zellen verwenden oder sogar besitzen. Die Bedeutung dieser Frage kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, da diese Zellen von mehreren Arten genutzt werden und als Voraussetzung für eine erfolgreiche Entwicklung der Gliedmassen gelten, auch beim Menschen.

Nun haben Forschende der EPFL und der TU Dresden endlich den Mechanismus des Nachwachsens von Gliedmassen beim Axolotl entschlüsselt und damit neue Erkenntnisse gewonnen, die grosse Auswirkungen auf die regenerative Medizin beim Menschen haben. Die in Nature Communications veröffentlichte Studie wurde von der Gruppe von Can Aztekin, einem Early Independent Research Scholar (ELISIR) und Branco Weiss Fellow an der EPFL-Fakultät für Life Sciences, in Zusammenarbeit mit der Gruppe von Tatiana Sandoval-Guzmán an der TU Dresden geleitet.

Einzelzell-Transkriptomik: ein Multi-Spezies-Atlas

Die Forschenden begannen mit der Erstellung eines «Atlasses» – eines Datensatzes auf höchster Ebene – des Transkriptoms einzelner Zellen von mehreren Arten, darunter Axolotl, Menschen, Mäuse, Hühner und Frösche. Das Transkriptom stellt einen umfassenden Satz von RNA-Transkripten dar, die vom Genom einer Zelle produziert werden.

«Durch den Einsatz eines noch nie dagewesenen Atlasses und den Vergleich tausender einzelner Zellen aus fünf Arten, darunter Menschen und Axolotl, bot uns unsere Strategie die einmalige Chance, die einzigartige Zelllandschaft des Axolotl während des Nachwachsens von Gliedmassen sowie die Ähnlichkeit dieser Tiere mit dem Menschen auf unvoreingenommene Weise zu bestimmen», sagt Can Aztekin.

Ziel des Atlasses war es, die Genexpressionsprofile der verschiedenen Arten während der Entwicklung und Regeneration der Gliedmassen detailliert zu vergleichen und zu bestimmen, welche Gene beteiligt sind und welche nicht.

«Trotz früherer widersprüchlicher Berichte zeigt unsere Arbeit, dass diese Tiere Zellen mit ähnlichen Eigenschaften besitzen, wie sie für die Entwicklung von Armen und Beinen bei anderen Spezies, einschliesslich des Menschen, wichtig sind», sagt Jixing Zhong, Erstautor der Studie und Doktorand im Aztekin-Labor.

Neue Wege zur Regeneration von Gliedmassen eröffnen

Die Studie hatte jedoch eine Besonderheit, die lange vorherrschende Annahmen über die Regeneration von Gliedmassen in Frage stellt. Die Forschenden wendeten einen Ansatz an, der als «räumliche Transkriptomik» bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine hochmoderne Technik, die Aufschluss darüber gibt, welche Gene in bestimmten Teilen eines Gewebes exprimiert werden.

Der Ansatz zeigte, dass sich die Gliedmassen des Axolotl während der Regeneration nicht vollständig aus VRE-Zellen erneuern. Aztekin erklärt: «Während der Regeneration beim Axolotl bilden sich die VRE-ähnlichen Zellen nicht vollständig neu, wie viele angenommen hatten – sogar entgegen dem Dogma in unseren allgemein verwendeten Lehrbüchern – und enthüllen damit einen einzigartigen Ansatz für das Nachwachsen von Gliedmassen bei Axolotl.»

Die Studie zeigte, dass der Axolotl Teile des grundlegenden VRE-Programms für die Gliedmassenentwicklung nutzt – wie andere Arten auch – aber es ist auf verschiedene Zelltypen aufgeteilt. Die Entdeckung stellt nicht nur bisherige Annahmen über die Regeneration von Gliedmassen und die Entwicklungsbiologie in Frage, sondern ermöglicht nun auch die Erforschung verschiedener Strategien für die Regeneration von Gliedmassen bei Säugetieren, einschliesslich des Menschen.

«Während man bisher dachte, es gäbe eine universelle Methode zur Gliedmassenregeneration, deuten unsere Ergebnisse auf eine komplexere Realität hin», sagt Zhong. Aztekin fährt fort: «Bei der Untersuchung der Regenerationsfähigkeiten von Axolotl und Froschkaulquappen, den Arten, die dem Menschen evolutionär am nächsten stehen und Gliedmassen regenerieren können, entdeckten wir, dass diese Arten während des Regenerationsprozesses unterschiedliche Zelltypen verwenden, was darauf hindeutet, dass es möglicherweise mehrere Wege zur Gliedmassenregeneration gibt.»

Weitere Informationen

Finanzierung

  • EPFL School Life Sciences ELISIR-Stipendium
  • Stiftung Gabriella Giorgi-Cavaglieri
  • Branco-Weiss-Stipendium
  • Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)
  • Von-Humboldt-Stiftung
  • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Referenzen

Jixing Zhong, Rita Aires, Georgios Tsissios, Evangelia Skoufa, Kerstin Brandt, Tatiana Sandoval-Guzmán, Can Aztekin, Multi-species atlas resolves an axolotl limb development and regeneration paradox, Nature Communications 10. Oktober 2023