Aquatisches Leben im Untergrund
Flohkrebse sind mit einer Länge von zwei Zentimetern auch in Oberflächengewässern nicht besonders gross, im Grundwasser jedoch sind sie winzig. Dort messen sie meist zwischen einem und zehn Millimetern. Welche Arten von Flohkrebsen und anderen Organismen im Schweizer Grundwasser zu finden sind, hat ein Team um Prof. Florian Altermatt vom Wasserforschungsinstitut Eawag untersucht – und dabei auch gleich vier neue Flohkrebsarten entdeckt.
Dass auch das Grundwasser einen aquatischen Lebensraum darstellt, ist schon länger bekannt und in gewissen Regionen Europas bereits länger dokumentiert. Doch, so Roman Alther, Erstautor der Studie: «Das Wissen um die Vielfalt unterirdischer Organismen ist immer noch bruchstückhaft, auch in einem Land wie der Schweiz, wo die Tierwelt relativ gut untersucht ist.» Nun soll in der Schweiz Grundlagenwissen zur Vielfalt des Lebens im Untergrund geschaffen werden. «Es wichtig, auch diese Biodiversität zu schützen», sagt Biologe Alther, «denn unterirdische Ökosysteme erbringen für uns wichtige Dienstleistungen wie etwa Trinkwasser.» Zur Erinnerung: In der Schweiz werden rund 80 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen.
Neue Flohkrebsarten entdeckt
In ihrer Pilotstudie hat die Gruppe von Florian Altermatt nun den ersten Stein einer schweizweiten Bestandsaufnahme gesetzt. Dabei zeigten Grundwasserproben von 313 Standorten in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Solothurn und Zürich eine vielfältige bisher nicht dokumentierte Wasserfauna: Unter anderem Organismen von verschiedenen bedeutenden Gruppen von Wirbellosen, vor allem Krebse. Besonders interessiert haben die Forscher dabei die Höhlenflohkrebse (Niphargus), eine Gattung der Flohkrebse. In den Grundwasserproben fanden sich Individuen von acht Arten, zwei davon (N. fontanus und N. kieferi) wurden zum ersten Mal in der Schweiz gefunden. Zudem entdeckten die Forschenden vier phylogenetische Abstammungslinien, die der Wissenschaft bisher unbekannt waren, und bei denen es sich um neue Arten handeln könnte. Eine davon wurde jetzt formell als neue Art Niphargus arolaensis beschrieben, der Aare-Grundwasserflohkrebs.Zusammenarbeit mit Praktikern der Trinkwasserversorgung
Speziell an der Untersuchung der Grundwasserfauna ist nicht zuletzt, wie die Forschenden bei der Datenerhebung vorgegangen sind: Sie setzten bei der Entnahme von Grundwasserproben auf die Unterstützung von Brunnenmeistern. Um das Forschungsvorhaben unter den Trinkwasserversorgern bekannt zu machen, wurde das Projekt in persönlichen Briefen, an einer Fachtagung und in direkten Gesprächen vorgestellt. Mit durchschlagendem Erfolg: Von 130 Brunnenmeistern, die sich näher für das Projekt interessierten, erklärten sich schliesslich 82 zur Probeentnahme bereit.
Die Brunnenmeister mussten dabei nach einem genau festgelegten Protokoll vorgehen und von den Forschenden geliefertes Beprobungsmaterial einsetzen. Der wichtigste Schritt: Einen Filterbeutel an den Abflussleitungen anbringen, durch die das Grundwasser in die Brunnenstuben fliest. Darin wurde das gesamte, während einer Woche aus der Grundwasserschicht eingeschwemmte, Material gesammelt. Danach entnahmen die Brunnenmeister den Beuteln alle Lebewesen und schickten sie, in einem mit Ethanol gefüllten Gefäss verpackt, an die Eawag. «Das Interesse und die Hilfsbereitschaft, auf die wir bei den Brunnenmeistern gestossen sind, war fantastisch», erzählt Roman Alther.
Der Citizen-Science-Ansatz mit einer ausgewählten Gruppe von Bürgerforschern soll denn auch Bestandteil der bereits geplanten Ausweitung des Projekts sein. In den nächsten Jahren sollen Daten aus mehreren Hundert über die ganze Schweiz verteilten Brunnenstuben gewonnen werden. Ziel ist ein landesweiter Überblick über die Biodiversität im Grundwasser. Neu soll in Zukunft auch die Umwelt-DNA-Methode eingesetzt werden. Dabei reichen zum Beispiel Hautpartikel oder Fäkalien von Lebewesen aus um deren Vorkommen zu dokumentieren.
Qualitätskontrolle mit Bioindikatoren
Eines der Ziele des ausgeweiteten Projekts ist, Grundlagen zu etablieren, um die Flohkrebse und deren Vorkommen als möglichen Indikator für die Qualität des Grundwassers nutzen zu können. Bisher wird die Qualität des Grundwassers anhand von physikalisch-chemischen Parametern untersucht und die Belastung mit Bakterien festgestellt. In Oberflächengewässern hingegen ist das Monitoring der Gewässerqualität mit Hilfe von Bioindikatoren weitverbreitet. Sie gelten als Sensoren für sehr niederschwellige oder langfristige Belastungen und können mehrere Faktoren integrieren. «Für das Grundwasser gibt es bisher keine Indikatoren», sagt Roman Alther, «doch grundsätzlich ist ein Vorkommen von Flohkrebsen und anderen Arten ein gutes Zeichen.»