Forschende entwickeln bleifreie piezoelektrische Materialien
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie haben herausgefunden, dass durch die Manipulation von atomaren Defekten in einem bleifreien Material, das normalerweise nicht piezoelektrisch ist, ein grosser piezoelektrischer Effekt erzeugt werden kann. Piezoelektrische Materialien sind in modernen Geräten wie Digitaluhren, Autos (zur Kontrolle von Schadstoffemissionen) und Ultraschallgeräten (für die medizinische Diagnose und Bildgebung) weit verbreitet: «Piezoelektrische Materialien wandeln elektrische Energie in mechanische Energie um und umgekehrt», erklärt Dr. Dae-Sung Park, Postdoc in der EPFL-Forschungsgruppe für Ferroelektrika und funktionale Oxide unter der Leitung von Prof. Dragan Damjanovic. Sie sind praktisch und vielseitig und können als Kraftsensoren, Aktuatoren für bewegte Objekte oder Hochfrequenzresonatoren für die Bildgebung und elektronische Filter eingesetzt werden». Solche miniaturisierten Bauelemente, die sowohl elektrische als auch mechanische Eigenschaften aufweisen, werden als mikro-elektromechanische Systeme (MEMS) bezeichnet.
Die Symmetrie des Materials
MEMS sind vielversprechend für biomedizinische Anwendungen, z. B. für die Diagnostik, Prognostik und Therapie, aber das Bleimetall, das die besten von ihnen enthalten, ist giftig für den menschlichen Körper und die Umwelt. Forschende arbeiten daher an der Entwicklung bleifreier Alternativen zu den derzeit in MEMS verwendeten piezoelektrischen Materialien. Die Forschungsarbeiten von Dr. Park und Prof. Damjanovic wurden im Rahmen des BioWings-Projekts durchgeführt, einer EU-Initiative zur Entwicklung bleifreier MEMS, die als Aktoren in verschiedenen biomedizinischen Anwendungen eingesetzt werden können: «Das Hauptziel von BioWings ist es, Systeme zu entwickeln, die auf einer Eigenschaft namens Elektrostriktion und nicht auf Piezoelektrizität beruhen», sagt Damjanovic.
© Alain Herzog 2022 EPFL
Bei der Elektrostriktion wird, wie bei der Piezoelektrizität, elektrische in mechanische Energie umgewandelt. Der Hauptunterschied zwischen Piezoelektrizität und Elektrostriktion besteht darin, dass sich piezoelektrische Materialien je nach dem angelegten elektrischen Feld entweder ausdehnen oder zusammenziehen», sagt Damjanovic, «elektrostriktive Materialien verformen sich unabhängig von der Ausrichtung des elektrischen Feldes auf dieselbe Weise.»
100 Mal effektiver
Die EPFL-Forschenden fanden einen Weg, diesen symmetrischen elektrostriktiven Effekt zu brechen, indem sie zusätzlich zu einem Wechselfeld ein konstantes elektrisches Feld anlegten. Dadurch wurde die elektrostriktive Eigenschaft von gadoliniumdotiertem Ceroxid im Wesentlichen in eine piezoelektrische umgewandelt.
«Der Zusatz von Gadolinium in Ceroxid führt zu einer hohen Konzentration von atomaren Defekten (Sauerstofflücken), die in Gegenwart eines elektrischen Feldes mobil sind. Das bedeutet, dass ein starker piezoelektrischer Effekt in gadoliniumdotiertem Ceroxid durch die Kontrolle der Defekte induziert werden kann», sagt Park. «Durch die Manipulation der beweglichen Defekte können wir die piezoelektrische Suszeptibilität um den Faktor 100 erhöhen, selbst im Vergleich zu den leistungsfähigsten bleihaltigen piezoelektrischen Materialien», fügt Damjanovic hinzu: «Unser Ziel ist es nicht, diese Materialien zu eliminieren oder zu ersetzen, sondern vielmehr Alternativen zu den bleihaltigen Materialien zu schaffen.»
Die Wissenschaftler hatten nicht erwartet, so ermutigende Ergebnisse zu erzielen. Park verbrachte mehr als zwei Jahre mit der Überprüfung seiner Schlussfolgerungen, bevor er sie in der Zeitschrift Science veröffentlichte: «Wir haben eine wichtige wissenschaftliche Entdeckung für die Bereiche der ionischen, piezoelektrischen und ferroelektrischen Materialien gemacht.»
Das Projekt BioWings zielt darauf ab, biokompatible elektrostriktive intelligente Materialien für die zukünftige Generation von MEMS zu entwickeln. Der pensionierte EPFL-Professor Paul Muralt, der auch an dieser Forschung beteiligt war, war einer der Initiatoren des BioWings-Projekts, das von der Europäischen Union im Rahmen von Horizont 2020 als Teil des Programms Future Emerging Technologies (FET) Open finanziert wird. Zu den Projektpartnern gehören Forschungszentren in Dänemark, Israel, Schweden und der Schweiz.