Die Welt verändert sich
Den Begriff Klimaerwärmung findet Christoph Schär, ETH-Professor für Klima- und Wasserkreislauf, eigentlich nicht ganz treffend. «Klimaanfeuchtung würde den Sachverhalt besser beschreiben. Denn der grösste Teil der Energie, die von der Sonne zur Erde gelangt, geht in die Verdunstung des Wassers und treibt damit den Wasserkreislauf an.» Doch just die Verdunstung des Wassers bereitet den Forschenden bei der Modellierung des Klimas am meisten Kopfzerbrechen. Die globalen Klimamodelle berechnen das Klima mit Hilfe von Gitterpunkten, die einen Abstand von 50 bis 100 Kilometer haben, und können daher die kleinräumigen Gewitterzellen nicht korrekt abbilden. Gerade das wäre aber wichtig, denn die geografische und saisonale Verteilung der Gewitterzellen treibt die atmosphärische Zirkulation an, vor allem in den Tropen, wo die Sonneneinstrahlung am stärksten ist.
Bisher überbrücken die Forschenden diese Lücke, indem sie die Gewitterwolken in den Modellen behelfsmässig mit zusätzlichen Parametern abbilden – mit mässigem Erfolg. «Die Voraussagen des künftigen Klimas sind immer noch relativ unpräzis», hält Schär fest. «Wenn wir nicht wissen, wie viele Wolken in den Tropen entstehen, wissen wir nicht, wie viel Licht auf die Erdoberfläche trifft – und damit auch nicht, wie gross das globale Energiebudget effektiv ist.»
Eindrückliche Präzision
Diese Unsicherheit wollen die Wissenschaftler:innen in den nächsten Jahren überwinden. Schär arbeitet bereits mit Modellen, die nur noch eine Auflösung von 1 bis 2 Kilometer haben. Damit kann man das Geschehen mit hoher Präzision nachbilden. Schär hat mit seiner Gruppe auf einem Supercomputer das Geschehen im tropischen Atlantik über mehrere Jahre hinweg nachbildet und daraus eine eindrückliche Visualisierung erstellt, die einem Satellitenbild verblüffend ähnlich sieht: Regenfronten ziehen von Ost nach West quer über Afrika, vor der Küste Brasiliens bilden sich klein strukturierte Wolkenfelder, mitten im Atlantik entstehen Hurrikans und ziehen nach Norden. «Das Modell weiss nichts über das tropische Klima, doch es bildet das Geschehen allein anhand der physikalischen Gesetze realitätsnah ab», stellt Schär mit Begeisterung fest. Noch ist es nicht möglich, mit solchen hochauflösenden Modellen längerfristige Szenarien zu rechnen. Aber man kann mit ihnen zumindest die Unsicherheiten in den globalen Modellen reduzieren.
Auch Extremereignisse bilden die hochauflösenden Modelle viel genauer ab, wie Schär am Beispiel Südwesteuropa illustriert. Der Vergleich mit den Messdaten ergibt, dass die bisherigen Modelle massiv unterschätzen, wie viel Regen in einer Stunde maximal fallen kann. Die hochauflösenden Modelle hingegen bilden die Realität sehr gut ab und erkennen genau, dass im Herbst am Alpensüdrand, entlang der ligurischen Küste oder in der Provence mit besonders heftigen Niederschlägen und Überschwemmungen gerechnet werden muss.
Die Projektionen der künftigen Extremereignisse stimmen gut mit einem Gesetz überein, das im 19. Jahrhundert von Rudolf Clausius und Émile Clapeyron entdeckt wurde, so Schär. «Das war damals reine Grundlagenforschung, niemand dachte an eine praktische Anwendung in der Klimaforschung.» Aus dem Gesetz lässt sich ableiten, dass die Atmosphäre pro Grad Erwärmung ungefähr 6 Prozent mehr Wasser aufnehmen kann. Aus diesem Grund muss künftig mit wesentlich intensiveren Niederschlagsereignissen gerechnet werden als bisher. «Das hat für den Hochwasserschutz Konsequenzen», erklärt Schär. «Die Vergangenheit verliert ihren Wert als Massstab für die Zukunft.»
Die physikalischen Gesetze zeigen zwar, dass die wärmere Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen kann. Dennoch werden viele Regionen in Zukunft unter Wassermangel leiden. «Der absolute Wassergehalt in der Atmosphäre nimmt zwar überall zu, doch die relative Feuchte kann regional auch abnehmen», erklärt Schär das vermeintliche Paradox. «Es wird also mehr Wasser aus den Böden verdunsten. Gleichzeitig nimmt die Wolkenbildung ab und es fallen weniger Niederschläge.» Das hat wohl nicht nur für Südeuropa gravierende Folgen, hält der Forscher fest, sondern auch für die nordafrikanischen Länder, die bereits heute mit Wasserknappheit kämpfen.
Hochwasser und Waldbrände
Das Zuviel und Zuwenig an Wasser ist auch das Kernthema der Hydrologin Manuela Brunner, die als ETH-Assistenzprofessorin Extremereignisse im Gebirge untersucht. «Das Wasser im Gebirge spielt sowohl bei Überschwemmungen als auch bei Trockenphasen eine Schlüsselrolle», erklärt sie. «Zudem sind Gebirge vom Klimawandel besonders betroffen, weil die Temperaturen dort stärker ansteigen als im Flachland.»
Ob Hochwasser künftig häufiger und intensiver ausfallen werden, untersucht Brunner anhand von Beobachtungsdaten und Modellsimulationen. «Bei den mittelgrossen Hochwassern, die alle 10 bis 20 Jahre auftreten, sehen wir über den gesamten Alpenraum hinweg ein differenziertes Bild», erläutert sie. «In einigen Regionen steigt das Risiko, in anderen nimmt es eher ab.» Eine wichtige Rolle spielt dabei der Zustand des Bodens. «Wenn der Untergrund trocken ist, kann er viel Wasser aufnehmen und dämpft so das Hochwasser. Ist er hingegen gesättigt, entfällt dieser Effekt.»
Bei den extremen Jahrhunderthochwassern hingegen erwartet Brunner für den ganzen Alpenraum eine deutliche Zunahme des Risikos. «Da fällt so viel Wasser, dass der Zustand des Bodens keine grosse Rolle mehr spielt», schätzt sie. Die einzelnen Faktoren, die ein Hochwasser auslösen können, seien an sich bekannt. «Doch das Zusammenspiel verstehen wir noch nicht gut genug. Was geschieht, wenn während der Schneeschmelze starke Niederschläge fallen? Wann wird daraus ein extremes Ereignis? Und wie häufig kommt diese Kombination vor?»
Doch nicht nur Hochwasser stellen ein zunehmendes Problem im Alpenraum dar. «Wir werden in Zukunft auf der Alpennordseite häufigere Trockenperioden und möglicherweise sogar auch Waldbrände erleben», ist Brunner überzeugt. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Die Niederschläge im Sommer nehmen tendenziell ab, gleichzeitig nimmt die Verdunstung aufgrund der höheren Temperaturen zu. Und drittens liegt im Frühjahr immer öfters weniger Schnee als früher, was die Vegetation zusätzlich austrocknen lässt.
«Grundsätzlich nehmen die Niederschläge im Winter zwar zu», erklärt die Forscherin. «Doch wegen der höheren Temperaturen wird davon weniger als Schnee gespeichert. Wenn wir im Frühjahr mit einer dünneren Schneedecke in die warme Jahreszeit starten, verstärkt das in trockenen Sommern den Wassermangel.»
Kritisch findet Brunner, dass sich Trockenzeiten künftig über mehrere Jahre erstrecken könnten. «Bisher musste man sich in den Alpen nach einem trockenen Sommer nicht gross Sorgen machen, weil das Defizit spätestens im nächsten Winter wieder ausgeglichen wurde», hält sie fest. «Doch in Zukunft kann es sein, dass sich das Wasserdefizit über den Winter hinweg sogar weiter verschärft.»
Wie schnell schmelzen die Gletscher?
Erschwerend kommt hinzu, dass die Gletscher in absehbarer Zeit im Sommer nicht mehr gleichviel Schmelzwasser liefern werden wie bisher. Daniel Farinotti, ETH-Professor für Glaziologie, erklärt: «Im besten Fall verfügt die Schweiz 2100 noch über 40 Prozent des heutigen Gletschervolumens. Im ungünstigsten Fall sind es nur noch einige wenige Prozente.» In Bezug auf die Einschätzung der künftigen Situation befinde sich die Schweiz in einer guten Lage: «Wir wissen sehr genau, wie viel Eis hier noch vorhanden ist, weil wir die meisten Gletscher mit Radar vermessen haben», berichtet der Forscher.
Anders sieht die Situation im Himalaya aus, wo Farinotti und sein Team ebenfalls ein Projekt durchführen. Dort liegen die Gletscher viel höher, so dass man sie nicht einfach vermessen kann. Zudem stellen die betroffenen Länder aus strategischen und geopolitischen Gründen nur zögerlich Daten für die Forschung bereit. Die Prognosen, wann die Gletscherschmelze im Himalaya das Maximum erreichen wird, weichen daher um bis zu einem Jahrzehnt voneinander ab. «Für das bevölkerungsreiche Tiefland macht das natürlich einen grossen Unterschied», stellt der Glaziologe fest.
Gefragt sind Prognosen zur Gletscherentwicklung auch in der Schweiz, müssen doch in den nächsten Jahren die Konzessionen bei etlichen Stauseen erneuert werden. Die Kraftwerksbetreiber möchten daher wissen, wie viel Wasser ihnen künftig zur Verfügung stehen wird. Gleichzeitig interessieren sie sich für zeitlich detaillierte Prognosen, stellt Farinotti fest. «Sie wollen wissen, ob die Fassungen bei den zu erwartenden Extremereignissen noch ausreichen werden.»
Wirklich Sorgen macht dem Forscher aber ein anderes Thema: das Abschmelzen der polaren Eisschilde. «In unserer Gruppe entwickeln wir derzeit ein detailliertes Fliessmodell des grönländischen Eisschildes, das komplett auf physikalischen Prozessen beruht», erzählt Farinotti. «Wir bilden den Eiskörper mit einer Auflösung von 25 Metern ab, damit wir möglichst gut einschätzen können, wie sich der Eisschild in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird.» Die komplexen Berechnungen wollen die ETH-Forschenden auf dem Supercomputer Lumi durchführen, dem schnellsten Rechner Europas.
Auch beim antarktischen Eisschild gibt es eine Reihe von offenen Fragen, die Farinottis Gruppe zusammen mit anderen untersucht. Kritisch ist die Lage vor allem beim westantarktischen Eisschild, der auf einem Felsbett aufliegt, das sich unter dem Meeresspiegel befindet. «Die Topografie des Felsbettes entscheidet massgeblich mit, wie schnell sich das Eis zurückziehen wird», erläutert der Glaziologe. Für die Küstenregionen weltweit ist dies eine entscheidende Frage: «Wenn der westantarktische Eisschild abschmilzt, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Meeresspiegel bis Ende des 21. Jahrhunderts bis um einen Meter steigt», sagt Farinotti. Berücksichtigt man, dass in diesem ersten Meter Meeresspiegel zur- zeit rund 250 Millionen Menschen leben, ist klar, warum die Zukunft der Eisschilde nicht nur in den Polarregionen von Bedeutung ist.