Zu viel Motivation beeinträchtigt unsere Entscheidungsfindung
Gute oder schlechte Laune, Konzentration oder Ablenkung, dringende oder nicht dringende Bedürfnisse: Unser innerer Zustand beeinflusst direkt unsere Wahrnehmung und Entscheidungsfindung. Während die Rolle der Motivation bei der Ausführung von Verhaltensaufgaben seit mehr als einem Jahrhundert bekannt ist – dank der Arbeit der Psychologen Robert Yerkes und John Dilligham Dodson –, bleibt ihre genaue Wirkung auf das Gehirn unklar. Ein Team der Universität Genf (UNIGE) hat in Zusammenarbeit mit der EPFL herausgefunden, wie die Motivation die neuronalen Schaltkreise verändert, die bei Mäusen für die sensorische Wahrnehmung vor der Entscheidungsfindung verantwortlich sind. Die Studie zeigt, warum eine zu hohe oder zu niedrige Motivation unsere Wahrnehmung und damit unsere Entscheidungen beeinflussen kann. Diese Ergebnisse, die in der Zeitschrift Neuron veröffentlicht wurden, eröffnen neue Perspektiven für Lernmethoden.
Frühmorgens zur Arbeit gehen, mittags ein Restaurant wählen: Viele unserer Entscheidungen sind durch Bedürfnisse motiviert, wie den Lebensunterhalt zu verdienen oder unseren Hunger zu stillen. Die Entscheidungsfindung ist jedoch ein komplexer Prozess, der auch von externen Faktoren wie der Umgebung oder anderen Personen sowie von unserem inneren Zustand wie unserer Stimmung, unserem Aufmerksamkeitsniveau oder unserem Motivationsgrad beeinflusst werden kann.
Das Labor von Sami El-Boustani, Assistenzprofessor in der Abteilung für grundlegende Neurowissenschaften an der medizinischen Fakultät der UNIGE und Empfänger eines Eccellenza-Stipendiums (SNF), untersucht die neuronalen Schaltkreise, die an der Entscheidungsfindung beteiligt sind. In jüngster Zeit hat sein Labor in Zusammenarbeit mit dem Team von Professor Carl Petersen an der EPFL untersucht, welche Rolle ein bestimmter innerer Zustand – die Motivation – bei der Wahrnehmung und Entscheidungsfindung spielt. Seit mehr als einem Jahrhundert ist bekannt, dass ein Zusammenhang zwischen Motivation und Leistung besteht, dank der Arbeit der amerikanischen Psychologen Robert Yerkes und John Dilligham Dodson. Zu viel oder zu wenig Motivation wirkt sich nachteilig auf die Leistung aus. «Wir wollten beobachten, wie die sensorischen Informationen, die von den Neuronen in der Hirnrinde übertragen werden, durch den Grad der Motivation verändert werden und inwieweit sich diese auf das Lernen und die Leistung bei einer Entscheidungsaufgabe auswirken kann», erklärt Sami El-Boustani, Hauptautor der Studie.
Das Forschungsteam entwickelte ein Verhaltensparadigma mit Mäusen, die einen kontrollierten Wasserverbrauch hatten. Sie trainierten diese Nager zunächst darauf, auf taktile Reize über zwei Schnurrhaare (A und B) zu reagieren und eine Handlung – das Ablecken eines Ausgusses – nur für Schnurrhaar A auszuführen, um einen Tropfen Wasser zu erhalten. Nach diesem Training reagierten die Mäuse hauptsächlich auf die Stimulation von Schnurrhaar A, was auf ihre Fähigkeit hinweist, zwischen diesen beiden Empfindungen zu unterscheiden. Schliesslich führten die Forschenden diese Experimente bei abnehmendem Durstniveau durch, um die Motivation der Nager zur Teilnahme an der Aufgabe zu variieren.
Zustand der Hypermotivation verwischt sensorische Informationen
In einem Zustand grossen Durstes – und damit grosser Motivation – zeigten die Nager schlechte Leistungen. Sie leckten wahllos an der Tülle, ohne zwischen den stimulierten Schnurrhaaren zu unterscheiden. Bei mässigem Durst hingegen wählten sie ihre Aktion optimal aus. Sie leckten hauptsächlich an der Tülle, wenn die Schnurrhaare A stimuliert wurden. Wenn sie schliesslich nicht sehr durstig waren, sank ihre Leistung bei der Aufgabe wieder.
Durch die Beobachtung der Aktivität von Neuronenpopulationen, die für Wahrnehmungsentscheidungen bei diesen Mäusen verantwortlich sind, entdeckten die Forschenden, dass die Neuronen in diesen Schaltkreisen mit elektrischen Signalen überflutet wurden, wenn die Mäuse übermotiviert waren. «Übermotivation führt zu einer starken Stimulierung der kortikalen Neuronen, was zu einem Verlust an Präzision bei der Wahrnehmung von taktilen Reizen führt», sagt Giulio Matteucci, Postdoktorand im Labor von Sami El-Boustani und Erstautor der Studie.
Im Gegensatz dazu wurde im Zustand niedriger Motivation die Genauigkeit der sensorischen Information wiederhergestellt, aber die Stärke des Signals war zu gering, um sie korrekt zu übertragen. Infolgedessen war auch die Wahrnehmung der Reize beeinträchtigt.
Ein neues Verständnis von Lernen
Diese Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven. Sie liefern eine mögliche neuronale Grundlage für das Yerkes-Dodson-Gesetz: «Sie zeigen auch, dass der Grad der Motivation nicht nur die Entscheidungsfindung beeinflusst, sondern auch die Wahrnehmung der sensorischen Informationen, die zur Entscheidung führen», erklärt Carl Petersen, ordentlicher Professor am Brain Mind Institute der EPFL und Co-Autor der Studie.
Diese Arbeit deutet auch darauf hin, dass es notwendig ist, den Erwerb und den Ausdruck von neuem Wissen zu entkoppeln: «Wir haben beobachtet, dass die Mäuse die Regel sehr schnell verstanden haben, aber dieses Lernen erst viel später ausdrücken konnten, abhängig von einer veränderten Wahrnehmung, die mit ihrem Motivationsniveau zusammenhängt.» Diese Enträtselung der Rolle der Motivation beim Lernen öffnet den Weg für neue adaptive Methoden, die darauf abzielen, ein optimales Motivationsniveau während des Lernens aufrechtzuerhalten.