Freiwillige Klimakompensationen werden ihren Versprechen häufig nicht gerecht
Innerhalb weniger Jahre ist die freiwillige Klimakompensation zu einem Multimilliarden-Geschäft gewachsen. Firmen und Privatpersonen können damit ihre Treibhausgasemissionen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte ausgleichen – über das hinaus, wozu Firmen beispielsweise durch das EU-Emissionshandelssystem gesetzlich verpflichtet sind. Viele von ihnen nutzen diese freiwilligen Kompensationsmöglichkeiten, und nicht wenige behaupten danach, klimaneutral zu sein. Die öffentliche Kritik an diesem Vorgehen wird jedoch schärfer, nachdem immer mehr Studien zeigen, dass beunruhigend viele Kompensationsprojekte wirkungslos sind. So schätzen wir und die Universität Cambridge in einer neuen Studie, dass nur bescheidene 12 Prozent der verkauften Kompensationszertifikate zu tatsächlichen Emissionsreduktionen führen.1
Wegen der anhaltenden Kritik drohen einigen Schweizer Firmen inzwischen sogar Klagen wegen Greenwashings.2 Dabei wären zuverlässige und transparente Kompensationsmärkte ein wichtiger Treiber für jene Klimaschutzmassnahmen, die sich nur schlecht anders finanzieren lassen. Doch es braucht strengere rechtliche Rahmenbedingungen, um Auswüchse zu verhindern.
Die freiwilligen Kompensationsmärkte funktionieren nach dem Prinzip, wonach Emissionseinsparungen dort erzielt werden, wo sie am günstigsten sind. Das klingt zunächst sinnvoll. Häufig werden jedoch Kompensationsprojekte ihren Versprechungen nicht gerecht. Die rasant steigende Nachfrage nach solchen günstigen Kompensationsmöglichkeiten führt ausserdem dazu, dass Zertifikatsanbieter ihr Geschäft immer schneller hochskalieren. Von diesem ungesunden Effekt profitieren viele: Prüf- und Zertifizierungsorganisationen von einem wachsenden Markt und Käufer von günstigen Preisen.
Mittlerweile muss das Versprechen vieler Kompensationsprojekte, Klimaneutralität zu ermöglichen, in Zweifel gezogen werden, aus mehreren Gründen:
- Bei vielen Projekten ist fraglich, ob nicht auch ohne Zertifikate das gleiche Ergebnis erzielt worden wäre. Zum Beispiel werden viele durch Emissionszertifikate geschützte Wälder auch ohne den Schutz durch Zertifikate nicht gerodet.3 Und die meisten Wind- und Solarkraftwerke benötigen keine Zertifikate, um finanziert zu werden.4
- Die allermeisten Projekte versuchen, die Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase zu verhindern, zum Beispiel durch den Ersatz eines bestehenden oder geplanten Kohlekraftwerks mit Windkraft. Streng genommen kompensieren solche Vermeidungsprojekte keine getätigten Emissionen. Stattdessen sollten wir uns stärker auf Projekte fokussieren, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Das ist allerdings deutlich teurer: Die Schweizer Firma Climeworks scheidet eine Tonne CO2 für 600 bis 1000 Dollar aus der Luft ab. Die Vermeidungsprojekte durch erneuerbare Energien werden hingegen im Schnitt für etwa nur 2 Dollar pro Tonne CO2 angeboten.5
- Fraglich ist auch, ob die Projekte CO2 wirklich so lange einlagern, wie es nötig wäre, nämlich mehrere Jahrhunderte. So lange verbleibt ein relevanter Teil des vom Menschen emittieren CO2 in der Atmosphäre. Wenn im Rahmen von Klimaschutzprojekten Wälder aufgeforstet werden und als Kohlenstoffsenke dienen sollen, muss man beachten, dass diese mittelfristig durch Brände und Rodung gefährdet sind und dementsprechend auch über lange Zeit geschützt werden müssten.
- Die Prognosen zur Wirkung der Projekte sind häufig zu optimistisch: Die Anzahl an Tonnen CO2, die ein Projekt in Form von Zertifikaten ausschütten kann, wird meist im Voraus festgelegt. Das Problem ist, dass die Prognosen vieler Anbieter die später tatsächlich eingesparten Emissionen bei Weitem übersteigen. Nicht selten werden bei den Berechnungen auch von vorneherein unrealistische Annahmen getroffen.
Damit Klimakompensationen künftig einen höheren Beitrag für das Klima leisten und nicht für Greenwashing missbraucht werden, muss sich die Branche höhere Standards auferlegen, beziehungsweise sie muss dazu verpflichtet werden. Prüforganisationen sollten ausschliesslich Projekte genehmigen, die ohne Kompensationsmärkte keine hinreichende Finanzierung finden, was zum Beispiel auf Aufforstungsprojekte oder Technologien zur CO2-Entnahme zutreffen kann. Nach massiver medialer Kritik bewegen sich viele Organisationen bereits in die richtige Richtung und haben zum Beispiel angekündigt, Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien nur noch in sehr armen Ländern zu genehmigen.
System versagt noch zu oft
Zudem müssen sie sicherstellen, dass Kompensationsprojekte auch wirklich die versprochenen CO2-Einsparungen leisten. Die Projekte sollten kontinuierlich nachweisen müssen, ob beispielsweise in armen Ländern geförderte effiziente und klimafreundlichere Kochherde von den Haushalten überhaupt genutzt werden oder wie sich aufgeforstete Wälder tatsächlich entwickeln. Das wird teilweise bereits gemacht.
Zu häufig versagt das System aber noch dabei, das Monitoring gewissenhaft durchzuführen und Abweichungen zu sanktionieren. Obwohl Anbieter häufig einen kleinen Reservepool an Zertifikaten einbehalten, um Defizite bei der Projektumsetzung zu korrigieren, sind im Falle eines Projektscheiterns die allermeisten Zertifikate längst verkauft. Vielleicht wäre es besser, wenn Zertifikate erst verkauft werden, nachdem nachgewiesen wurde, wie viel CO2 das jeweilige Projekt bereits eingespart hat. Für die Vorfinanzierung könnten stattdessen Investoren einspringen, die damit ein Risiko tragen, aber bei erfolgreichen Projekten mit dem Zertifikatverkauf Gewinn erzielen.
Würden wir uns auf zuverlässigere und qualitativ hochwertigere Projekte einschränken, wäre der Kompensationsmarkt kleiner, und gleichzeitig würden die Preisen steigen. Die Kostenschwelle, ab der sich Unternehmen dafür entscheiden, Zertifikate zu erwerben, statt intern Emissionen zu reduzieren, würde dadurch wohl deutlich angehoben werden. Das wäre ein durchaus wünschenswerter Effekt, denn Kompensationen sollten die eigenen Klimaschutzmassnahmen der Firmen nicht ersetzen, sondern sie ergänzen. Firmeneigene Massnahmen wie die Reduktion von Flügen und Gebäudemissionen sollten durch Kompensationen nicht aufgeschoben werden. Klimakompensationen sollten nur dort zum Einsatz kommen, wo eigene Massnahmen noch unverhältnismässig teuer und technologisch schwer umsetzbar sind.