«Vom Sündenbock zum Rettungsanker»
Herr Richner, Sie wollen die Atmosphäre als CO2-Quelle nutzen, Sie nennen das «Mining the atmosphere». Wie muss man sich das vorstellen?
Zunächst einmal müssen wir uns etwas klarmachen: Wir setzen gerade all unseren Effort in das Ziel Netto Null bis 2050. So brutal schwierig das schon ist – das ist nur ein Zwischenschritt! Nach 2050 müssen wir bei den Emissionen negativ werden, und zwar massiv, sonst haben wir gar nichts gewonnen.
Negativ? Kann man weniger als gar kein CO2 ausstossen?
Das kann man, ja. Und zwar indem man einen guten Teil des bis dahin emittierten CO2 wieder aus der Atmosphäre zurückholt.
Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz von Carbon Capture and Storage (CSS), der durchaus kontrovers diskutiert wird?
CCS wird sehr wahrscheinlich einen wichtigen Beitrag leisten können und müssen, der Nachteil von CCS, in meinen Augen, ist aber: Die Wertschöpfung ist Null und das Verfahren, CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden und im Boden einzulagern, verursacht nur Kosten. Unser Vorschlag ist am Anfang ähnlich, aber am Schluss setzen wir auf eine konkrete Nutzung des Kohlenstoffs. Man könnte es CCU – Carbon Capture and Use – nennen.
Use? Wo könnte es denn da einen Nutzen geben?
Das ist die entscheidende Frage: Wer hätte einen Bedarf an Riesenmengen Kohle? Und zwar nicht zum Verbrennen, sondern als Material. Da landet man sofort beim Bausektor. Es geht schliesslich nicht um ein paar Tausend Tonnen, sondern um Hunderte Millionen.
Und das könnte man verbauen? Häuser aus Kohle?
Nicht ganz, aber es geht in diese Richtung. Wir haben eine Art Leichtbeton entwickelt, der mit Kohlenpellets versetzt ist. Das ist zwar kein Hochleistungsbeton, er genügt aber für den Grossteil der Anwendungen. Damit haben wir eine Senke, in der das CO2 dauerhaft verschwindet.
Wird bei der Produktion von Beton nicht auch eine Menge an CO2 freigesetzt?
Mit den bis jetzt entwickelten Materialien erreichen wir immerhin eine Null-Bilanz. Wir gehen aber davon aus, dass wir am Schluss auf minus 100kg CO2 /m3 oder noch weniger kommen werden. Und das bedeutet plötzlich: Je mehr Beton verbaut wird, desto besser fürs Klima! Das eröffnet ganz neue Perspektiven, besonders wenn man die Entwicklung des Bausektors global betrachtet. Denken Sie nur an all die Bau- und Infrastrukturprojekte in China oder an all die Länder, die noch fast keine gebaute Infrastruktur haben.
Und wo und vor allem mit welcher Energie wird diese Kohle produziert?
Das ist der zweite springende Punkt: Wir machen das nicht hier, sondern genau da, wo viel Energie vorhanden ist. Und hier treffe ich eine Annahme, die womöglich auch nicht unumstritten ist – von der ich aber ganz und gar überzeugt bin: Es wird der Punkt kommen, an dem erneuerbare Energie im Überfluss vorhanden ist. Die Ölstaaten wissen sehr genau, dass die Zeit des leicht verdienten fossilen Gelds bald vorbei ist, sie wollen die Rolle der Energiegrosslieferanten aber auch in Zukunft spielen. Deshalb wird da gerade im grossen Stil in Photovoltaik investiert.
Moment, das klingt seltsam: Wir nutzen Solarenergie, um Kohle herzustellen?
Nicht direkt. Mit dem Strom können wir Wasserstoff herstellen und diesen setzen wir mit CO2 zu Methan um. Dieses Methan wiederum bringen wir als Flüssiggas hierher. So können wir letztlich erneuerbare Energie in die Schweiz importieren. Vor allem im Winter wird es den Bedarf geben. Entscheidend aber ist die Umsetzung des Methans zu Kohle, durch ein Verfahren, das man Pyrolyse nennt. Dabei wird wieder Wasserstoff frei und als Nebenprodukt entsteht Kohle, was sehr praktisch ist, denn Kohle hat die höchste Kohlenstoffdichte aller Materialien.
Ist Beton der einzige passende Speicher?
Wir untersuchen auch noch andere Möglichkeiten. Asphalt zum Beispiel könnte sich womöglich gut eignen, aber auch Isolationsmaterialien. Da gibt es noch einiges an Entwicklungspotenzial.
Es gibt noch andere Vorschläge, um den Bausektor zu einer CO2-Senke zu machen. Der deutsche Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber macht sich für Holz stark. Ist das nicht effizienter?
Dort wo ausreichend Holz zur Verfügung steht, macht es sehr viel Sinn, dieses im Bau einzusetzen. Wichtig ist aber, dass das Holz nach der Nutzungsdauer nicht einfach verbrannt wird, sonst entsteht wieder CO2 – wir müssen dieses für viele Jahrhunderte aus dem Kreislauf nehmen, nicht nur für 50 Jahre.
Apropos Zeit: Auch Häuser stehen nicht für immer. Was passiert beim Abriss?
Wichtig wird auch hier ein Umdenken sein: Wir brauchen ein «Design for Disassembly». So bleibt die Kohle für ein paar Zyklen im Umlauf und die Elemente können wieder für neue Bauten verwendet werden. Am Schluss kommen diese in eine mineralische Deponie, womit wir eine definitive Senke haben.
Klingt überzeugend, aber beim Klima geht es immer auch um Politik. Wie schaffen wir es, das im grossen Stil umzusetzen?
Wir werden das Schritt für Schritt aufziehen müssen, am Anfang kann man auch organisches Material zu Kohle pyrolisieren. Klar ist: CO2-Emmissionen müssen einen Preis haben. Wer emittiert, der muss zahlen. Und im Umkehrschluss: Wer baut, kann Geld zurückbekommen! Es geht um die richtigen Anreize. Ich bin davon überzeugt, dass wir Lösungen brauchen, die von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden können.
Nun klingen Sie tatsächlich wie ein Klimapolitiker. Sehen Sie diese Forschungsarbeit auch als gesellschaftliches Engagement?
Unbedingt. Ich weiss um die Herausforderungen, aber wir wollen gangbare Wege aufzeigen, anstatt «oje, wir sind verloren» auszurufen. Wir haben nun etwa zweihundert Jahre lang gratis emittiert und uns damit eine gewaltige Schuld aufgeladen. Nun müssen wir das wieder in Ordnung bringen.