Zehn Milliarden Mäuler zu stopfen bis 2050
Zehn Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 zu ernähren, wird eine gewaltige Herausforderung sein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass bereits heute 10 % der Weltbevölkerung hungern und rund 30 % unterernährt sind. Und um im selben Jahr den Hunger zu beseitigen – wie im Ziel 2 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung festgelegt –, müssen wir in der Lage sein, drei Milliarden Menschen zusätzlich zu ernähren und zwei Milliarden weitere besser zu versorgen. Und das alles, während Konflikte und Klimawandel die Lebensfähigkeit riesiger Ackerflächen bedrohen.
Unerschrocken arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt daran, neue Methoden und Technologien zu entwickeln, die uns auf einen nachhaltigeren Weg bringen können. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Problem des Hungers nicht durch eine immer intensivere Landwirtschaft gelöst werden kann: Solche Praktiken verschlimmern die Situation sogar. Grosse Monokulturen, wie sie in vielen Ländern immer noch üblich sind, haben katastrophale Auswirkungen auf die biologische Vielfalt.
Ausserdem «wissen wir heute, dass die meisten modernen Getreidesorten – die durch künstliche Selektion erzeugt wurden – einen viel geringeren Nährwert haben als die alten», sagt Ismahane Elouafi, leitender Wissenschaftler der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Sara Bonetti, Leiterin des Labors für Einzugsgebietshydrologie und Geomorphologie der EPFL und Expertin für Böden, erklärt: «Die Landwirtschaft ist für ein Drittel der anthropogenen CO2-Emissionen verantwortlich. Mit traditionellen, oft jahrhundertealten Anbaumethoden können jedoch grosse Mengen an Kohlenstoff gebunden und im Boden gespeichert werden, während gleichzeitig die Ernteerträge gesteigert werden.»
Technologie kann helfen
Technologie ist zwar kein Allheilmittel, aber Forschende aus verschiedenen Disziplinen arbeiten gemeinsam an der Lösung des Problems der globalen Lebensmittelversorgung der Zukunft. Sie entwickeln neue Ansätze für die gesamte Produktionskette, von der Saatgutauswahl, der Genbearbeitung, der Keimung und dem Anbau (auf Feldern, in Gewächshäusern, oberirdisch oder auf städtischen Dächern) bis hin zu Ernte, Transport, Verarbeitung und Verpackung. Forschende untersuchen auch, wie wir Pflanzen durch eine Kombination aus chemischen Verbindungen, Robotern und natürlichen Methoden besser pflegen können. Einige F&E-Zentren untersuchen sogar, wie wir Lebensmittel entweder synthetisch oder durch Umgestaltung bestehender biologischer Verfahren wie der Trockenfermentation anbauen können.
In Israel entwickelt sich rund um die Technion-Universität ein ganzes Ökosystem der Lebensmitteltechnologie, in dem akademische Fachleute und Start-ups Hand in Hand arbeiten. Ähnliche Initiativen gibt es auch in Europa, wo Organisationen Forschende und Landwirte zusammenbringen, um neue Technologien und Anbaumethoden zu testen. Zwei Beispiele hier in der Schweiz sind der Technologiepark Agropôle in Molondin (Kanton Waadt), dessen Partnerin die EPFL ist, und das Integrative Food and Nutrition Center der EPFL, das Teil des Swiss Food & Nutrition Valley ist.
Auch nachhaltige Ernährung ist wichtig
Was die Nachhaltigkeit betrifft, so liegt ein Teil des Problems in unseren Essgewohnheiten. Während so viele Menschen an Hunger sterben, sind Milliarden weitere übergewichtig und essen zu viel Fleisch – was einen grossen CO2-Fussabdruck hat. Erschwerend kommt hinzu, dass oft sie die meisten Lebensmittel verschwenden. Rechnet man diese Verschwendung zu den Verlusten bei der Ernte und der Lagerung hinzu, so wird in der heutigen Welt etwa ein Drittel der von uns produzierten Lebensmittel weggeworfen. Die gute Nachricht ist, dass wir Massnahmen ergreifen können, um diese Verschwendung entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zu unseren Tellern zu reduzieren. Ein Pilotversuch, der vor kurzem in Restaurants direkt hier an der EPFL durchgeführt wurde, zeigt, wie das geht.
Diese Zahlen geben der FAO Hoffnung, dass wir die Herausforderung bis 2050 meistern können – allerdings nicht ohne gemeinsame Anstrengungen. Die Organisation hat konkrete Empfehlungen formuliert, von denen einige allerdings auf die Interessen von Wirtschaft und Politik sowie auf eine gewisse Veränderungsresistenz der Landwirtschaftfachleute stossen könnten. Solche Hindernisse können jedoch durch wissenschaftliche Forschung, einen umfassenden Dialog und eine offene Zusammenarbeit überwunden werden. Wir haben die Pflicht, alle Möglichkeiten im Kampf gegen den Hunger auszuloten, denn es geht um das Leben von Milliarden von Menschen.