Die CO2-bindende Gesellschaft als Ziel
Lösungen für die Klimakrise und die Nutzung der Atmosphäre als Rohstoffquelle, um CO2 rauszuholen und daraus wertvolle Materialen herzustellen – das sind ehrgeizige Ziele. Keine Angst, die Erwartungen nicht zu erfüllen?
Martin Ackermann: Zunächst einmal eine persönliche Einschätzung: Wir sind nicht auf Kurs. Die Ziele für einen effizienten Klimaschutz, etwa Netto-Null bis 2050, sind im Moment in weiter Ferne, und es gibt grossen Nachholbedarf bei der Klimaanpassung, unsere Fähigkeiten, auf ein verändertes Klima entsprechend zu reagieren. Es gibt also noch sehr viel zu tun. Und damit fangen wir besser früher als später an.
Tanja Zimmermann: In der Tat, die Probleme sind drängend. Selbst, wenn wir Netto-Null erreichen und die Energiewende bewerkstelligen, ist immer noch zu viel CO2 in der Atmosphäre – mit den entsprechenden Folgen wie schmelzende Gletscher und zunehmende Extremwettersituationen. Es ist daher enorm wichtig, jetzt zu handeln und unseren Beitrag zu leisten. Und gerade bei unseren jungen Forschenden spüre ich eine grosse Motivation, an diesen sinnstiftenden Themen zu arbeiten. Also Respekt vor der Aufgabe – ja; Angst, keine Lösungen anbieten zu können – nein.
Und diese Herkulesaufgabe schaffen Empa und Eawag allein?
MA: Wir schätzen es ausserordentlich, eng mit der Empa zusammenzuarbeiten – grundsätzlich, aber vor allem auch beim Thema Klima. Wir möchten den gemeinsamen Campus als einen Ort positionieren, an dem intensiv an Klimalösungen gearbeitet wird. Um diese zu erarbeiten, muss man alle verfügbaren Stärken bündeln – von der Grundlagenforschung – hier sind vor allem die beiden ETH stark – bis zum Überführen von neuem Wissen in praktische Anwendungen, seien dies neue Technologien oder auch die wissenschaftlichen Grundlagen für den Gesetzgebungsprozess. Da ergänzen wir uns perfekt innerhalb des ETH-Bereichs.
TZ: Da kann ich Martin nur beipflichten. Es ist toll, dass wir mit der Eawag so unkompliziert und effizient zusammenarbeiten können. Aber das Problem ist so komplex, dass wir es nur gemeinsam lösen können, also mit allen Institutionen des ETH-Bereichs, aber auch darüber hinaus, auch international. Das Problem macht ja nicht an der Grenze halt. Ausserdem müssen wir die Entscheidungsträger aus Industrie, Verwaltung und Politik frühzeitig einbinden, um wirklich Lösungen mit «Impact» zu generieren. Wie eingangs gesagt: Es ist nicht klein gedacht.
Was kann die Forschung konkret beitragen, um Antworten auf die Klimakrise zu finden?
MA: Wenn von Klimaforschung die Rede ist, denkt man meist an Messungen und Modellierungen, also die Beschreibung des Problems. Das ist zwar absolut essentiell, wir brauchen aber mehr, nämlich Lösungen. Dabei kann man grob zwei Arten von Reaktion auf die Klimakrise unterscheiden: Zum einen Klimaschutz oder Mitigation, also Technologien und politische Strategien, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und um CO2 aus der Atmosphäre wieder zu entfernen – wie eben «Mining the Atmosphere» das vorsieht. Zum anderen Klimaanpassung oder Adaptation, um schädliche Auswirkungen des Klimawandels auf natürliche und menschliche Systeme zu mildern, etwa Schutz vor Extremwetterereignissen. Wenn man es pointiert ausdrücken möchte: Mit Klimaadaptation schützt man sich selber, schaut also auf das eigene Wohl. Klimaschutz ist altruistisch, das hat eine globale Wirkung. Wir brauchen beides, kein Entweder-oder.
Und welche Rolle spielt die Eawag da als Wasserforschungsinstitut?
MA: Gemäss der UN ist der Klimawandel in erster Linie eine Wasserkrise. Es wird wärmer, ja, aber damit ändern sich vor allem auch Wasserverfügbarkeit und Niederschlagsmuster. Die Winter werden nasser, die Sommer heisser und trockener. Und damit haben wir gleich zwei Probleme auf einmal: Im Winter kann extrem viel Wasser als Starkregen kommen und grosse Schäden anrichten, im Sommer haben wir an manchen Orten zu wenig Wasser. Wir müssen also die Schäden durch Extremniederschläge begrenzen – und gleichzeitig einen Teil dieses Wassers in den Sommer «retten». Daher haben wir das Thema Klima als eines unserer Schwerpunktthemen an der Eawag definiert – was es früher weniger explizit war.
TZ: Das ist übrigens bei nachhaltiger Energie gerade umgekehrt – wir werden in Zukunft mit dem Zubau von Photovoltaik Überschussenergie im Sommer, im Winter dagegen zu wenig Energie haben. Um dies auszugleichen, versuchen wir, Energie zu «materialisieren», also in speicherbare chemische Energieträger umzuwandeln, etwa Wasserstoff oder Methan mit CO2 aus der Atmosphäre.
Womit wir bei «Mining the Atmosphere» wären...
TZ: Genau. Unsere Vision ist, uns durch die Entwicklung entsprechender Materialien und Technologien von einer CO2-emittierenden zu einer CO2-bindenden Gesellschaft zu wandeln. Und das ist eine Notwendigkeit, das möchte ich nochmals betonen, denn selbst nach der Energiewende müssen wir die Atmosphäre so oder so von der CO2-Verschmutzung, die wir in den letzten 200 Jahren verursacht haben, «reinigen», um einen weiteren Temperaturanstieg zu verhindern.
Wie sieht Euer grober Zeitplan aus?
TZ: Wir erarbeiten zurzeit die verschiedenen «Säulen» unseres Konzepts: das Gewinnen des CO2, dessen chemische Umwandlung und schliesslich Technologien, um daraus wertschöpfende Materialien herstellen zu können, in denen der Kohlenstoff langfristig gebunden ist. Es sind bereits erste Projekte für Negativemissionstechnologien an der Empa am Laufen, etwa Isolationsmaterialien aus Biokohle und Zementarten, die CO2 im Abbindeprozess aufnehmen anstatt freisetzen. Nächstes Jahr sollen weitere Initiativen starten; ich selbst möchte beispielsweise, aufgrund meines Forschungsbackgrounds, ein Holzthema lancieren. Erste Gespräche zwischen verschiedenen Akteuren sind am Laufen und das wird auf jeden Fall sehr spannend.
MA: Wir sind zurzeit daran, gemeinsam mit unseren Partnerinstitutionen im ETH-Bereich auszuloten, in welchen Bereichen wir zusammenarbeiten können, etwa im Bereich Wasser und Klimaadaptation.
Auf welche konkreten Fragen wollt Ihr Antworten liefern?
MA: Nur ein Beispiel: Wir bauen ein «Reallabor» in Bern auf, wo wir mit Behörden, AnwohnerInnen und Forschungspartnern zusammenarbeiten. Ziel ist, das Quartier so anzupassen, dass das Leben auch in 15 Jahren noch angenehm und sicher ist – dank «blaugrüner Infrastruktur», die Einbindung von Wasser und Vegetation in Quartieren: dass man also gegen Extremwetterereignisse gewappnet ist und gleichzeitig im Sommer genügend Wasser und Kühlung zur Verfügung hat.
TZ: An der Empa stehen die Entwicklung neuartiger, eben Kohlenstoff-basierter Materialien und entsprechender Technologien sowie systemische Ansätze im Zentrum. Um von hinten anzufangen, etwa neue Baumaterialien mit negativem CO2-Fussabdruck, neue Fertigungstechnologien, um diese – aber auch andere Rohstoffe, etwa für die chemische Industrie – im Grossmassstab herzustellen, effiziente Methanisierungsreaktoren und Katalysatoren für die Umwandlung von CO2 und Wasserstoff in Methan sowie neue Konzepte, um CO2 möglichst energieeffizient aus der Atmosphäre zu «saugen». Dabei betrachten wir sämtliche Materialien und Prozesse über deren gesamten Lebenszyklus – der wenn immer möglich in Kreisläufen verläuft, nicht mehr linear.
Neue Forschungsinitiativen wollen auch finanziert werden – woher kommen die Mittel dafür?
TZ: Ich werde unsere Initiative durch meinen «Startup Grant», den ich vom ETH-Rat erhalten habe, und Mittel aus unseren Reserven grundfinanzieren – insgesamt rund fünf Millionen. Dazu wollen wir natürlich zusätzliche Drittmittel einwerben, sowohl von öffentlichen Förderagenturen als auch von unseren Industriepartnern.
MA: Wie gesagt: Wir haben das Thema Klimaschutz und -adaptation als einen strategischen Schwerpunkt definiert und werden diesen sicher auch entsprechend unterstützen.
Es passiert zurzeit ziemlich viel in diesem Bereich, etwa die «Coalition for Green Energy and Storage» (CGES) und den «Joint Initiatives» des ETH-Bereichs. Machen da nicht alle das gleiche?
TZ: All diese Initiativen sind wichtig! Bei CGES, einer sehr grossen Initiative der beiden ETHs zusammen mit dem PSI und der Empa, geht es um das Speichern von nachhaltig erzeugter Energie bzw. die Umwandlung von beispielsweise Solarstrom in chemische Energieträger wie Wasserstoff, Methan oder Methanol, so genannte «Power-to-X»-Verfahren. Das Ziel sind hierbei Megawattanlagen, also eine grosstechnische Umsetzung bzw. das Hochskalieren überwiegend schon bestehender Technologien mit Industriepartnern, wie sie etwa in unserem Mobilitätsdemonstrator move oder in der ESI-Plattform des PSI entwickelt werden. Dabei gibt es zwar durchaus Schnittstellen zu «Mining the Atmosphere», wir denken aber bereits über die Energiewende hinaus und haben ein gänzlich neues zirkuläres Wirtschaftssystem im Blick, das auf CO2-negativen Materialien beruht.
Warum ist es wichtig für die Schweiz, hier eine Vorreiterrolle zu spielen?
MA: Beim Klimaschutz gibt es zwei Aspekte: Der erste ist Verantwortung. Die Schweiz als innovationsstarkes, reiches Land mit entsprechend hohen CO2-Emissionen hat eine grössere Verantwortung, die sie auch wahrnehmen sollte. Der zweite ist ökonomisch: Innovationen im Bereich Klimaschutz und -adaptation haben ein enormes Potenzial, das kann ein Riesenmarkt für die Schweizer Industrie werden. Im Bereich Klimaadaptation kommt dazu: Alle Sektoren werden sich durch den Klimawandel ändern – die Landwirtschaft, die Berge, die Siedlungen. Sich vorzubereiten und vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels zu schützen ist also im direkten Interesse der Schweiz.
TZ: Die Schweiz ist als Innovationsland international nach wie vor führend, vor allem aufgrund der guten Rahmenbedingungen hier zu Lande. Wir sind also bestens positioniert, um in den anlaufenden Initiativen Technologien und Konzepte zu entwickeln und diese dann auch international anzuwenden und zu vermarkten. Das steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Industrie.