Städteplanung für Subsahara-Afrika neu denken

Für sein Dissertationsprojekt an der EPFL untersuchte Armel Kemajou die Stadtrandgebiete von Lomé, Togo, und Yaoundé, Kamerun, wo sich die Bevölkerungszahl in 20 Jahren verdoppeln wird. Er beobachtete Baustrategien, die kohärente individuelle und kollektive Planungsansätze widerspiegeln, obwohl sie ausserhalb des gesetzlichen Rahmens liegen. Kemajou macht Vorschläge, wie ein solcher Bauansatz umgesetzt werden kann, und verabschiedet sich damit von einer Stadtplanung nach europäischem Vorbild, die für diese Länder ungeeignet ist.
Blick auf einen Stadtteil von Yaoundé, Kamerun. © Istock

Die zunehmend urbane Bevölkerung Afrikas wird sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Dies führt zu einem exponentiellen Wachstum der Städte, das für viele Länder ausserordentlich schwierig zu bewältigen ist. Die meisten dieser städtischen Gebiete, wie z. B. die sich ausbreitende Stadt Lagos in Nigeria, sind so gross, dass ihre Grenzen schwer zu erkennen sind. Die neuen Städte Afrikas entstehen in peri-urbanen Gebieten, die das Bevölkerungswachstum aufnehmen können. Doch nur wenige Länder haben Stadtplanungsstrategien, die dieser Realität Rechnung tragen. Armel Kemajou, Doktorand der Architektur, war erstaunt, wie wenig diese Gebiete untersucht wurden, und beschloss, seine Doktorarbeit auf sie zu konzentrieren, und zwar auf die Städte Lomé in Togo und Yaoundé in Kamerun. Am 8. Dezember verteidigte er seine Dissertation, die an der EPFL im Rahmen der Gemeinschaft für Stadt- und Regionalplanung (CEAT) unter der Leitung von Jérôme Chenal durchgeführt wurde. Wir haben uns mit Armel Kemajou zusammengesetzt, um über seine Arbeit zu sprechen.

Bei der Untersuchung der Aussenbezirke von Lomé und Yaoundé haben Sie festgestellt, dass ein harmonisches Stadtgefüge existiert, das sich allerdings ausserhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen entwickelt hat.

Es gibt eine grosse Kluft zwischen der entworfenen Stadt – wie sie in der Gesetzgebung und durch die Stadtplanungspolitik festgelegt ist – und einer «gelebten» Stadt, die von ihren Bewohnenden Tag für Tag aufgebaut wurde. Diese grosse Diskrepanz bedeutet, dass es keinen Überblick darüber gibt, was gebaut wird – und das liegt vor allem daran, dass die bestehenden Stadtplanungsinstrumente und -gesetze im Grunde Überbleibsel aus der Kolonialzeit sind, die sich bisher an den urbanen Praktiken aus Europa orientierten. Aber europäische Städte sind anders gebaut, und ihre technischen, personellen und finanziellen Ressourcen sind völlig anders. Das bedeutet, dass diese Instrumente für Afrika nicht realistisch und damit unanwendbar sind. Die Realität vor Ort ist lokaler und sozial komplexer als in Europa, und das muss berücksichtigt werden.

«Der Aufbau einer Stadt folgt einer kollektiven Intelligenz.»      Armel Kemajou

Sie meinen, dass die derzeitigen Stadtplanungsstrategien nicht in der Lage sein werden, die Bedürfnisse einer Bevölkerung zu erfüllen, die sich in 20 Jahren verdoppeln wird?

In Yaoundé hat sich der Umfang der Stadt in den letzten drei Jahrzehnten verdreifacht. In Lomé hat er sich um den Faktor 4,5 vergrössert. Es ist klar, dass die Ressourcen fehlen, um diese Urbanisierung zu stoppen, also muss ein Schlussstrich unter das Geschehene gezogen werden. Die Stadtverwaltung kann nicht so tun, als gäbe es all das nicht, was von den bisherigen Bewohnerinnen und Bewohnern geschaffen wurde. Es werden robustere und skalierbare Pläne benötigt, die dieser rasanten Stadterweiterung entgegenwirken.

«Man kann die Menschen nicht dazu zwingen, sich an ein Stadtplanungsmodell aus den 1960er Jahren zu halten, das sich seit der Unabhängigkeit nicht verändert hat.»      Armel Kemajou

Wollen Sie damit sagen, dass die gebaute Umwelt in den Stadtrandgebieten dieser beiden Städte nicht informell ist?

Ganz und gar nicht. Die wenigsten Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sind aus Frustration oder weil sie keine andere Wahl hatten, an den Stadtrand gezogen. Es sind Menschen, die Dinge durchdenken, die Pläne machen und sie umsetzen. Das bringt etwas hervor, was Stadttheoretiker nicht gewohnt sind, aber es ist dennoch eine gültige Art, eine Stadt zu bauen. Ausserdem, wenn der grösste Teil einer Stadt «informell» ist, wie bestimmen wir dann, was die «echte» Stadt ausmacht? Wenn wir ein effizientes Modell entwerfen wollen, das mit der Realität vor Ort übereinstimmt, sollten wir als Ausgangspunkt nehmen, was die Mehrheit der Menschen tatsächlich tut.

Ein Wohnhaus im Nkozoa-Viertel in Yaounde © 2018 Armel Kemajou

Die neuen Städte, die an den Stadträndern entworfen und gebaut werden, sind also das Ergebnis lokaler Konstruktionsstrategien?

Sie sind das Ergebnis eines kollektiven Denkens, eines Know-hows, auf das die Menschen zurückgreifen, um ihren eigenen Lebensraum zu bauen, der ihren Bedürfnissen entspricht. Sie bauen ihren Raum in der Grössenordnung eines Hauses, aber sie wissen auch, wie sie ihn zu einem Teil ihres Viertels machen können, im Verbund mit ihren Nachbarn – ein Gebiet, in dem sich Familien entfalten können, mit gemeinsamen sozialen Einrichtungen, Märkten, Kinderspielplätzen und so weiter. All dies findet ausserhalb eines städtebaulichen Rahmens statt, weil dieser mit diesen kollektiven Strategien nicht Schritt halten kann.

Aber werden die Grenzen dieser Strategie ohne einen umfassenden städtebaulichen Ansatz angesichts des schnellen Bevölkerungswachstums in Togo und Kamerun nicht irgendwann deutlich?

In meiner These plädiere ich nicht für einen Laissez-faire-Ansatz – das würde im Chaos enden. Aber die Art und Weise, wie der Städtebau heute angegangen wird, ist auch nicht die richtige. Ich empfehle eine kollektive Stadtplanungsmethode, eine, die einen Dialog zwischen lokalen Regierungen, Stadtplanung und den Hunderttausenden von «individuellen Stadtentwicklerinnen und Stadtentwicklern» herstellen kann. An der Schnittstelle dieser beiden Denkweisen werden wir die am besten geeignete Form der Stadtplanung finden. Man kann die Menschen nicht dazu zwingen, sich an ein Stadtplanungsmodell aus den 1960er Jahren zu halten, das sich seit der Unabhängigkeit nicht verändert hat.

Ihre interdisziplinäre Arbeit liegt an der Schnittstelle von Stadtplanung, Sozialwissenschaft und Wirtschaft. Sie umfasst auch Forschung in den Bereichen Recht und Ingenieurwesen. Wie haben Sie Ihre Studie durchgeführt?

Nehmen wir ein Beispiel: Sie wollen Genf untersuchen. Alles, was Sie tun müssen, ist, eine Anfrage an den Kanton zu stellen, und Sie haben alle Daten, die Sie brauchen, in digitaler Form. Aber wenn es um die sehr lokale Realität dieser beiden Städte in Afrika geht, wo es an Basisdaten mangelt, mussten wir in unserer Methodik kreativ sein. Im Mittelpunkt der Studie stand eine qualitative Analyse der etwa hundert Interviews, die wir mit den Bewohnenden der Städte geführt haben, und die wir mit strengeren Methoden verglichen haben. Um zu verstehen, wie sich die Menschen fortbewegen, brachten wir GPS-Geräte an etwa fünfzig motorisierten Taxis an, die in den Randgebieten der Stadt verkehren. Indem wir diese Reisedaten mit den Interviews kombinierten, konnten wir den Einfluss der Transportmethoden auf die Entwicklung der Randgebiete messen. Abgerundet haben wir dies mit Interviews mit Fachleuten, kartographischen Analysen von Bodenwerten und schliesslich einer Bewertung der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen.

Könnten die Ergebnisse Ihrer Arbeit von togolesischen und kamerunischen Stadtverwaltungen sofort umgesetzt werden?

Studien wie diese sind meiner Meinung nach unerlässlich, um eine effektive Stadtplanung zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass Kolleginnen und Kollegen aus diesen beiden Städten an meiner Online-Verteidigung teilgenommen haben. Ich konnte meine Empfehlungen sofort mit ihnen teilen. Ich werde die Ergebnisse meiner Dissertation zur Verfügung stellen und hoffe, dass sie schliesslich in politische Massnahmen umgesetzt werden, die mit meinen Empfehlungen übereinstimmen.

Räumliche Entwicklung von Lomé, Togo. Quellen der Basisdaten: SDAU Grand Lomé, Africapolis © 2019 Armel Kemajou

Die vier Jahre, die ich für meine Dissertation gebraucht habe, waren nicht lang genug, um alle Fragen zu behandeln, die ich untersuchen wollte. Aber sie gaben mir gute Anregungen für die Arbeit nach der Promotion, für den Austausch mit Professorinnen und Professoren in grossen Institutionen und für die Möglichkeit, dieses Wissen mittelfristig in den Dienst der Kommunen in Kamerun und Togo zu stellen. Es wäre sinnlos, wenn diese Informationen nur in europäischen Bibliotheken verbleiben würden.