ETH-Bereich

Forschung für die Krisenbewältigung

Der Artenschwund, die Klimaerwärmung mit der Häufung von Extremwetterereignissen – und dazu noch der Krieg in der Ukraine, der Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Energieversorgung, und die digitale Transformation mit sich bringt: Wir leben in einer herausfordernden Zeit, in der sich gleich mehrere Krisen bemerkbar machen. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem ETH-Bereich gibt es viel zu tun. Sie gehen den vielfältigen Problemen auf den Grund. Und entwickeln aufgrund ihrer dadurch erworbenen Expertise Lösungsvorschläge, um der Bevölkerung, den Behörden und der Politik mit Rat und Tat beizustehen.
Die Expertinnen und Experten des ETH-Bereichs machen Lösungsvorschläge für die vielfältigen Krisen, die sich abzeichnen. (© ETH-Rat / Shutterstock)

Der Sommer 2022 war wieder aussergewöhnlich heiss und trocken. Er forderte europaweit Zehntausende von Menschenleben – und zeigte, dass «selbst das Wasserschloss nicht vor Wassermangel gefeit ist, zumal die Eisreserven in den Alpen im Rekordtempo schwinden», schreibt Sonia Seneviratne, Professorin am Departement Umweltsystemwissenschaften und eine der Hauptautorinnen des letzten Berichts des Weltklimarats, im Zukunftsblog der ETH Zürich. Wie sie mit ihrem Team berechnet hat, sind derartige Dürreverhältnisse im heutigen Klima etwa einmal in 20 Jahren zu erwarten. Ohne menschengemachte Klimaerwärmung wäre nur alle 400 Jahre mit solchen Extremereignissen zu rechnen. «Der Sommer 2022 soll uns ein Weckruf sein», schreibt Seneviratne. «Es braucht eine radikale Abkehr von Erdöl, Gas und Kohle – und zwar so rasch wie möglich.»

Verwundbarer als noch vor 50 Jahren

Auch das Center for Security Studies (CSS) an der ETH Zürich beschäftigt sich mit multidimensionalen Krisen und Konflikten. «Seit der Zeit des Kalten Kriegs hat sich das Bedrohungsspektrum ausgeweitet», sagt Professor Andreas Wenger, der Direktor des CSS. Standen früher feindliche Panzer im Fokus, gehe es aktuell im Kontext des Kriegs in der Ukraine etwa auch darum, sich gegen Cyberattacken oder eine Strommangellage zu wappnen. Gleichzeitig sei die Welt aufgrund der vielen Interdependenzen und kritischen Abhängigkeiten verwundbarer geworden. «Wegen den globalen Lieferketten betreffen uns auch weit entfernte Konflikte heute viel stärker als noch vor 50 Jahren», sagt Wenger.

«Wir brauchen ein zentralisiertes Führungsunterstützungssystem, das bei Bedarf jederzeit auf ein Netzwerk von Fachpersonen zurückgreifen kann.»      Professor Andreas Wenger, Direktor des Center of Security Studies (CSS)

In der Schweiz würden einzelne Gefahren zu oft isoliert angeschaut und die Antworten in Silos geplant, beobachtet er. Dadurch drohe die Gesamtsicht verloren zu gehen, umso mehr, weil es im hiesigen politischen System nur ein einziges Gremium gebe, das den Überblick habe. «Der Bundesrat ist für die departementsübergreifende Koordination zuständig. Aber wir brauchen auch ein zentralisiertes Führungsunterstützungssystem, das bei Bedarf jederzeit auf ein Netzwerk von Fachpersonen zurückgreifen kann», sagt Wenger. Die Notwendigkeit, ein interdisziplinäres Netzwerks zu etablieren, um ad-hoc Gremien zu bilden, sieht auch der Bundesrat. Ergänzend erwähnt Wenger, dass die EU beispielsweise über eine gemeinsame Flotte von Löschflugzeugen verfügt. Das zeige, dass Bewältigungsstrategien zusehends auf internationaler Kooperation fussen. «Hier hat die Schweiz noch Nachholbedarf», so Wenger.

Effizientes, sauberes und zuverlässiges Energiesystem der Zukunft

Nachholbedarf ortet auch Peter Richner, Leiter des Forschungsschwerpunkts Energie und stellvertretender Direktor der Empa. «Die Schweiz hat jahrzehntelang geschlafen, sowohl beim Zubau der erneuerbaren Energien wie auch bei der Digitalisierung», sagt Richner. Erst jetzt sei sie – im Krisenmodus – erwacht. «Nun interessieren sich die Leute für die Lösungen, an denen wir schon lange arbeiten.» Im Gespräch führt Richner zahlreiche Beispiele auf. Sie reichen vom Effizienz-Weltrekord in der Dünnschicht-Fotovoltaik über die Entwicklung intelligenter Heizregelungstechnik bis zum Aufbau eines WasserstoffTankstellennetzes für den dekarbonisierten Lastwagenverkehr. Trotz dieser beeindruckenden Vielfalt von Ansätzen: «Die Empa verfolgt eine einzige Strategie. Wir müssen auf erneuerbare Energie umschwenken – und sparsam und sorgfältig damit umgehen», sagt Richner.

Mit vielen unterschiedlichen technischen Aspekten der Energiewende befasst sich auch Mario Paolone, Professor und Leiter des schweizweiten Kompetenzzentrums für neue Stromnetzlösungen an der EPFL. Zusammen mit Partnern aus der Akademie und der Industrie hat das Konsortium neue Methoden und Technologien entwickelt und experimentell geprüft, um die Schweiz in Zukunft zuverlässig mit sauberem Strom versorgen zu können. So sind verschiedene Tools entstanden, die etwa aufgrund von Wetterdaten die regionale Stromproduktion von Wind- und Sonnenenergie vorhersagen können oder die Netzbetreiber darin unterstützen, auch bei Extremwetterereignissen optimale und stabile Bedingungen im Stromnetz aufrechtzuerhalten. «Im Hinblick darauf, was moderne Technologien den Energieunternehmern bieten können, brauchen wir unbedingt den Austausch und die Mitwirkung der politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger auf verschiedenen Ebenden, von den Gemeinden über die Kantone bis hin zum Bund», betont Paolone.

Vertrauen in der digitalen Welt

Das Center for Digital Trust, kurz: C4DT, an der EPFL befasst sich nicht mit der Strom-, sondern mit einer ganz anderen Krise. «Vertrauen beruht auf der Fähigkeit, die Absichten eines Gegenübers lesen zu können», sagt dessen akademischer Leiter Jean-Pierre Hubaux. «Wie lässt sich diese im Laufe von Jahrtausenden erworbene Fähigkeit in die digitale Welt übertragen, in der ich mich als Nutzer zum Beispiel ständig fragen muss: Ist dieses Video authentisch oder nicht?» Hubaux beschreibt das C4DT als Schnittstelle zwischen Forschung, Wirtschaft und Politik. Das Zentrum arbeitet in einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte mit 20 verschiedenen Partnern zusammen, dazu gehören das CHUV und die Swisscom, wie auch die Privatbank Lombard Odier oder das Bundesamt für Rüstung armasuisse.

«Vertrauen beruht auf der Fähigkeit, die Absichten eines Gegenübers lesen zu können.»      Jean-Pierre Hubaux, akademischer Leiter des Center for Digital Trust

In den Projekten gehe es etwa darum, mittels künstlicher Intelligenz automatisch und frühzeitig die Risiken zu identifizieren, die mit technologischen Innovationen einhergehen. Oder Methoden zu entwickeln, die es humanitären Organisationen, wie etwa dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, ermöglichen, gegen sie gerichtete Social-Media-Attacken abzuwehren. «Innovation heisst Technologietransfer», sagt Hubaux. «Unsere Rolle ist die des Ermöglichens: Wir schaffen Berührungspunkte.»

Doppelt so viel Energie aus nachhaltig genutzter Biomasse

Die Berührungspunkte mit Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft muss Oliver Kröcher, Forschungslaborleiter am PSI, nicht neu schaffen. «Das Interesse der Bevölkerung an der Biomasse als Energieträger war schon immer da», sagt Kröcher. Doch jetzt, wo die Preise höher seien, sei auch das Interesse deutlich gestiegen. «Heute steht die Energie aus Biomasse an der Schwelle zur Rentabilität.» Aktuell deckt die Energie, die aus Holz, Ernteabfällen oder auch Gülle gewonnen wird, ungefähr 5% des Energiebedarfs. «Mit einer optimalen nachhaltigen Nutzung liegt doppelt so viel drin», sagt Kröcher. Dabei spielt er einerseits auf technische Neuerungen an. Zum Beispiel entwickeln die Forschenden neue thermochemische Methoden, um Biomasse in flüssigen Kraftstoff umwandeln zu können. Andererseits müsse man, um das Potenzial besser auszuschöpfen, das Holz in unseren Wäldern besser nutzen, anstatt es stehen und irgendwann verrotten zu lassen. Kröcher relativiert gleich im nächsten Satz, dass nicht das ganze Holz weg soll. Denn: «Totholz im Wald ist gut für die Artenvielfalt.»

Wald, Artenvielfalt und Resilienz

«Artenvielfältige Wälder sind resiliente Wälder», sagt Arthur Gessler, der an der WSL das Forschungsprogramm «Langfristige Waldökosystemforschung» leitet. «Nach dem Rekordsommer von 2003 galten wir noch als Schwarzmaler, als wir die Leute davor warnten, dass verschiedene Baumarten wie Tannen und Buchen zusehends Probleme bekommen könnten», erzählt Gessler. Doch jetzt, nach den sehr warmen und trockenen Jahren 2018, 2019 und 2022, habe ein generelles Umdenken stattgefunden. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen entwirft Gessler Szenarien, wie der hiesige Wald der Zukunft aussehen könnte. Er rät den Waldbesitzenden heute Mischwälder zu begründen. «Das ist wie bei einem Aktienportfolio: Wenn sie auf fünf Arten setzen, statt nur auf eine, erhöht sich die Chance, dass sich etwas etabliert und auch an sich ändernde Umweltbedingungen angepasst bleibt», sagt Gessler.

Mischwälder seien zwar etwas komplexer bei der Holznutzung, aber in der Schweiz verbreiteter als etwa in Frankreich oder Deutschland, weil hier nicht so sehr der Holzertrag, sondern andere Waldleistungen, wie der Lawinenschutz oft eine überragende Rolle spielten. Ausserdem: Wälder seien die grössten terrestrischen Kohlenstoffsenken. Wie die Forstwirtschaft dazu beitragen könne, das Ziel der Netto-Null-Emissionen zu erreichen, sei deshalb ein grosses Thema im Austausch mit der Praxis, den Gessler auch als Leiter des Waldforschungsnetzwerks SwissForestLab regelmässig pflegt.

Verständnis für die Bedeutung einer Landschaft

Die Bedeutung des Walds als Energielieferant ist in der Bevölkerung fest verankert. «Doch heute steht die ganze Landschaft als Standort für Energieinfrastrukturen zur Debatte», sagt Felix Kienast, Experte für Landnutzungssysteme an der WSL. Zusammen mit seinen Kollegen Marcel Hunziker und Boris Salak hat er kürzlich eine schweizweite Befragung durchgeführt.

«Windräder oder Fotovoltaikanlagen in unberührten Landschaften sind für viele Personen ein No-Go.»      Felix Kienast, Experte für Landnutzungssysteme an der WSL

Dabei zeigten die Forscher den Umfrageteilnehmenden typische Schweizer Landschaften, die virtuell mit verschiedenen Energieinfrastrukturen bestückt waren. «Für Anlagen in Gebieten, die durch Strassen, Siedlungen oder touristische Infrastrukturen wie etwa Skilifte vorbelastet sind, gibt es eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Aber Windräder oder Fotovoltaikanlagen in unberührten Landschaften sind für viele Personen ein No-Go», sagt Kienast.

Bei solchen Entscheiden spiele die Bedeutung einer Landschaft eine Rolle. Es nütze nichts, Leute nur mit technokratischen Argumenten – etwa der Anzahl Megawatt eines neuen Kraftwerks – überzeugen zu wollen. Viel wichtiger sei es, die Bedeutung der Energieinfrastruktur mit der Bedeutung der Landschaft in Übereinstimmung zu bringen. So habe er zum Beispiel beobachtet, wie die anfängliche Skepsis der jurassischen Landwirtinnen und Landwirte gegenüber den Windturbinen auf ihrem Land gewichen sei, als sie sich als Klimapioniere zu verstehen begannen.

Amphibienteiche für die Artenvielfalt

Rolf Holderegger, Direktionsmitglied und Leiter der Forschungseinheit «Biodiversität und Naturschutzbiologie» an der WSL, führt aus, dass in den letzten hundert Jahren über 90% der Moorflächen in der Schweiz verschwunden sind.

«Moore sind besonders artenreiche Gebiete», sagt Holderegger. Deshalb gingen die Gewässerkorrektionen und Land-Entwässerungen mit einem Biodiversitätsverlust einher. Doch die Trockenlegung wirke sich auch auf das Klima aus. «Auf den trockengelegten Landwirtschaftsflächen zerfällt der Torf und setzt grosse Mengen vom Treibhausgas Kohlendioxid frei», erklärt Holderegger.

Er zeichnet beim Beschreiben der aktuellen Entwicklung der Biodiversität ein differenziertes Bild. Der Artenverlust schreite zwar besonders bei den seltenen Arten voran, doch es gebe auch positive Signale. So seien im Kanton Aargau Hunderte neuer Tümpel oder Teiche angelegt worden. In der Folge hätten die Amphibienbestände zugenommen. «Mit einer Studie haben wir belegt, dass solche Massnahmen tatsächlich nützen. Und dass man Erfolg hat, wenn man sie umsetzt.»

Von der Natur inspirierte Lösungen

Ähnlich bestimmt tönt auch Peter Bach, der an der Eawag an sogenannten blau-grünen Infrastrukturen forscht. So, wie die Städte heute gebaut seien, seien sie schlecht für den Klimawandel gerüstet, denn ihre grossen Asphalt- und Betonflächen versiegelten den Boden und stauten die Hitze, erklärt Bach. Mit einer geschickten Planung – etwa der Aufwertung von Stadtpärken und der Vernetzung von Grünräumen – könne man jedoch dafür sorgen, dass mehr Wasser verdunsten und versickern könne.

«Das Konzept der Schwammstadt stellt den natürlichen Wasserkreislauf wieder her», sagt Bach. Er ist mit seinem interdisziplinären Team an mehreren Projekten in verschiedenen Städten der Schweiz beteiligt. Dabei stosse er generell auf grosses Interesse und eine hohe Akzeptanz, denn die von der Natur inspirierten Lösungen seien multifunktional und vereinigten gleich mehrere Vorteile auf sich. «Grünräume mit Bäumen in den Städten schützen nicht nur vor Überschwemmungen, sondern senken auch die Umgebungstemperatur. Zusätzlich erhöhen sie die Artenvielfalt in den Siedlungsgebieten – und die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner», sagt Bach.