Toiletten als Beispiele für industrielle Umstrukturierungen
Paolo Tombesi, ein EPFL-Forscher, und Milinda Pathiraja, ein sri-lankischer Forscher, haben ein innovatives Projekt abgeschlossen, das das industrielle Entwicklungspotenzial von architektonischem Design durch den Bau von zwei Toilettenanlagen in einer sri-lankischen High School evaluiert. Ihr Prototyp stützt sich auf fast 20 Jahre Forschung über industrielle Umstrukturierung und Baupolitik.
«Die Bautätigkeit in Schwellenländern wie Sri Lanka ist in Märkte unterschiedlicher wirtschaftlicher und kultureller Kapazitäten zersplittert», sagt Pathiraja, «wesentliche soziale Infrastrukturen wie öffentliche Toiletten befinden sich in der Regel am unteren Ende der Werteskala. Bei strategischer Planung kann die Gestaltung solcher Infrastrukturen jedoch als Chance genutzt werden, um Innovationen zu präsentieren und zu verbreiten und praxisbezogene Auslöser für eine dringend benötigte Wiederbelebung der lokalen Baukultur einzuführen.»
Einweihung der Toiletten an der Kandy High School, 14. Juli 2023. © RAW (Robust Architecture Workshop)
Pathiraja ist bis zum Frühjahr 2024 Gastwissenschaftler am Laboratorium für Bau und Architektur (FAR) der EPFL. Am 14. Juli 2023 weihte er die neu gebauten Toiletten an seiner alten High School in Kandy, einer Stadt im Herzen Sri Lankas, ein. Der Prototyp basiert auf zwei Jahrzehnten Forschung, die Pathiraja zusammen mit Tombesi, dem Leiter des FAR, durchgeführt hat.
Die Toilettenblöcke der öffentlichen Schule in Kandy sind scheinbar einfach aufgebaut. Ihr Dach besteht aus zwei Gewölben aus Ferrozement, und die Aussenwände sind aus gelochten Zementblöcken zusammengesetzt. Die gesamte Struktur ruht auf einer Ziegelmasse. Die daraus resultierende Belüftung, das natürliche Licht und die Geräumigkeit sind eine grosse Verbesserung gegenüber den schmutzigen, erdrückenden Betonwänden, die durch die neuen Blöcke ersetzt wurden. Das Projekt erwies sich als recht komplex, da es eine zeitgemässe Sprache etabliert und Taktiken zur Neuorganisation der Branche für diesen Einführungsmarkt erforscht.
«Wir haben seit der Eröffnung der neuen Toiletten ein sehr positives Feedback erhalten», sagt Pathiraja, «die Ambitionen unseres Projekts im Bereich des Industriedesigns passen gut zu den Verbesserungen, die wir in Bezug auf Umweltfreundlichkeit und Komfort erreicht haben.»
PhD-Forschung
Pathiraja schloss 2005 sein Doktorat in Architektur an der Universität von Melbourne ab. Seine Dissertation befasste sich mit der Möglichkeit, reale architektonische Entwürfe für baupolitische Entscheidungen in Entwicklungsländern zu nutzen, und sein Doktorvater war Tombesi, der noch nicht zur EPFL gewechselt hatte. Seitdem arbeiten Pathiraja und Tombesi an einem gemeinsamen Ziel: Praxis und Forschung zusammenzubringen, um Hypothesen zur Verbesserung der industriellen Planung in Schwellenländern zu testen. Die intellektuelle und forschungsbezogene Grundlage des innovativen Konzepts der Forscher ist zu einem grossen Teil auf Pathirajas Doktorarbeit zurückzuführen, wurde aber auch durch seine gemeinsamen Bemühungen mit Tombesi geprägt, darunter zwei internationale Symposien (2011 und 2013), zwei Master-Workshops an der EPFL (2017 und 2018) und mehrere Forschungsartikel. Parallel dazu leitet Pathiraja gemeinsam mit seiner Frau Ganga Ratnayake einen Robust Architecture Workshop in Colombo.
Die neuen Toilettenblöcke haben die alten, baufälligen und ungenutzten Toiletten ersetzt.© RAW (Robust Architecture Workshop)
Nachhaltiges Bauen
Die Toilettenblöcke sind die jüngste und bisher am weitesten entwickelte Anwendung ihrer strategischen Ideen und besonders relevant für die Herausforderungen, mit denen das Land derzeit konfrontiert ist: «Bei unserem Pilotprojekt ging es nicht nur darum, Toiletten zu bauen», sagt Pathiraja, «es gab uns auch die Chance zu zeigen, dass es möglich ist, in Sri Lanka nachhaltig zu planen und zu bauen und dabei die industriellen Bedingungen, Herausforderungen und Erwartungen des Landes zu berücksichtigen. Die in unserem Projekt verwendete Sprache der Betonbauteile zielt darauf ab, das richtige Gleichgewicht zwischen industriell und handwerklich organisierten Baupraktiken zu finden und neue, wirtschaftlich nachhaltige und ökologisch ausgerichtete Bau-'Traditionen' für Länder zu kultivieren, die unter Urbanisierungsdruck, begrenzten Rohstoffen und finanziellen Zwängen stehen.»
Der Betonmantel des Gewölbes. © RAW (Robust Architecture Workshop)
Lokale Materialien und Vorfertigungsmethoden
Die Vorgaben für das Projekt waren klar: Angesichts der desolaten Wirtschaftslage Sri Lankas mussten die Forscher kostenbewusst vorgehen. Pathiraja erklärt: «Sri Lanka befindet sich derzeit in einer Wirtschaftskrise, in der die Finanzreserven aufgebraucht sind, die Bautätigkeit zurückgeht und die Materialeinfuhren drastisch sinken. Das eröffnet Möglichkeiten, das Bau-Know-how aus der Zeit nach der (1948 erlangten) Unabhängigkeit zurückzubringen, insbesondere im Hinblick auf lokale Vorfertigungsmethoden. Dies fördert auch die Verwendung lokaler Materialien mit einem geringeren Kohlenstoff-Fussabdruck und einer Arbeitsintensität, wie sie die Wirtschaft benötigt.»
Durch die Verwendung von lokal produzierten Zementkomponenten und die Veränderung der Morphologie traditioneller Gebäude haben die Forscher die Verwendung der gängigsten Baumaterialien (wie Aluminium und Glas) vermieden, die über globale Lieferketten geliefert werden, die viel graue Energie verbrauchen. Darüber hinaus ermöglichte der Einsatz von Bausätzen den einfachen Transfer von beruflichen Fähigkeiten, während die kleinteiligen Bauelemente eine technische Grundlage für die lokale Zusammenarbeit mit der Industrie bieten.
Soldaten der Luftwaffe auf der Baustelle. © RAW (Robust Architecture Workshop)
Vom Soldaten zum Baumeister
Die Soldaten der Luftwaffe wurden als Arbeitskräfte für dieses Projekt eingesetzt, um Kosten zu sparen und Kapazitäten aufzubauen. Die Luftwaffenangehörigen wurden durch strategische Schulungen während des Bauprozesses weitergebildet. Die Forscher legten auch grossen Wert auf die Verwendung von klinkerarmem Zement, da dieser in Sri Lanka weder verfügbar noch umweltfreundlich ist, und auf die Entwicklung von Bausystemen, die weniger Zement benötigen als die üblichen Praktiken: «Die von uns verwendete Schalung und Füllung gab uns die nötige Flexibilität, um Bausysteme mit kombinierten wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen einzuführen», sagt Pathiraja. «Gewölbte Dächer aus Ferrozement kombinieren beispielsweise Kosteneffizienz, Wartungsfreundlichkeit, einfache Alterung und geringeren Materialgehalt mit verbesserter Wasseraufnahme, volumetrischem Gefühl, Schornsteinbelüftung und Vandalismusresistenz. Das zeigt, wie Baupolitik und Nachhaltigkeit zu einer Wertschöpfung an unterschiedlichen Enden führen.»
Die Sanitäranlagen bieten auch in der Abenddämmerung einen einladenden Raum. © RAW (Robust Architecture Workshop)
«Aber um diesen Wert freizusetzen, braucht die Branche konkrete Beispiele und Prototypen, die sowohl den technischen Wert als auch die wirtschaftliche Machbarkeit solcher Ideen aufzeigen», so Tombesi. «Genau das erfüllen unsere Toiletten, so wie sie gebaut wurden, indem sie anspruchsvolle Designstandards erfüllen und gleichzeitig die Gesamtkosten auf 400 Dollar pro Quadratmeter, einschliesslich Sanitäranlagen, senken. Und angesichts des landesweiten Bedarfs an dieser Art von Programmen werden die Lektionen, die wir gelernt haben, wahrscheinlich von anderen aufgegriffen werden.» Die neuen Toiletten – treffend «The Lanterns» genannt – sollen der gesamten Bauindustrie helfen, das Licht zu sehen.
Aufrütteln der Branche
Im Rahmen seines diesjährigen Gaststipendiums bei FAR wird Pathiraja zusammen mit Tombesi an einer von der Schweizer Regierung finanzierten Lebenszyklusanalyse konventioneller gewerblicher Bauten arbeiten, die in letzter Zeit entlang der Hauptverkehrsstrassen Sri Lankas errichtet wurden. Die Ergebnisse der Analyse werden mit denen verglichen, die mit dem im Toilettenprojekt verwendeten Konstruktionsansatz erzielt werden können. Ziel ist es zu zeigen, dass die richtigen industriellen Strategien in Bezug auf architektonische Qualität, Kosten und Umweltauswirkungen wettbewerbsfähig sein können. In dieser Hinsicht wird Sri Lanka als Sprungbrett für ein grösseres Projekt genutzt. Pathiraja und Tombesi sind davon überzeugt, dass die Dynamik, die sie in Sri Lanka testen, auf viele andere Regionen übertragbar ist. Der Bau von Schultoiletten als Auslöser für einen nachhaltigen Wandel in der Bauindustrie mag ehrgeizig klingen, aber die beiden Kollegen und Freunde sind optimistisch: «Eine globale Reise beginnt mit kleinen Schritten vor Ort», sagt Tombesi.
Milinda Pathiraja inmitten der High School Studenten von Kandy am Einweihnungstag. © RAW (Robust Architecture Workshop)