Ein Siegel für Lecks von Darm und Magen
Für Chirurgen:innen gehören Magenverkleinerungen oder die Entfernung von Darmgewebe mittlerweile zu Routineeingriffen. Bis heute tappen Ärzt:innen jedoch im Dunkeln darüber, ob die Nähte, die sie im Magendarmtrakt zurücklassen, wirklich dicht sind.
So erleidet nach wie vor eine von zehn Patientinnen Komplikationen, etwa dass Magensaft oder Darminhalt über ein Leck in den Bauchraum gelangen und eine schwere Infektion verursachen. Undichte Nähte sind von ausserhalb des Körpers aber kaum und oft erst dann erkennbar, wenn ein Patient plötzlich hohes Fieber hat – ein Anzeichen für eine Blutvergiftung.
«Das Problem undichter Nähte nach Operationen am Magendarmtrakt ist noch immer ungelöst», sagt ETH Pioneer Fellow Alexandre Anthis. «Ich hätte nie gedacht, dass das nach wie vor ein Thema ist, auch in reichen Industrieländern.»
Der Chemiker, der an der ETH Zürich doktorierte, möchte Abhilfe schaffen: Schon in seiner Doktorarbeit versuchte er, für dieses Problem Lösungen zu finden, und seit einem Jahr arbeitet er an der Entwicklung eines Hightech-Pflasters, das Nähte an Därmen und Mägen nicht nur vollständig abdichten soll, sondern auch frühzeitig anzeigt, ob die Nahtstelle undicht ist.
Darmpflaster aus Hydrogel
Die Basis dieses Darmpflasters ist ein Hydrogel. Darin eingebettet sind bestimmte chemische Sensorelemente, die entweder auf Veränderungen des pH-Wertes durch austretende Magensäure oder auf gewisse Enzyme des Darms reagieren. Mit einem herkömmlichen Ultraschallgerät können Ärzte und Ärztinnen unkompliziert und nicht-invasiv nach einer OP regelmässig kontrollieren, ob das Pflaster Veränderungen aufweist oder nicht. Eine undichte Stelle am Darm kann so nach drei Stunden, eine am Magen nach nur 15 Minuten nachgewiesen werden. Zurzeit dauert es oft Tage, bis Lecks entdeckt werden.
«Mit dem neuen Darmpflaster sollen nicht nur schwere Komplikationen verhindert, sondern auch massiv Kosten im ganzen Gesundheitswesen eingespart werden. Denn Komplikationen münden oft in längeren Aufenthalten auf Intensivpflegestationen und in einer langen Rehabilitation», betont Anthis. Für den US-Gesundheitsmarkt hat er Zahlen: kommt es zu postoperativen Komplikationen, müssen Patienten doppelt so lange in der Intensivpflege bleiben. Zwar verwenden Gefässchirurgen schon heute selbstklebende Darmpflaster, die auf Proteinen basieren wie etwas Fibrin. Doch diese Materialien halten austretenden Verdauungssäften nicht lange stand. «Unsere Technologie wird nicht nur Patienten schützen, sondern für Ärzt:innen auch ein wichtiges Werkzeug werden», hofft der ETH-Ingenieur.
Doktorarbeit als Grundstein
Auf die Idee, ein Darmpflaster zu entwickeln, kam Anthis’ Doktoratsbetreuerin Inge Herrmann, Professorin für Nanopartikuläre Systeme an der ETH Zürich. Anthis erzählt, dass sie zusammen mit ihrer Gruppe einen regen Austausch mit Ärztinnen und Chirurgen pflege, und bei einem solchen Austausch sei die Notwendigkeit, Komplikationen nach Darm- und Magen-Operationen zu verringern, zur Sprache gekommen.
Herrmann setzte schliesslich Anthis darauf an, in seiner Doktorarbeit eine Lösung für dieses Problem zu entwickeln – was er bravourös schaffte. Dank seiner Leistung wurde Anthis 2022 in die Forbes-Liste «30under30» aufgenommen. Seit er vor einem Jahr seine Doktorarbeit abgeschlossen hat, arbeitet er nun daraufhin, das Produkt weiterzuentwickeln und zur Marktreife zu führen. Das Startkapital des Pioneer Fellowships in der Höhe von 150'000 Franken deckt für eineinhalb Jahre seinen Lohn. Labor, Materialien und Infrastruktur stellt ihm die Professur Herrmann zur Verfügung.
Grosses Marktpotenzial
Einen Namen für seine zukünftige Firma hat er sich auch ausgedacht: Veltist, eine Ableitung des griechischen Worts «veltistos», was einfache, aber robuste Lösung bedeutet. Geplant ist, das Unternehmen Ende 2022 zu gründen, eventuell auch ein Jahr später, je nachdem wie die geplanten Versuche an Schweinen laufen. Der Magendarmtrakt dieser Tiere ähnle dem des Menschen sehr und sei deshalb ein gutes Modell. Auf diese Tests soll dann die erste klinische Phase mit ersten Tests an Menschen folgen.
Auf Anthis wartet also noch viel Arbeit. Auch die Weiterentwicklung des Pflasters ist anspruchsvoll. «Unser Ziel ist, dass es sich im Körper abbaut und trotzdem möglichst lange widrigster Bedingungen im Bauchraum standhält. Auch darf es das Immunsystem nicht aktivieren», sagt Anthis. Doch es wird nicht einfach, all diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Dennoch ist er zuversichtlich. «Ich spiele und kreiere gerne mit verschiedenen Materialien, das kommt mir jetzt sehr entgegen.».
Er steht auch in Kontakt mit einem grossen Medizinaltechnikunternehmen. Das Problem von Darmlecks nach OPs ist bedeutend, das Marktvolumen dementsprechend gross. Allein in der Schweiz werden pro Jahr 120'000 Personen am Magendarmtrakt operiert, weltweit 14 Millionen. «Das ist ein grosses Marktvolumen mit entsprechendem Potenzial», meint Anthis – und er ist zuversichtlich, dass er den Durchbruch schaffen kann.
Sinnvolle, aber harte Arbeit
«Ich finde es sehr befriedigend, etwas zu entwickeln, was wirklich gebraucht wird», sagt er, um gleich ernst hinzufügen: «Ein Projekt wie dieses erfordert Koordination und harte Arbeit an verschiedenen Fronten, damit es überhaupt eine Chance hat, vom Labor in die Klinik zu gelangen.» Die Realität sei, dass die harte Arbeit eines Einzelnen möglicherweise nicht ausreiche, um zum Ziel zu gelangen. Deshalb sei es das wichtigste, für ein solches Vorhaben ein grossartiges Team und gute Mitarbeitende zu finden.
Dass das Projekt eine Herzensangelegenheit ist, merkt man ihm an. Zurzeit arbeite er hart und sehr viel. «Manchmal ist es total verrückt», sagt er, und lacht: «aber wir Jungunternehmer leben für diesen Schmerz.»