Welche Verkehrsmittel nutzen Sie und warum?
Woran liegt es, dass die Berner nicht so zur Arbeit pendeln wie die Genferinnen oder die Lausanner wie die Menschen aus Yverdon? Wie haben sich die Verkehrsmittel in Genf, Waadt und im Grossraum Bern in den letzten zehn Jahren verändert? Werden die umweltfreundlicheren Verkehrsmittel so populär, wie wir gerne glauben würden? Dies sind nur einige der Fragen, die die Forschenden des Labors für Stadtsoziologie (LASUR) der EPFL in der jüngsten Ausgabe ihrer Verkehrsstudie beantworten wollten. Sie untersuchten, wie sich die Menschen in drei Schweizer Grossstädten – Genf, Lausanne und Bern – sowie in mehreren kleineren Städten in der Westschweiz und im benachbarten Frankreich fortbewegen, und nutzten dabei eine bewährte Methode, die Vergleiche zwischen Regionen und im Zeitverlauf ermöglicht.
Konkret führten sie telefonische Befragungen einer repräsentativen Stichprobe mit fast 5000 Erwerbstätigen im Grossraum Genf sowie in den Kantonen Waadt und Bern durch. Das Befragungsgebiet bestand aus Genf, Lausanne und Bern – deren Befragte in städtische und vorstädtische Gebiete eingeteilt wurden – sowie aus einer Reihe kleinerer Städte: Annemasse, Thonon, Nyon, Morges, Yverdon, Biel/Bienne, Bellegarde, Saint-Julien-en-Genevois, Cluses, Gex, Aigle und Rolle. Die Umfrage wurde vor der Covid-19-Pandemie durchgeführt.
Die Ergebnisse zeichnen ein vollständiges Bild der verschiedenen Transportmittel, die die Befragten nutzen – private Autos, motorisierte und nicht-motorisierte Zweiräder und öffentliche Verkehrsmittel – gekreuzt mit der Art der Wohngegend, in der sie leben und ob sie zur Arbeit pendeln oder für andere Zwecke ausgehen. Es überrascht nicht, dass die Wahrscheinlichkeit, täglich das Auto zu benutzen, umso grösser ist, je weiter man von einem grossen Stadtzentrum entfernt lebt. Und während die Menschen für den Weg zur und von der Arbeit in der Regel dasselbe Verkehrsmittel benutzen, neigen sie bei Reisen aus anderen Gründen dazu, eine grössere Vielfalt an Verkehrsmitteln zu nutzen, mehr Fahrten zu unternehmen, grössere Entfernungen zurückzulegen und länger wegzubleiben. Der private Pkw wird dreimal häufiger und das Fahrrad doppelt so häufig für diese Fahrten ausserhalb der Arbeit genutzt. Zu Fuss gehen wird immer beliebter, oft auch als Freizeitbeschäftigung an und für sich.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass in Grossstädten die Pendlerinnen, die den privaten Pkw nutzen (25 % der Befragten in Genf und Bern), auch diejenigen sind, die den meisten Verkehr verursachen (67 % bzw. 70 %). Der relative Effekt ist in kleineren Städten geringer, aber der Trend ist derselbe. In Morges zum Beispiel benutzen 47 % der Befragten täglich ihr Auto und erzeugen 83 % des Verkehrs; in Aigle sind es 58 % bzw. 90 %. Die Umfrage ergab auch, dass die meisten täglichen Autonutzer offen für andere Verkehrsmittel sind.
Infographik (in Französisch) zum Herunterladen in der Info-Box am Ende des Textes. ©MCV/ERPFL
Acht Arten von Transportbenutzenden
Das ist das Besondere an der soziologischen Studie des LASUR: Sie untersucht nicht nur, wie Menschen von A nach B kommen, sondern auch, warum sie sich für ein bestimmtes Verkehrsmittel entscheiden und – vielleicht noch wichtiger – wie bereit sie sind, neue Verkehrsmittel zu nutzen. Die Forschenden identifizierten zwei Hauptkategorien von Verkehrsteilnehmenden, die sie in acht Untergruppen oder «Verkehrstypen» unterteilten. Die erste Hauptkategorie besteht aus Personen, die ihre Wahl auf der Grundlage des Verkehrsmittels treffen. Sie enthält fünf Untergruppen: reine Pkw-Nutzende (deren Zahl abnimmt und die bereits aus dem Raum Bern verschwunden sind); Personen, die motorisierte Privatfahrzeuge bevorzugen; Personen, die Privatfahrzeuge jeglicher Art bevorzugen (z. B. sowohl Autos als auch Fahrräder); Personen, die saubere Verkehrsmittel bevorzugen (z. B. öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad und zu Fuss); und Personen, die körperlich aktive Verkehrsmittel bevorzugen (z.B. Fahrrad und zu Fuss). Die zweite Hauptkategorie, die aus Personen besteht, die ihre Wahl aufgrund des Verkehrserlebnisses treffen, enthält drei Untergruppen: Personen, die Effizienz priorisieren, Personen, die persönlichen Komfort suchen, und Personen, die sich um die Umwelt sorgen.
Das Wissen über diese Kategorien und Präferenzen kann den Verantwortlichen in der Stadt helfen, Verkehrssysteme zu gestalten, die besser auf die Bedürfnisse der Bewohnenden abgestimmt sind. Von der Gruppe, die sich Sorgen um die Umwelt macht, benutzen beispielsweise viele Menschen am Ende sowieso ihr privates Auto (ausser für den Arbeitsweg), weil keine anderen Optionen leicht verfügbar sind. Und viele von denen, die private Fahrzeuge jeglicher Art bevorzugen, benutzen am Ende häufig ihr Auto – und vernachlässigen dabei völlig ihr Fahrrad. Und diejenigen, die auf Effizienz Wert legen, stellen oft fest, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in den kleineren Städten nicht mit dem Komfort eines Privatautos mithalten können und dass das Fahrrad nicht sehr effizient ist, ausser vielleicht in Biel und Yverdon. All dies deutet darauf hin, dass es ein Potenzial gibt, diese Nutzenden zu einer Änderung ihrer Gewohnheiten zu bewegen.
Bern geht mit gutem Beispiel voran
Ähnliche Umfragen hat LASUR bereits 1994 und 2011 durchgeführt, und damals wie heute erwies sich Bern als Vorzeigestadt. Die Bernerinnen und Berner verzichten im Gegensatz zu den Genferinnen und Lausannern häufig auf das Auto, auch für nicht-berufliche Aktivitäten. Liegt das daran, dass die Hauptstadt der Schweiz andere bequeme Transportmöglichkeiten bietet, oder daran, dass die Bewohnenden eher umweltbewusst sind? Die Umfrage deutet auf Ersteres hin, wenn man die Unterschiede zwischen Genf, Lausanne und Bern berücksichtigt. Würde man die Genferinnen und Genfer beispielsweise nach Bern transportieren, würden sie die gleichen Entscheidungen treffen wie die Bewohnenden Berns – mit Ausnahme der Nutzenden von Privatfahrzeugen, die es in Genf noch gibt, während sie in Bern verschwunden sind. Mit anderen Worten: Die verdrängten Bewohnenden Genfs würden ihre Verkehrsmittelnutzung schliesslich an die der Bernerinnen und Berner angleichen. Dies deutet darauf hin, dass die Stadtverwaltung mit der richtigen Kombination aus Verkehrssystemen und -politik die Nutzenden realistischerweise vom Auto weg und zu anderen Verkehrsmitteln hin bewegen könnte.
Die Studie gibt weiterhin Empfehlungen für politische Massnahmen, die dabei helfen können, diese Verlagerung voranzutreiben, indem sie auf verschiedene Arten von Verkehrsteilnehmehmenden abzielen. Zu den Vorschlägen gehören: verstärkte Bemühungen, Parkverstösse zu ahnden, mehr durchgängige, sichere Radwege zu bauen, neue Richtlinien für Firmenparkplätze einzuführen, öffentliche Verkehrsmittel komfortabler zu machen, niedrigere Tarife für gelegentlich Nutzende öffentlicher Verkehrsmittel anzubieten und spezifische Richtlinien zur Förderung des Radfahrens zu verabschieden.
Interview mit Vincent Kaufmann, Professor am LASUR
Hat Ihre Umfrage 2018 irgendetwas Kontraintuitives offenbart?
Wir waren überrascht, eine Gruppe von Menschen zu finden, die so sehr am Individualverkehr hängt, unabhängig davon, ob er motorisiert ist. Das bedeutet, dass es möglich ist, Massnahmen einzuführen, die die Nutzenden von Privatfahrzeugen ermutigen, für ihre täglichen Fahrten auf Elektrofahrräder oder sogar normale Fahrräder umzusteigen.
Hat die Pandemie etwas an den in Ihrer Umfrage ermittelten Trends geändert?
Nein. Wir haben im Mai 2020 eine weitere Umfrage in Zusammenarbeit mit Mobil'Homme durchgeführt, und die Ergebnisse waren im Grossen und Ganzen die gleichen. Wenn sich die Situation im ÖV wieder normalisiert hat, auch wenn es ein paar Jahre dauert, wird das Potenzial, die Menschen zur Nutzung des ÖV zu bewegen, immer noch vorhanden sein.
Hat die Pandemie neue Arten von Verkehrsteilnehmenden hervorgebracht?
Das glaube ich nicht. Aber wenn diese Situation anhält, könnten wir eine Veränderung in der Aufteilung zwischen den verschiedenen Arten von Nutzenden sehen. Der Anteil der Menschen, die Effizienz bevorzugen, könnte abnehmen, da sie kürzere Strecken zurücklegen, und der Anteil der Menschen, die körperlich aktive Verkehrsmittel bevorzugen, könnte zunehmen, zum Beispiel.
Glauben Sie, dass die Pandemie einen langfristigen Effekt auf die Verschiebungen haben wird, die Sie in den letzten zwei Jahrzehnten gesehen haben?
Sie wird sich sicherlich nachhaltig auf längere Fahrten auswirken, sei es für den täglichen Pendelverkehr, Geschäftsreisen oder Reisen für Freizeitaktivitäten.