Neues Zentrum für computergestütztes Entwerfen
Wenn Architekten und Ingenieure Bauwerke entwickeln, vergeht zwischen dem ersten Entwurf und dem Baubeginn oft viel Zeit. Dazwischen liegen zahlreiche Runden, in denen sie verschiedene Entwürfe hinsichtlich Material, Kosten, Termine, Statik und Dynamik erkunden und gegeneinander abwägen. Dies geschieht oft nacheinander, Schritt für Schritt.
Digitale Entwurfsmethoden und insbesondere die Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und erweiterter Realität (XR) sollen dies jetzt grundlegend verändern. Die Arbeit von Architektinnen Ingenieurinnen – Entwurf und Berechnungen – sollen enger zusammenrücken. Zu diesem Zweck lanciert die ETH Design++, ein neues Zentrum für computergestütztes Entwerfen.
KI beschleunigt den Entwurf von Brücken
Grosse Veränderungen könnten solche Methoden zum Beispiel im Brückenbau bringen. Brücken sind hochkomplexe Bauwerke, so dass realistische Strukturanalysen – also das rechnerische Modellieren aller relevanten Kräfte unter verschiedenen Einwirkungen – in frühen Phasen des Entwurfs oft zu aufwändig sind. Brückenbauer entwerfen also Tragwerkskonzepte, ohne sie tiefgreifend zu optimieren, zum Beispiel hinsichtlich des Materialverbrauchs oder der Ökologie. Als Resultat werden derzeit relativ grosse Reserven eingebaut, etwa in Form von Beton.
Walter Kaufmann, Professor für Baustatik und Konstruktion an der ETH Zürich, will das mit seinem Team jetzt ändern. Zusammen mit Mitarbeitenden erstellt der Postdoktorand und Projektleiter Michael A. Kraus digitale Strukturanalysen von durch Parameter beschriebene Brücken, um damit eine künstliche Intelligenz (KI) zu trainieren. Die KI soll solche Strukturanalysen danach in viel kürzerer Zeit bewerkstelligen können.
Am Ende wird die KI dann anhand bestimmter Brückenparameter sogar selber grobe Entwürfe generieren können, die in Interaktion mit dem Entwerfenden relativ schnell verfeinert werden können. Während es heute oft Monate dauert, bis Brückenbauer erste Entwürfe präsentieren können, könnte das mit der neuen Methode innert Tagen oder Stunden geschehen. Dank den digitalen Entwürfen kann auch der Gestaltungsspielraum für Designs und Materialien viel breiter ausgelotet werden.
KI schlägt Entwürfe vor
In einem weiteren Forschungsprojekt des Zentrums entwickelt Romana Rust, Postdoktorandin in der Gruppe von Gramazio Kohler Research, computergestützte Werkzeuge, mit dessen Hilfe Architektinnen und Architekten den Gestaltungsspielraum für eine bestimmte Ausgangslage besser erkunden können. Anstatt einen Entwurf mühsam anzugleichen und zu adaptieren, bis er alle Kriterien und Leistungsziele erfüllt, sollen KI-Modelle Entwurfsvarianten vorschlagen. Erprobt werden die Werkzeuge an Stützen und Trägern, lichtdurchlässigen Fassaden und speziellen Wandelementen für die Raumakustik.
Digital erweiterte Kreativität
Solche und ähnliche Projekte sollen künftig im neuen Zentrum für computergestütztes Entwerfen in Architektur und Bauingenieurwesen an der ETH, kurz Design++, entstehen. Robert Flatt, ETH-Professor für Baustoffe und einer der Väter der Idee hinter Design++, sagt: «Wir streben eine erweiterte Kreativität an: Wir wollen Bauten anhand neuer Entwurfswerkzeuge optimieren und zugleich den Gestaltungsraum digital erweitern.»
Das Prinzip: Während des Entwerfens sollen in Echtzeit sehr viel mehr Informationen verfüg- und visualisierbar sein. Messgrössen wie der ökologische Fussabdruck, die Lebensdauer, die Bau- und Betriebskosten aber auch die Bauqualität – zum Beispiel die akustische – sollen bereits beim Entwurf viel genauer berücksichtigt und beeinflusst werden können. Damit stehen den Planern aber auch Bauherren in frühen Entwurfsstadien datengestützte und somit objektive Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung.
22 Professuren beteiligt
Diese Art zu entwerfen macht eine viel stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig. An Design++ beteiligt sind deshalb 22 Professuren, hauptsächlich aus der Architektur, dem Bauingenieurwesen und der Informatik. Dazu kommt eine neue Professur für Computational Augmented Design in Architektur, Bauingenieurwesen und Konstruktion, die in Kürze ausgeschrieben wird. Neben gemeinsamen Forschungsprojekten plant Design ++ auch neue Lehrveranstaltungen zur KI in Architektur und Bauwesen. Immersive Lehrformen sollen insbesondere komplexe Zusammenhänge im Hochbau aber auch konstruktiven Ingenieurbau besser vermitteln können.
Entwurfslabor für digital erweiterte Realität
Als gemeinsames Herzstück dient dem Center ein neu konzipiertes und kürzlich eröffnetes Labor für erweiterte Realität auf dem Campus Hönggerberg. Im Immersive Design Lab, einem 70 m2 grossen Raum, werden digitale Entwürfe und Modelle mit Hilfe von Virtual und Augmented und Mixed Reality erlebbar und können auch bearbeitet werden. Digital generierte Architekturentwürfe oder Brückenmodelle beispielsweise können so analysiert und in Echtzeit weiterentwickelt werden. Mehrere Personen können dabei gemeinsam an den virtuellen Entwürfen arbeiten und sich gemeinsam über Verbesserungen austauschen.
Das neue Designlabor ist unter anderem bestückt mit 3D-Stereo-Projektoren und einer 8x5-Meter grossen Leinwand, Bewegungssensoren, 75 kuppelförmig angeordneten Lautsprechern, diversen VR- und AR-Brillen, einem Hochleistungsserver und tragbaren Rechnern für das Echtzeit-Rendering der Bilder. Neben der virtuellen Begehung von Bauprojekten ermöglicht das Labor auch die Visualisierung komplexer Daten oder die Fernbedienung von unbemannten Baumaschinen auf weit entfernten Baustellen. Initiiert und realisiert wurde das Labor von der Professur Gramazio Kohler in Zusammenarbeit mit Experten aus den Bereichen Extended Reality und Akustik.