«Wir suchen Projekte im ‹Tal des Todes›󠅒»
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom CarboQuant-Projekt erfahren hatten?
Das Projekt kam über unseren wissenschaftlichen Beirat zu mir, der es mir – bzw. dem Stiftungsrat – als förderwürdig empfohlen hatte. Und als den Antrag dann bei mir auf dem Schreibtisch lag, dachte ich – noch bevor ich ihn gelesen hatte –, «OK, Graphen, da gab's einen Nobelpreis dafür; aber was will man da schon Neues machen, da sind die Themen doch weitgehend bekannt und bearbeitet. Wo liegt der Clou bei dem Projekt?» Das Spannende am Projekt ist, dass es um die Geometrie dieser neuen Graphen-Werkstoffe geht, dass man über die Geometrie des Graphens dessen elektrische und magnetische Eigenschaften «einstellen» kann – und das geht weit über das bislang Bekannte hinaus. Die Form bestimmt die Funktion, nicht die Chemie – also ein vollkommen neuer Denkansatz. Das hat mich wirklich beeindruckt. Daher haben wir Roman Fasel, Oliver und Pierangelo Gröning eingeladen, uns das Projekt näher vorzustellen.
Worauf achten Sie in erster Linie, wenn Sie ein Projekt begutachten?
Wir schauen vor allem auf die Protagonisten, auf das Team und fragen uns: Können die das Projekt tatsächlich umsetzen, trauen wir ihnen das wirklich zu? Wie agieren sie bei der Präsentation, ist das eine «One-Man-Show», redet da einer die ganze Zeit, während die anderen nur dasitzen und zuhören, oder arbeiten sie zusammen? Wenn das eher Einzelkämpfer sind, dann ist das für uns schon ein Problem. Wir suchen Projekte, die hochgradig interdisziplinär sind – und das ist bei einer einzelnen Person eher schwierig. Das heisst, Teamplay ist für uns enorm wichtig. Wie funktionieren die im Team, stimmt die Chemie zwischen denen? Wenn nicht, dann würden wir im Extremfall auch ein wissenschaftlich exzellentes Projekt ablehnen – und haben das auch schon getan.
Beim CarboQuant-Team scheint die Chemie gestimmt zu haben.
Das war eine Präsentation, wie wir uns das vorstellen. Es war gerade nicht so, dass da Einer das Sagen hätte, und die anderen würden nachkauen, was der Chef sagt. Die haben sich regelrecht die Bälle zugespielt. Da waren drei Köpfe, und jeder hatte seine ganz eigenständige Meinung – und genau das braucht es in so einem ambitionierten Projekt. Es muss Diskussionen, Reibung geben, um voranzukommen. Das hat uns überzeugt.
Hubert Keiber
Hubert Keiber ist promovierter Physiker und war von 1983 bis 2015 in leitender Position bei Siemens Schweiz, sowie bei Siemens-Tochtergesellschaften in Russland und China tätig. Als Obmann der Werner-Siemens Stiftung ist er Vorsitzender des dreiköpfigen Stiftungsrats.
Die Werner Siemens-Stiftung fördert gemäss ihrem Stiftungszweck herausragende, innovative Forschungsprojekte mit dem Ziel, die daraus resultierenden Innovationen später industriell nutzen zu können – das Anwendungspotenzial nimmt also eine zentrale Rolle ein. Sie fördern etwa ein robotergesteuertes Laserskalpell für minimalinvasive Eingriffe, antivirale Medikamente oder Technologien, um den Datentransfer im Internet sicherer zu machen. Wie passt da CarboQuant bzw. die Quantenphysik rein?
Dazu zunächst einmal: Projekte im Bereich Quantencomputer haben wir in der Vergangenheit auch schon abgelehnt. Auf diesem Gebiet wird heute vor allem noch viel reine Grundlagenforschung betrieben – und das ist explizit nicht unser Thema. Wir fördern aber auch keine Projekte nach dem Motto «schneller, weiter, höher» – also wenn es «nur» darum geht, etwas Bestehendes zu optimieren. Wir suchen Projekte, die sich im «Tal des Todes» befinden: Die Grundlagenforschung dazu ist gemacht – in diesem konkreten Fall: Graphen gibt's. Und jetzt hat jemand eine Idee, was sich daraus machen liesse, etwa einen Prototyp bauen – dafür bekommt er in der Regel noch kein «Venture Capital», aber auch keine Förderung für Grundlagenforschung mehr, etwa vom Nationalfonds. Viele Projekte in diesem «Zwischenbereich» kommen nie zum Laufen, weil ihnen die Fördermittel fehlen. Genau hier springen wir ein – und CarboQuant passt da optimal rein. Diese ganz speziellen Graphenstrukturen, deren elektronischen und magnetischen Eigenschaften sich über ihre Geometrie, ihre Form einstellen lassen, könnten künftig Computerchips auf einer ganz anderen Basis ermöglichen wie dies bei den heutigen Quantencomputern der Fall ist. Quantencomputer sind allerdings nur EINE Anwendungsmöglichkeit für diese Graphenstrukturen; der Quantencomputer ist sozusagen das Fernziel. Ich bin überzeugt, dass die Erkenntnisse und Entwicklungsschritte auf dem Weg dorthin auch zu technologischen Neuerungen in ganz anderen Bereichen führen können.
Welche zum Beispiel?
Etwa mikroelektronische Bauteile und Schaltelemente. Die Tatsache, dass ich über die Geometrie des Graphens verschiedene Materialeigenschaften einstellen kann, war für uns entscheidend – denn dieser vollkommen neue Ansatz erlaubt es, andersartige, also nicht Silizium-basierte Halbleiter zu entwickeln für die Mikroelektronik von morgen.
15 Millionen Franken sind für die Empa eine aussergewöhnlich hohe Summe für ein einzelnes Projekt – auch für die Werner Siemens-Stiftung?
Nein, das ist genau die Art und Weise, wie wir Projekte fördern. Dafür fördern wir auch «nur» drei bis vier Projekte pro Jahr, diese aber mit Beträgen in der Grössenordnung von fünf bis 15 Millionen Franken, in der Regel über zehn Jahre.
Da man jeden Förderfranken nur einmal ausgeben kann, birgt dieser Förderansatz gewisse Risiken. Warum verfolgen Sie gerade diese Förderphilosophie?
Das liegt an der Organisation unserer Stiftung – wir sind personell sehr schlank aufgestellt, und damit haben wir nur eine begrenzte Kapazität, um Projekte zu begutachten. Wenn wir viele kleine Projekte bearbeiten und fördern würden, bräuchten wir eine ganz andere Organisation. Unsere Philosophie bzw. unser Codex ist: klein, aber fein – und damit meine ich den «Overhead». Wir wollen möglichst kein Geld für «Overhead» ausgeben, das Geld soll in die Projekte fliessen.
Welche «Bedingungen» sind eigentlich mit den Fördergeldern verknüpft?
Wir fordern einmal pro Jahr einen Bericht über den Fortschritt des Projekts an – und berichten dann selbst darüber in unserem Jahresbericht. Mehr gibt’s für die Forschenden nicht zu tun. Wenn wir uns einmal entschieden habe, ein Projekt zu fördern, dann gehen wir damit auch das Risiko ein, das das schieflaufen kann. Es kann einerseits sein, dass das Projekt stirbt, weil die Grundidee prinzipiell nicht realisierbar ist – das haben wir zwar noch nicht erlebt, ist aber denkbar und kann passieren. Was aber fataler wäre, ist, wenn das Team trotz guter Ideen nicht in der Lage wäre, das Projekt umzusetzen. Denn dann hätten wir einen Bock geschossen. Eben: «High risk – high gain.»
Quantencomputer sind regelmässig in der Presse – meist in Verbindung mit den grossen Tech-Giganten wie IBM, Microsoft, Google und Co. und ihren milliardenschweren Entwicklungsbudgets. Warum setzen Sie in diesem «Wettrennen» gerade auf einen kleinen Player wie die Empa?
Weil das Team Quantencomputer vollkommen neu denken und konzipieren will, auch auf der Materialseite. Heute brauchen Sie 4 Grad Kelvin, also Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, um einen Quantencomputer mit, sagen wir mal, 8 Qbits zu betreiben – und CarboQuant könnte es ermöglichen, solche Computer mit Chips, die wie normale Chips aussehen, bei deutlich höheren, eventuell sogar bei Raumtemperatur zu betreiben. Und ein weiterer Punkt: Beim Thema Quantencomputer steht, wie Sie richtig gesagt haben, Europa nicht wirklich im Vordergrund. Mit CarboQuant könnten wir hier in Europa einen Beitrag zu diesem wichtigen Forschungsgebiet leisten.