Mikroplastik von Autoreifen auf der Spur
Die im April 2020 gestartete Studie wird von einem Konsortium aus führenden Reifenherstellern gesponsert. Die beiden anderen Forschungsinstitute, die mit der EPFL zusammenarbeiten, sind das Schweizerische Zentrum für angewandte Ökotoxikologie (Ökotoxzentrum), das das Projekt koordiniert, und das Eidgenössische Institut für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag). Die erste Phase wurde mit zwei Artikeln abgeschlossen, die in Environmental Science & Technology veröffentlicht wurden (Ende November 2021 und Ende Oktober 2022). Diese Artikel befassen sich speziell mit der Solubilisierung und Bioverfügbarkeit von Verbindungen aus Reifenpartikeln im Verdauungssystem von Regenbogenforellen.
Auswirkungen der Nahrungsmittelaufnahme
Für ihre Untersuchungen verwendeten die Wissenschaftlerinnen einen innovativen In-vitro-Ansatz, der auf simulierten Magen- und Darmflüssigkeiten basiert. Sie analysierten elf Verbindungen und stellten fest, dass die Solubilisierungsrate in Magen-Darm-Flüssigkeiten zwischen 0,06 % und 44,1 % liegt und dass diese Rate je nach der Art der mitverzehrten Nahrung variieren kann. Eine besondere Verbindung, die sie untersuchten, war 6PPD-Chinon (6PPD-Q), ein toxisches Nebenprodukt der Oxidation von 6PPD, einem in der Reifenindustrie weit verbreiteten Antioxidans. Werden Reifenpartikel, die 6PPD-Q enthalten, zusammen mit Flohkrebsen aufgenommen, wird die im Fischdarm gelöste Verbindung erhöht. Bei anderen chemischen Verbindungen hat die gemeinsame Aufnahme jedoch den gegenteiligen Effekt. Weitere Experimente zur Bewertung der Toxizität vieler anderer Substanzen in Reifenpartikeln sind im Gange.
«Diese Verbindungen sind komplizierter als Standardpolymere wie Polystyrol und PET – und es gibt wahrscheinlich Hunderte von ihnen», sagt Florian Breider, Leiter des Zentralen Umweltlabors (CEL) der EPFL und korrespondierender Autor der beiden Arbeiten. «Die meisten Forschungen konzentrieren sich heute auf die Verschmutzung durch Mikroplastik aus Verpackungen und Abfällen, aber Mikroplastik aus Reifen macht 30-40 % der Plastikverschmutzung in der Umwelt aus. Daher ist auch diese Art der Verschmutzung eine Untersuchung wert.» Hauptautor der beiden Arbeiten ist Thibault Masset, Postdoktorand am CEL.
Nebenprodukte und deren Alterung
Ziel der Studie ist es, die Bioverfügbarkeit, Bioakkumulation und Toxizität von Reifenpartikelverbindungen und verwandten Zusatzstoffen zu bestimmen. Nach Abschluss von Phase 1 beginnen die Forschenden mit Phase 2, in der untersucht wird, wie die Verbindungen in der Nahrungskette weitergegeben werden – zum Beispiel von der Insektenlarve zur Regenbogenforelle.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen auch die Nebenprodukte von Reifenpartikelverbindungen untersuchen und wie sich die Verbindungen im Laufe der Zeit zersetzen. Ein Beispiel ist 6PPD-Q, das entsteht, wenn 6PPD (das der Gummimischung bei der Reifenherstellung zugesetzt wird) mit O2 und O3 aus der Umgebung in Kontakt kommt. Laut einer 2021 in Science erschienenen Studie war 6PPD-Q für das akute Lachssterben in der Elliott Bay in Seattle verantwortlich. «Reifenhersteller müssen ihre Produkte ganzheitlicher betrachten und die instabile Natur einiger der von ihnen verwendeten Chemikalien berücksichtigen», sagt Breider. «Diese Chemikalien können sich zersetzen und unbeabsichtigte Nebenprodukte bilden, die manchmal giftig sind.»
Gummi, Russ und Schwermetalle
Ein am 23. September 2022 veröffentlichter Bericht des Bundes über Kunststoffe in der Umwelt zeigt, dass Reifen- und Strassenabrieb eine der Hauptursachen für die Verschmutzung durch Mikroplastik in der Schweiz ist. Die dabei entstehenden Partikel bestehen zu 60 % aus Gummi, zu 30 % aus Russ und zu 10 % aus Schwermetallen. In der Schweiz fallen jährlich über 13 500 Tonnen dieser Partikel an, von denen rund 8900 Tonnen in Luft, Boden und Wasser gelangen. Eine 2019 veröffentlichte Studie der EPFL zeigt, dass bis zu 61 % des Mikroplastiks, das in den Genfersee gelangt, auf Reifen- und Strassenabrieb zurückzuführen ist. Die Forschenden kennen noch nicht alle chemischen Verbindungen, die in diesen Partikeln enthalten sind, und wissen auch nicht, welche Folgen sie haben könnten.