Lebensspuren im tiefen Erdmantel
Dass die Vorgänge im Erdinnern das Geschehen auf der Erdoberfläche beeinflussen, ist leicht erkennbar. So fördern beispielsweise Vulkane magmatische Gesteine zu Tage und stossen Gase in die Atmosphäre aus und beeinflussen so die biologischen und geochemischen Kreisläufe auf unserem Planeten.
Weniger offensichtlich ist, dass auch das Umgekehrte gilt: Das Geschehen an der Erdoberfläche wirkt sich auf das Erdinnere aus – und zwar bis in grosse Tiefen. Zu diesem Schluss kommt eine internationale Forschergruppe um Andrea Giuliani, SNF Ambizione Fellow am Departement Erdwissenschaften, in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift Science Advances. Demnach wirkt sich die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten bis in den unteren Erdmantel aus.
Kohlenstoff als Bote
Die Forschenden untersuchten sogenannte Kimberlite, seltene vulkanische Gesteine, die Diamanten enthalten, aus unterschiedlichen Epochen der Erdgeschichte. Bei diesen besonderen Gesteinen handelt es sich um Boten aus den untersten Bereichen des Erdmantels. In rund 150 Proben dieser Gesteine haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Zusammensetzung der Kohlenstoff-Isotope gemessen. Dabei zeigte sich, dass die Isotopen-Zusammensetzung bei Kimberliten, die weniger als 250 Millionen Jahre alt sind, wesentlich stärker variiert als bei solchen, die viel älter sind. Bei etlichen der jüngeren Proben liegt die Zusammensetzung der Kohlenstoff-Isotope ausserhalb des Bereichs, den man bei Gesteinen aus dem Erdmantel eigentlich erwarten würde.
Den Auslöser für diese veränderte Zusammensetzung in den jüngeren Gesteinen sehen die Forschenden in der Kambrischen Artenexplosion. Es handelt sich dabei um eine geologisch gesehen kurze Phase von einigen zehn Millionen Jahren zu Beginn des Kambriums vor etwa 540 Millionen Jahren. In dieser kritischen Phase tauchten in den Meeren erstmals fast alle heute existierenden Tierstämme der Erde auf. «Die enorme Zunahme an Lebensformen in den Ozeanen veränderte das Geschehen an der Erdoberfläche entscheidend», erklärt Giuliani. «Und dies wiederum wirkte sich auf die Zusammensetzung der Sedimente am Meeresgrund aus.»
Vom Meere in den Erdmantel und zurück
Für den unteren Erdmantel ist diese Umstellung relevant, weil ein Teil der Sedimente am Meeresgrund, in denen Material von abgestorbenen Lebewesen eingelagert wird, durch die Plattentektonik in den Erdmantel gelangt. Entlang der Subduktionszonen werden diese Sedimente – zusammen mit der darunterliegenden ozeanischen Kruste – in grosse Tiefen verfrachtet. Damit gelangt auch der Kohlenstoff, der als organisches Material in den Sedimenten eingelagert wurde, in den Erdmantel. Die Sedimente vermischen sich dort mit anderem Gesteinsmaterial aus dem Erdmantel und steigen nach einer gewissen Zeit, die mindestens 200 bis 300 Millionen Jahre dauert, an anderer Stelle wieder an die Erdoberfläche auf – zum Beispiel eben in Form von Kimberliten.
Dass Veränderungen in den Meeressedimenten so tiefgreifende Spuren hinterlassen, ist bemerkenswert. Denn insgesamt werden bei einer Subduktionszone nur geringe Mengen an Sediment in die Tiefe verfrachtet. «Das bestätigt, dass das subduzierte Gesteinsmaterial im Erdmantel nicht homogen verteilt wird, sondern sich entlang von bestimmten Bahnen bewegt», erklärt Giuliani.
Die Erde als Gesamtsystem
Neben Kohlenstoff haben die Forschenden weitere chemische Elemente auf ihre Isotopen-Zusammensetzung hin untersucht. Dabei zeigten die Elemente Strontium und Hafnium ein ähnliches Muster wie Kohlenstoff. «Das heisst, dass die Isotopen-Signatur beim Kohlenstoff nicht durch alternative Prozesse wie Entgasung erklärt werden kann, denn sonst würden die anderen Elemente ein abweichendes Muster zeigen», hält Giuliani fest.
Die neuen Erkenntnisse öffnen die Türe für weitere Studien. So könnten Elemente wie Phosphor oder Zink, die durch biologische Prozesse ebenfalls beeinflusst werden, ebenfalls Hinweise liefern, wie die Prozesse an der Erdoberfläche das Erdinnere beeinflussen. «Die Erde ist ein komplexes Gesamtsystem», meint Giuliani. «Und dieses möchten wir noch genauer verstehen.»