Die Aerosol-Jäger vom Jungfraujoch
1995 startete das Laboratorium für Atmosphärenchemie am PSI mit seiner Messreihe, welche bis heute andauert, zu vielen neuen Erkenntnissen geführt hat und welche uns täglich mit frischen Aeorsol-Rohdaten beliefert. Dieses Jahr findet zudem eine besondere Feldkampagne statt, in welcher sich Forschende aus der ganzen Welt der Kohlenstoffbilanz in der Atmosphäre widmen. Wir haben uns mit Benjamin Brem, Umweltingenieur in der Forschungsgruppe Aerosolphysik, unterhalten und nachgefragt, wie eine so lange Messreihe funktioniert und was sich die Forschenden aus der aktuellen Feldkampagne erhoffen.
Umgeben von der Schönheit der Berner Alpen mit Blick auf den gigantischen Eisstrom des Aletschgletschers – dort, wo jährlich über eine Million Touristen hinströmen, betreibt das Paul Scherrer Institut eine Messreihe. Herr Brem, das klingt doch nach einem traumhaften Arbeitsort?
Benjamin Brem: Es ist tatsächlich ein eindrücklicher Ort. Insbesondere, wenn am Abend die Touristen mit der letzten Bahn zurück ins Tal fahren – auf einen Schlag ist es still und man fühlt die Abgeschiedenheit da oben. Man ist umgeben von dieser einmaligen Natur und wenn der Gletscher schwindet und das Geröll zum Vorschein kommt, erlebt man hautnah dessen fragiles Gleichgewicht.
In der Station herrscht auch ein bisschen der Pioniergeist der 30er-Jahre – die Räume mit ihren Holzvertäfelungen erinnern an die Anfänge der Messungen, als Forschende noch ihr Bündel gepackt haben, hochgefahren sind und dort oben gewohnt und gemessen haben.
Aber solche Aufenthalte sind heute selten. Wir besuchen die Station typischerweise nur einmal im Monat für Unterhalts- und Kalibrierarbeiten. Die Messinstrumente sind automatisiert und in Echtzeit mit dem Server am PSI verbunden. Den grössten Teil meiner Arbeit verbringe ich am PSI am Computer. Hier werden die Daten gesichtet und auf ihre Qualität überprüft.
Der Begriff «Aerosol» ist vor allem durch die Corona-Pandemie bekannt geworden. Was haben denn nun Aerosole mit dem Klima zu tun?
Aerosol ist ein breiter Begriff. Wissenschaftlich wird er definiert als solid or liquid particle suspended in a gas, also flüssige oder feste Teilchen, welche klein genug sind, um in der Luft zu schweben. Das können, wie im Falle von COVID, winzige Tröpfchen sein, die das Virus tragen, oder aber auch feste Partikel wie Russ oder Saharastaub. Die beiden letzteren sind klimarelevante Aerosole, die für unsere Forschung von Interesse sind. Obwohl diese Partikel sehr klein sind – sie befinden sich im Nano- und Mikrometerbereich – können sie durch massenhaftes Auftreten das Klima beeinflussen. Russ beispielsweise ist schwarz und absorbiert daher das einfallende Sonnenlicht. Diese Energie wird später wieder als Wärme abgegeben, wodurch die Atmosphäre aufgeheizt wird. Je nach Farbe kann jedoch auch das Gegenteil passieren und die Aerosole streuen das Sonnenlicht zurück ins All, wodurch die Atmosphäre kühlt. Das Verhältnis von Streuung und Absorption ist somit relevant für unser Klima und Gegenstand unserer Forschung.
Es handelt sich also um sehr kleine Partikel, welche für das menschliche Auge meist kaum sichtbar sind. Wie lassen sich diese kleinen Teilchen überhaupt messen?
Am bekanntesten sind Filtermessungen, die hauptsächlich für Feinstaub, der auch zu den Aerosolen zählt, angewandt werden. Hier werden die Partikel aus der Luft gefiltert, um sie anschliessend auf ihre Masse oder ihre chemischen Eigenschaften zu untersuchen. Unsere Messmethodik hat sich jedoch immer mehr in Richtung Echtzeit und in-situ-Messungen entwickelt. So lässt sich beispielsweise die Anzahl Partikel in einem bestimmten Volumen mit einer Zeitauflösung von weniger als einer Sekunde bestimmen. Wir können in unseren Daten tatsächlich feststellen, wenn jemand in der Nähe der Messstation geraucht hat oder wenn ein Helikopter vorbeigeflogen ist – solche Ausschläge müssen natürlich im Datensatz entsprechend gekennzeichnet werden.
Viele Partikeleigenschaften werden mit optischen Methoden gemessen, aber auch die Massenspektrometrie für die chemische Zusammensetzung der Partikel wird für Langzeitmessungen vermehrt angewendet.
Das PSI führt seit 27 Jahren eine Messreihe auf dem Jungfraujoch durch. Was ist das Ziel so ausgedehnter Beobachtungen?
Unsere Messungen sind Teil eines globalen sowie eines europäischen Forschungsnetzwerkes. Ursprünglich wurden diese Netzwerke gegründet, um mögliche langfristige Veränderungen in der Atmosphäre festzustellen. Das Verständnis solcher Veränderungen ist von grossem Interesse für Behörden. Daraus lässt sich rückschliessen, ob bestimmte politische Entscheide beispielsweise die Luftreinhaltung positiv beeinflusst haben.
Neben Klimamodellen, welche zur Kalibrierung auf lange Datenreihen angewiesen sind, lassen sich Echtzeitdaten aber auch immer mehr für Vorhersagen der Luftqualität und des Wetters verwenden. Wir hatten beispielsweise eine Anfrage des Deutschen Wetterdienstes, um ihnen Daten mit strahlungsrelevanten Eigenschaften und Partikel-Grössenverteilungen von Saharastaub bereitzustellen. Diese Daten können sie nun für ihre Modelle verwenden, um den Einfluss von Saharastaub auf die Energieproduktion von Photovoltaik-Anlagen zu prognostizieren.
Unsere Forschung eignet sich auch gut für Fallstudien, in denen wir beispielsweise untersuchen, wie sich die klimarelevanten Eigenschaften der Aerosole durch Transport innerhalb der Atmosphäre verändern oder wie Aerosole die Bildung und Eigenschaften von Wolken beeinflussen. Das Verständnis von diesen Prozessen ist wichtig für verbesserte Klimamodelle.
Welche Vorteile bietet der Standort auf dem Jungfraujoch für Ihre Messungen?
Das Jungfraujoch bietet durch seine hohe Lage eine ganz besondere Umgebung – es befindet sich oft in der sogenannten freien Troposphäre. Intuitiv sollte ja warme Luft immer nach oben steigen. Infolge der Temperaturstruktur der Atmosphäre entsteht jedoch ab einer gewissen Höhe eine natürliche Grenze. Man kennt vielleicht das Bild von Hochnebellagen, welche immer am gleichen Ort sitzen – hier endet die planetare Grenzschicht, also die unterste Schichte der Atmosphäre direkt an der Oberfläche des Planeten Erde, und oberhalb davon beginnt die freie Troposphäre. Diese temperaturbedingte Schranke verhindert den Austausch zwischen der freien Troposphäre und der verschmutzten Luft aus dem Tal.
Allerdings kann sich bei hoher Sonneneinstrahlung im Sommerhalbjahr der Boden so stark aufheizen, dass sich Luftschichten von der verschmutzten planetaren Grenzschicht lösen und wie Blasen in die freie Troposphäre aufsteigen.
Dies macht das Jungfraujoch so interessant: Denn einerseits sind wir in der Lage, im Winter sowie bei Nacht die natürliche europäische Hintergrundkonzentration von Aerosolen zu messen und andererseits lässt sich tagsüber und bei hohen Temperaturen der Aerosolaustausch zwischen der planetaren Grenzschicht und der freien Troposphäre beobachten.
Aktuell sind Sie und ihre Forschungsgruppe intensiv mit einer neuen Feldkampagne beschäftigt. Von Mitte August bis Mitte September finden sich auf dem Jungfraujoch Forschende aus verschiedenen Ländern ein, um diese einzigartige Infrastruktur zu nutzen. Können Sie uns etwas mehr über dieses Projekt erzählen?
Es handelt sich um ein europäisches Forschungsprojekt namens ACTRIS (Aerosol, Clouds and Trace gases Research Infrastructure) zur Beobachtung von Aerosolen, Wolken und Spurengasen. Zusammen mit der schweizerischen Forschungsinstitution Empa, der französischen Universität Lille und der englischen Universität York versuchen wir eine möglichst vollständige Kohlenstoffbilanz für Spurengase und Partikel in unserer Atmosphäre zu erfassen. Zudem sind die slowenische Firma «Aerosol d.o.o.» sowie die Fachhochschule Nordwestschweiz im Projekt involviert, um ihre Messgeräte zu testen.
Da die Kampagne im Spätsommer stattfindet und die Temperaturen relativ hoch sind, steigt praktisch täglich Luft aus der planetaren Grenzschicht zum Jungfraujoch hoch. Dies erlaubt uns, einen Einblick in die Transportprozesse sowie die chemische Zusammensetzung junger Kohlenstoffaerosole aus dem Tal – jung deshalb, weil solche Partikel näher bei ihrer Quelle sind. Beobachten wir hingegen Partikel, welche über die freie Troposphäre transportiert wurden, wie beispielsweise Russ aus einem Waldbrand in Portugal, so haben diese Partikel durch ihren langen Aufenthalt in der Atmosphäre bereits einen Alterungszyklus durchlaufen – ihre chemische Struktur hat sich verändert. Ein Vergleich zwischen den jungen und alten Aerosolen zeigt auf, wie sich die chemischen Eigenschaften von Kohlenstoffaerosolen in der Atmosphäre verändern, was wiederum Rückschlüsse auf die Lebenszeit dieser Partikel zulässt. Schliesslich können wir diese Erkenntnis in unsere Modelle miteinbeziehen und damit die Strahlungseigenschaften von Aerosolen besser vorhersagen.
Zur Person
Benjamin Brems Karriere begann nicht sogleich in der akademischen Welt, sondern handwerklich – mit einer Lehre als Feinmechaniker. Auf dem zweiten Bildungsweg erlangte er sein Ingenieursdiplom in Biotechnologie, bevor es ihn für seinen Master in Agrar- und Biotechnologie an die Universität Illinois in die USA zog. Darauf folgte seine Promotion im Bau- und Umweltingenieurwesen, bei der er sich vertieft mit den optischen Eigenschaften von Kohlenstoff-Aerosolen beschäftigte. Als Postdoktorand und Projektleiter bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa, die wie das PSI zum ETH-Bereich gehört, erarbeitete er in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen den ersten globalen Feinstaubemissionsstandard für die zivile Luftfahrt. 2019 folgte der Wechsel ans PSI. Hier betreut er zusammen mit Nora Nowak, Pascal Schneider, Levi Folghera und Martin Gysel unter anderem die Langzeitaerosolmessreihe auf dem Jungfraujoch sowie die Zusammenarbeit mit den beiden Netzwerken Global Atmosphere Watch (GAW) und Aerosol, Clouds und Trace Gases Research Infrastructure (ACTRIS).