Gestresste Mitochondrien überleben Atemwegsinfektionen
Viele Atemwegsinfektionen, wie z. B. Influenza oder COVID-19, stellen eine erhebliche Belastung für Zellen und Organe dar, was zu einem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) führen kann, das bei betagten oder empfindlichen Personen schliesslich zum Tod führen kann.
«Neue therapeutische Strategien zur Bekämpfung des ARDS könnten versuchen, die Toleranz des Wirtsorganismus gegenüber der entzündlichen Herausforderung zu erhöhen, indem sie seine natürlichen adaptiven Stressreaktionen verstärken», sagt Professor Johan Auwerx von der EPFL-Fakultät für Life Sciences.
In einer neuen Studie haben Adrienne Mottis von der EPFL und ihre Kollegen gezeigt, dass eine solche Strategie ein biologisches Phänomen ausnutzen kann, das als «Mitohormesis» bekannt ist. Die Mitohormese beschreibt die Tatsache, dass ein leichter Stress für die Mitochondrien einer Zelle eine Reihe von Reaktionen auslösen kann, die die Gesundheit und Lebensfähigkeit der Zelle tatsächlich verbessern.
Die Mitochondrien sind die wichtigsten Energiegewinnungsorgane der Zelle und werden daher ständig von den «Überwachungssystemen» der Zelle kontrolliert. Wenn die Mitochondrien nicht richtig funktionieren oder Stress ausgesetzt sind, kann diese ständige Qualitätskontrolle adaptive Ausgleichsreaktionen auslösen, die als «mitochondriale Stressreaktionen» bekannt sind.
«Ein geringes Mass an mitochondrialem Stress kann daher für die Zelle und den Organismus insgesamt von Vorteil sein, da die positiven Auswirkungen dieser Stressreaktionen die negativen Auswirkungen des ursprünglichen Stressors überwinden können», so Mottis, die die Studie leitete. Diese Idee wird durch frühere Studien gestützt, die zeigen, dass die Auslösung der Mitohormese die Lebensspanne verlängern kann, indem sie den Auswirkungen von altersbedingten oder metabolischen Störungen entgegenwirkt.
Da sich die Mitochondrien aus Bakterien entwickelt haben, sind sie empfindlich gegenüber Antibiotika. Daher untersuchten die Forschenden verschiedene Antibiotika, die die Mitochondrien belasten könnten, und identifizierten neue Moleküle aus der Familie der Tetracycline, einer Klasse von Antibiotika, die die Synthese mitochondrialer Proteine blockiert und zur Bekämpfung einer Reihe von Infektionen wie Akne, Cholera, Pest, Malaria und Syphilis eingesetzt wird.
Die Forschenden untersuchten 52 Tetracycline und wählten neuartige Moleküle aus, wie z. B. 9-tert-Butyldoxycyclin (9-TB), die die Mitohormese selbst bei niedrigen Dosen stark auslösen, aber keine antibiotische Wirkung haben, d. h. das Mikrobiom des Wirts nicht stören. Bei Tests an Mäusen lösten die Verbindungen leichten mitochondrialen Stress und positive mitohormetische Reaktionen aus, die die Toleranz der Tiere gegenüber einer Infektion mit dem Influenzavirus erhöhten.
«Vor allem aber zeigt unsere Studie, dass die durch 9-TB ausgelösten mitochondrialen Reaktionen den ATF4-Signalweg aktivieren, eine gut beschriebene Reaktion auf verschiedene zelluläre Stressoren, und auch Signalwege der angeborenen Immunität, die so genannte Typ-I-Interferon-Reaktion, mobilisieren», fügt Auwerx hinzu: «In der Folge verbesserte 9-TB das Überleben von Mäusen, die einer tödlichen Influenza-Infektion ausgesetzt waren, während es keinen Einfluss auf die Viruslast hatte. Resistente Wirte bekämpfen die Infektion, indem sie eine Immunreaktion auslösen, die die Erregerlast reduziert, während sich Toleranz auf die Mechanismen bezieht, die das Ausmass der durch die Infektion verursachten Organdysfunktion und Gewebeschädigung begrenzen und sich nicht unbedingt auf die Erregerlast auswirken».
Die Studie zeigt, dass 9-TB bei Mäusen eine Toleranz gegenüber Influenza-Infektionen auslösen kann, indem es das Ausmass von Entzündungen und Gewebeschäden reduziert, ohne das Mikrobiom zu beeinträchtigen. «Diese Ergebnisse eröffnen innovative therapeutische Möglichkeiten, indem sie auf Mitochondrien und Mitohormese abzielen, um Entzündungen und Infektionen zu bekämpfen», schreiben die Autorinnen und Autoren.