Wenn Genetik und Linguistik gemeinsame Sache machen
Die Idee von Mitgliedern des Labors für geografische Informationssysteme (LASIG) der EPFL, Methoden aus der Populationsgenetik auf die Linguistik anzuwenden, war innovativ und ein wenig verrückt. Alles begann auf der anderen Seite des Rheins, als im Rahmen einer Umfrage zur Erstellung des Syntaktischen Atlasses der deutschen Schweiz (SADS) syntaktische Merkmale gesammelt wurden, die von 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern in 383 deutschsprachigen Gemeinden verwendet wurden. «Ein Kollege der Universität Zürich (UZH), der an der Verräumlichung von Sprachen arbeitet, dachte sich, dass das LASIG seine Kompetenzen einbringen und dabei helfen könnte, eine Verbindung zwischen den deutschsprachigen Dialekten und ihrer geografischen Herkunft herzustellen», erinnert sich Stéphane Joost. «Ich war vom interdisziplinären Aspekt des Ansatzes begeistert und muss zugeben, dass ich neugierig wurde», fährt der Leiter für Lehre und Forschung des Labors fort.
So entstand dieses Unterfangen, das zu einer Masterarbeit der Studentin Noemi Romano und kürzlich zur Veröffentlichung eines Artikels im Journal of Linguistic Geography führte. Der Text wurde gemeinsam von Noemi Romano (Erstautorin) und Stéphane Joost sowie den beiden UZH-Forschern Peter Ranacher und Sandro Bachmann verfasst. «Die Informationen zur Syntax, die während der Umfrage gesammelt wurden, dienten als Basisdaten für unsere Studie», erklärt Noemi Romano. Syntaktische Merkmale ersetzten daher die genetischen Daten, die normalerweise bei Analysen der Populationsgenetik verwendet werden, d. h. der Untersuchung der Faktoren, die die genetische Zusammensetzung einer Population sowie die Funktionsweise der jeweiligen Faktoren bestimmen.
Der Schritt aus der Komfortzone
«Glücklicherweise waren für diese Forschung keine umfangreichen Deutschkenntnisse erforderlich», sagt Romano, die inzwischen ihr Studium der Umweltwissenschaften und -technik an der EPFL abgeschlossen hat und als Geodatenanalystin für die Stadt Lausanne arbeitet: «Die Daten wurden von Sprachforschenden geliefert, und wir haben eine Methode aus der räumlichen Populationsgenetik angewandt, bei der Algorithmen zur Schätzung der erblichen Abstammung eingesetzt werden.» Joost fügt hinzu, dass die Methode dazu verwendet werden könne, «iterativ den Prozentsatz des genetischen Materials zu berechnen, den ein Individuum mit einer bestimmten Familie teilt – oder, in unserem Fall, ob der Dialekt, den eine bestimmte Person in einer bestimmten Gemeinde spricht, zu einer bestimmten Gruppe gehört».
Für Romano und Joost hat sich das Unterfangen gelohnt: «Wir haben schnell gemerkt, dass wir mit unserer Methode vergangene, von Historikern dokumentierte Ereignisse rekonstruieren können», sagt Joost. Dieser frühe Erfolg ermutigte sie, ihre Forschungen fortzusetzen, «auch wenn das bedeutete, etwas Ungewöhnliches zu tun und unsere Komfortzone zu verlassen.» Die Forschenden analysierten Gruppen von morphosyntaktischen Merkmalen und verbanden diejenigen mit den ähnlichsten Merkmalen, um eine Reihe von Karten zu erstellen, die die räumliche Verteilung der verschiedenen Dialekte in der Schweiz zeigen.
Die Karte stellt das Vorkommen der Oberwalliser Dialekte in den verschiedenen Landesteilen dar. © LASIG / EPFL
Weitere potenzielle Forschungen
Können die Mitglieder des LASIG und ihre Zürcher Linguistenkolleginnen und -kollegen ein herausragendes Beispiel nennen? Der auffälligste Befund, so das Forschendenteam, betrifft die Walser, eine Gemeinschaft von Bergbauern aus dem Oberwallis, die seit dem 13. Jahrhundert ins Berner Oberland und in die Kantone Uri und Graubünden einwanderten. «Die Karte, die wir erstellt haben, zeigt deutlich den Migrationskorridor, der in den historischen Aufzeichnungen enthalten ist», erklärt Romano. «Unsere Karte war ein echter Augenöffner für unsere Linguistenkolleginnen und -kollegen, die nicht erwartet hatten, dass sie in der Sprache, die heute in den Siedlungsgebieten dieser Menschen gesprochen wird, so eindeutige Hinweise auf den Walser-Dialekt finden würden.»
Romano und Joost haben mit ihrer Forschung ihr Ziel erreicht, nämlich ihre Hypothese zu bestätigen, dass zwischen genetischen und sprachlichen Merkmalen Parallelen gezogen werden können. Ihre Ergebnisse eröffnen weitere Forschungsmöglichkeiten: «Wir könnten diese Methode zum Beispiel in grösserem Massstab einsetzen, um sprachliche Merkmale systematischer und genauer zu kartieren», sagt Joost.