Ein Schritt näher zur individuellen Klimatisierung von Büros
Die globale Erwärmung führt dazu, dass Hitzewellen immer häufiger werden. Gleichzeitig befinden wir uns in einem Wettlauf gegen die Zeit, um den Energieverbrauch von Gebäuden und den Kohlenstoff-Fussabdruck bis 2050 zu reduzieren. Dadurch wird deutlich, wie wichtig es ist, den thermischen Komfort von Gebäuden zu einer strategischen und wirtschaftlichen Priorität zu machen. Dolaana Khovalyg, Tenure-Track Assistenzprofessorin an der EPFL-Fakultät für Bau, Architektur und Umwelt (ENAC) und Leiterin des Laboratory of Integrated Comfort Engineering (ICE), das mit dem Smart Living Lab in Freiburg verbunden ist, hat sich mit dieser Thematik befasst.
In ihrer jüngsten Studie, die in der Fachzeitschrift Obesity Journal veröffentlicht wurde, unterstreicht sie die Vorteile einer individuellen Klimatisierung und Beheizung jedes einzelnen Schreibtischs, anstatt eine Standardtemperatur in einem offenen Raum aufrechtzuerhalten. Khovalyg und ihr Team kamen zu diesem Schluss, nachdem die von ihnen gesammelten thermophysiologischen Daten des Menschen gezeigt hatten, dass Menschen unter normalen Bürobedingungen ein sehr unterschiedliches Mass Wärmeempfinden haben.
Interdisziplinäre Forschung
Die Forschenden verfolgten einen interdisziplinären Ansatz, indem sie bei ihrer Studie über die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Gebäude angewandtes technisches Know-how mit Kenntnissen der menschlichen Physiologie kombinierten. Für die eher physiologischen Aspekte arbeitete Khovalyg mit Yann Ravussin zusammen, dem Leiter des Labors für Energetik und fortgeschrittene Ernährung (LEAN) an der medizinischen Fakultät der Universität Fribourg.
«Derzeit sind die Klimaanlagen auf den Raum und nicht auf den Menschen ausgerichtet», erklärt Khovalyg, «sie sind so kalibriert, dass sie den Komfort einer Standardperson gewährleisten, berücksichtigen aber nicht die grossen Unterschiede im Temperaturempfinden.» Unser Alter und unser Geschlecht beeinflussen unseren Stoffwechsel, der je nach Ernährung, Jahreszeit und zirkadianem Rhythmus schwanken kann. All diese Faktoren beeinflussen, wie wohl sich Menschen bei der Raumtemperatur fühlen.
«Die durchschnittliche Bürotemperatur beträgt im Winter 21 °C. Bei dieser Temperatur ist es einigen Menschen warm und anderen kühl - 80 % der Menschen sind zufrieden, aber 20 % sind es nicht. Unser Ziel ist es, dass sich alle Menschen wohlfühlen, ohne Ausnahme», sagt Khovalyg, «der Mensch ist eine Wärmekraftmaschine, wir erzeugen Wärme, die wir an die Umgebung abgeben müssen. Und wir haben jetzt die Technologie und die Instrumente, um zu messen, wie viel Wärme jeder Mensch im Minutentakt abgibt.»
Starke Schwankungen des Energieverbrauchs
Die Forschenden analysierten den Energieverbrauch von sechs Personen, die eine unvoreingenommene Stichprobe normaler Menschen darstellen, die sich möglicherweise denselben Büroraum teilen. Drei Monate lang nahmen sie an einer Reihe von Experimenten in einer speziellen Klimakammer (bei Temperaturen zwischen 16 °C und 24 °C) im ICE-Labor in Freiburg teil. Sie verrichteten alltägliche Tätigkeiten wie Sitzen, Stehen und Essen. Eine Stichprobe von sechs Personen sei ausreichend gewesen, erklärt Khovalyg, da das Ziel der Studie darin bestanden habe, individuelle Daten zu vergleichen und keine Statistiken oder Durchschnittswerte zu erstellen.
Studien, in denen der Energieverbrauch von Menschen gemessen wird, konzentrieren sich in der Regel auf Extremsituationen, z. B. bei Sportlern, Forscherinnen oder Militärangehörigen auf Expeditionen in feindlicher Umgebung. Der Energieverbrauch einer oder eines durchschnittlichen Büroangestellten – auf den sich die Studie von Khovalyg konzentriert – wird nur selten untersucht.
Die Forschenden stellten fest, dass es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Personen gibt, auch zwischen zwei Männern mit ähnlichem Körperbau, die genau dieselben Bürotätigkeiten ausführen. Gezieltere Analysen ergaben grosse Unterschiede bei der Vasokonstriktion, also der Regulierung des Blutdrucks beispielsweise zwischen Brustkorb und Fingerspitzen, selbst bei einer Raumtemperatur von 24 °C. «Dies war bei Frauen besonders auffällig – die Hände einiger Frauen wurden viel schneller kalt als die anderer», so Khovalyg.
Eine ethische Herausforderung
Die Möglichkeit, den Energieverbrauch einer Person genau zu messen, ebnet den Weg für eine neue Art von Technologie, bei der die gesammelten Daten in zentrale Heiz- und Kühlsysteme eingespeist werden, damit diese die Temperatur in einem bestimmten Bereich in Echtzeit anpassen und so den Energieverbrauch eines Gebäudes optimieren können. Bislang sind die Temperaturen für beheizte und gekühlte Tische und Stühle in der Regel begrenzt, aber mit dieser Technologie wird es möglich sein, die Temperatur für jeden einzelnen Büroangestellten individuell einzustellen.
Infrarotbild des modularen Flächenheiz- und Kühlsystems in der ICE-Klimakammer. © D.Khovalyg, EPFL 2022
Khovalyg räumt ein, dass die Messgeräte, die für diese Forschung verwendet wurden, etwas umständlich waren – die Teilnehmenden mussten Gesichtsmasken aus Silikon tragen und am ganzen Körper tragbare Sensoren anbringen lassen. «Der nächste Schritt besteht darin, nach weniger invasiven Methoden zu suchen, um die benötigten Daten zu erhalten», sagt Khovalyg. «Die auf dem Markt erhältlichen Smartwatches haben immer noch eine zu grosse Fehlertoleranz, daher arbeiten wir derzeit mit Infrarotkameras, die bei der Überwachung mehrerer Personen auf nicht-invasive Weise viel genauer sein könnten, wenn sie durch Modelle der menschlichen Physiologie ergänzt werden. Die Daten können gesammelt und dann von datengesteuerten Algorithmen verarbeitet werden, die in ein Klimakontrollsystem integriert werden.» Sie glaubt, dass diese Technologie innerhalb des nächsten Jahrzehnts in intelligenten Gebäuden verfügbar sein wird.
Eine der grössten Herausforderungen bei dieser Art von Forschung ist die Ethik, und einige Fragen – wie der Umgang mit personenbezogenen Daten in grossem Massstab – müssen noch geklärt werden. Eine Möglichkeit, die derzeit diskutiert wird, ist der Einsatz nicht-invasiver Messgeräte, die keine persönlichen Daten speichern. «Wir arbeiten zum Beispiel an Sensoren, die nicht am Körper, sondern am Stuhl einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters angebracht werden können», sagt Khovalyg. «Aber so oder so werden die Menschen, die in intelligenten Gebäuden arbeiten, die mit dieser Technologie ausgestattet sind, darüber informiert werden müssen, dass die Technologie im Einsatz ist.»