Wasserstoff, der Netto-Null-Held?
Unter den vielversprechenden Technologien für die Energieversorgung einer Netto-Null-Zukunft ist Wasserstoff ein kleiner Ausreisser. Während Sonnenkollektoren, Windturbinen und Wasserkraftwerke die von der Natur bereitgestellte Energie nutzen und in Elektrizität umwandeln, passt Wasserstoff nicht in dieses Schema. Andreas Züttel, Leiter des Labors für Materialien für erneuerbare Energien der EPFL, erklärt, warum: «Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger.»
Schon heute ist Wasserstoff das Herzstück unseres Energiesystems. Da er mehr Energie pro Masseneinheit enthält als jeder andere bekannte Stoff, dient Wasserstoff als primärer Energieträger in unseren fossilen Brennstoffen. Die freie Verbrennung von Wasserstoff mit Sauerstoff hat Raketen in den Weltraum katapultiert. Und dank unserer Fähigkeit, seine Verbrennung in Brennstoffzellen zu steuern, treibt er heute eine ständig wachsende Flotte von Fahrzeugen auf unseren Strassen an.
Laut Züttel besteht das Problem mit dem heute verwendeten Wasserstoff darin, dass der grösste Teil davon, etwa 95 %, schmutzig ist. Dort, wo wir ihn benötigen, wie beim Hydrocracken in Erdölraffinerien, bei der Herstellung synthetischer Düngemittel und in der chemischen Industrie, wird er aus fossilen Brennstoffen gewonnen, was eine erhebliche Kohlenstoffbilanz zur Folge hat.
Anspruchsvolle Umstellung auf grün und sauber
Überraschenderweise wird gerade diese Substanz als wichtiger Beitrag zu einem emissionsfreien Energiesystem gepriesen. Das Bundesamt für Energie (BFE) geht davon aus, dass sauberer, grüner Wasserstoff bis 2050 eine wichtige Rolle im sauberen Energiemix der Schweiz spielen wird, ausgehend von einem Wert nahe Null.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine umfassende Sanierung des Wasserstoffs erforderlich. Die Umstellung von schmutzigem auf sauberen Wasserstoff erfordert die Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen, die Wasserstoff mit sich bringt. Chemisch gesehen ist er schwer zu lagern, da er bei Raumtemperatur nicht flüssig ist. Er ist bekanntermassen explosiv und daher heikel zu handhaben. Und die Tatsache, dass er nicht riecht, erschwert die Erkennung von Lecks.
In Bezug auf die Energieeffizienz hinkt Wasserstoff anderen Energieträgern hinterher, denn für seine Herstellung werden enorme Energiemengen benötigt – 66 Kilowattstunden pro Kilogramm. Das Gleiche gilt aus wirtschaftlicher Sicht, da die Kosten pro Kilowattstunde für Wasserstoff etwa zwei- bis dreimal so hoch sind wie der Marktpreis für Strom.
Warum gibt es angesichts all dieser Nachteile so viel Hoffnung für Wasserstoff? Weil die Eigenschaften dieses erneuerbaren Energieträgers unter den richtigen Bedingungen die Herausforderungen angehen könnten, die sich auf dem Weg zu einem saubereren und grüneren Energiemix ergeben.
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Das Schweizermesser der Energieträger
Die Erforschung von Wasserstoff als Energieträger erlebte in den 1990er Jahren einen Aufschwung, sagt Züttel: «Als ich vor 32 Jahren in dieses Gebiet eintrat, dachten wir, Wasserstoff würde alle fossilen Brennstoffe ersetzen. Damals ging es noch nicht darum, die globale Erwärmung zu bekämpfen, sondern um die Befürchtung, dass die fossilen Brennstoffe bald zur Neige gehen würden.» Als neue Vorkommen fossiler Brennstoffe entdeckt wurden und ihre Förderung die Kosten senkte, kühlte der Wasserstoff-Hype ab.
Doch jetzt hat das Pendel wieder zurückgeschlagen. Wasserstoff steht wieder im Rampenlicht, sagt Züttel. Diesmal geht es um sein Potenzial, die globalen CO₂-Emissionen zu senken. Während bei der Verbrennung von Kohlenstoff wärmespeicherndes CO₂ erzeugt wird, entsteht bei der Verbrennung von Wasserstoff nichts als Wasser. Wenn erneuerbarer Strom zur Herstellung von Wasserstoff verwendet wird, zum Beispiel durch Elektrolyse von Wasser, wird der entstehende Wasserstoff zu einem effektiven Mittel zur Speicherung erneuerbarer Energie.
«Wasserstoff ist das Schlüsselelement auf dem Weg von erneuerbarem Strom zu chemischen Energieträgern wie Methan, Methanol, synthetischem Öl oder Ammoniak», erklärt Züttel: «Während diese mit Kohlenstoff aus abgeschiedenem CO₂ aus der Atmosphäre oder aus Biomasse hergestellt werden können, ist der Wasserstoff Träger der erneuerbaren Energie.»
Das macht Wasserstoff zu einem wertvollen Energieträger für eine Vielzahl von Anwendungen. Reiner Wasserstoff kann zur Stromerzeugung verwendet werden, um Nachfragespitzen abzudecken, und er kann Autos, Busse und schwere Fahrzeuge antreiben. Wenn es uns gelingt, das Problem der Lagerung, Verteilung und Handhabung zu lösen, könnten wir ihn als kohlenstoffneutralen Kraftstoff für die Schifffahrt und die Luftfahrt einsetzen.
In Verbindung mit Kohlenstoff aus der Atmosphäre, Biomasse oder Industrieemissionen könnte es zu Methan, synthetischem Öl, Ammoniak, Methanol oder anderen emissionsfreien Kraftstoffen weiterverarbeitet werden. Dies würde wiederum auf Kosten der Gesamtenergieeffizienz gehen. Aber in einer Welt, in der erneuerbarer Strom in Hülle und Fülle vorhanden ist, tragen diese synthetischen Kraftstoffe durch ihre höhere volumetrische Energiedichte und ihre sichere Handhabung dazu bei, den CO2-Fußabdruck von Anwendungen zu verringern, die nur schwer zu elektrifizieren sind.
Beschleunigung der Markteinführung
Glücklicherweise, so Züttel, gab es mehrere Durchbrüche auf dem Weg zur Marktakzeptanz von grünem Wasserstoff im Verkehr und bei der Stromerzeugung, den beiden Sektoren, die für mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Diese Durchbrüche beginnen bereits vor der Wasserstofferzeugung, wo Strom aus erneuerbaren Energiequellen bereits die Preisgleichheit mit herkömmlichem Strom erreicht hat, und zwar Jahrzehnte früher als ursprünglich von der Internationalen Energieagentur vorhergesagt, wodurch die Kosten für sauberen Wasserstoff gesunken sind.
Die Marktkräfte haben die Entwicklung von Brennstoffzellen und sicheren Hochdruck-Wasserstoffspeichern in Strassenfahrzeugen entscheidend vorangetrieben. Trotz dieser technologischen Fortschritte hat sich die Einführung von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen frustrierend langsam vollzogen. Das Haupthindernis ist die fehlende Infrastruktur am Strassenrand. In der Schweiz gibt es derzeit acht Wasserstofftankstellen, sagt Züttel: «Die Leute werden kein Wasserstoffauto kaufen, wenn sie es nicht betanken können. Und wer will eine Tankstelle betreiben, wenn niemand den Wasserstoff kaufen will? Das ist der Grund, warum Toyota seine Brennstoffzellen-Elektrofahrzeuge hier nicht verkauft.»
Da der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien im Stromnetz zunimmt, werden die Kraftwerke wahrscheinlich zunehmend auf gespeicherten Wasserstoff angewiesen sein, um Angebot und Nachfrage auszugleichen: «Wenn man viel unbeständigen Strom hat, zum Beispiel aus Sonnen- oder Windenergie, kann man Wasserstoff produzieren und ihn zum Beispiel unterirdisch speichern. Dann kann man ihn im Winter nutzen, um in Kombikraftwerken, die über eine wasserstoffbefeuerte Turbine und eine Dampfturbine verfügen, mit hohem Wirkungsgrad Strom zu erzeugen», sagt er.
«Damit dies funktioniert, müssen sich der gesamte Markt – und unsere Erwartungen – anpassen. Wir sind es gewohnt, Strom zu einem fast konstanten Preis zu kaufen. Um die Speicherung attraktiv zu machen, müsste der Strompreis in der Nacht teurer sein als am Tag. Und im Winter müssten wir bereit sein, mehr zu bezahlen als in den Sommermonaten. Aber je attraktiver es wird, Strom mit Wasserstoff zu speichern, desto mehr solcher Speicher werden installiert», sagt er.
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Um das Marktwachstum sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite anzukurbeln, hat sich die Industrie eine bunte Lösung einfallen lassen – zumindest dem Namen nach. Wasserstoff wird jetzt in einem Farbspektrum vermarktet, das von schwarz bis grün reicht und sich nach dem CO2-Fussabdruck richtet. Bei der Entwicklung neuer Anwendungen können die Wasserstoffnutzenden nun bewusst entscheiden, ob sie den CO2-Fussabdruck oder die Kosten in den Vordergrund stellen wollen. Diese Strategie wird die Verbrauchenden schliesslich dazu bringen, sich für grüneren Wasserstoff zu entscheiden, da dieser immer erschwinglicher wird.
Wie Züttel betont, ist dies jedoch nur eine zeitlich begrenzte Strategie, die lange genug angewendet wird, um die Nachfrage nach Wasserstoff und die Infrastruktur für seine Verteilung aufzubauen: «Sobald wir anfangen, viel Wasserstoff zu verwenden, muss es sich ausschliesslich um erneuerbaren Wasserstoff handeln. Alles andere wäre nicht wirklich sinnvoll.»