Das «Wer mit wem» im Mikrobiom verstehen
In Kürze
- Mikrobiome sind für gesunde Pflanzen unabdingbar und könnten zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen – doch nach welchen Prinzipien sich diese Gemeinschaften formieren ist derzeit ungeklärt.
- ETH-Forschende zeigen, dass die Bakterien grundsätzlich um Nahrung konkurrieren, aber dank spezifischen Stoffwechselfunktionen auch kooperieren, was zu stabil strukturierten Gemeinschaften führt.
- Modelle sagen diese Interaktionen präzise voraus. Sie dürften künftig helfen, Mikrobiome für Anwendungen gezielt zu entwickeln.
Pflanzen, Tiere und Menschen, werden von zahlreichen Mikroorganismen wie Bakterien und Pilzen besiedelt. Diese bilden komplexe Gemeinschaften, welche die Gesundheit ihres Wirts entscheidend beeinflussen. Ein bekanntes Mikrobiom ist das des menschlichen Darms, das für uns Nahrung verdaut und Krankheitserreger abwehrt.
Auch Pflanzen beherbergen an den Wurzeln und auf den Blättern mikrobielle Gemeinschaften, die das Wachstum begünstigen können und vor schädlichen Keimen schützen. Pflanzliche Mikrobiome bergen das Potenzial für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Allerdings werden die Interaktionen in diesen mikrobiellen Verbänden erst ansatzweise verstanden.
Warum kommen in diesen Gemeinschaften meist nur bestimmte Mikroben vor, andere Arten jedoch nicht? «Wir wussten, dass Blattmikrobiome keine zufälligen Ansammlungen von Mikroben sind», sagt Julia Vorholt, Professorin für Mikrobiologie an der ETH Zürich. «Doch nach welchen Regeln sich diese Verbände formieren und welche Mechanismen ihre Zusammensetzung bestimmen, ist bislang unklar.»
Ein Forschungsteam unter Vorholts Leitung hat nun für die blattbewohnenden Bakterien der Modellpflanze Arabidopsis thaliana ein solches Organisationsprinzip ausfindig gemacht. Die Forschenden haben ein Satz an Modellen entwickelt. Diese können anhand von Nahrung und Stoffwechsel einzelner Mikrobenstämme vorhersagen, wie die Organismen auf der Blattoberfläche mit- oder gegeneinander wechselwirken und wie das entstehende Mikrobiom beschaffen sein wird.
Über ihre Studie, an der auch Kolleg:innen der ETH Lausanne beteiligt waren, berichtet das Forschungsteam aktuell im Wissenschaftsmagazin Science.
Wegweisender Wettbewerb um Nahrung
In einer früheren Arbeit hatte Vorholts Gruppe bereits gezeigt, dass sich die mikrobiellen Gemeinschaften auf Blättern von Pflanzen auffallend ähnlich sind. «Die stabile Zusammensetzung der Mikrobenarten deutet auf einen zugrunde liegenden Mechanismus hin, der den Aufbau des Blattmikrobioms lenkt», erläutert Vorholt.
Martin Schäfer, Postdoc in Vorholts Gruppe und Erstautor der Studie, erklärt: «Da sämtliche Bakterienstämme letztlich auf organische Moleküle als Nahrungsquelle angewiesen sind, haben wir untersucht, inwieweit die Fähigkeit der Bakterien, verschiedene Nahrungsquellen zu verstoffwechseln oder sich zu spezialisieren, deren Interaktionen vorhersagen kann.»
Sein Kollege Alan Pacheco, ebenfalls Erstautor, ergänzt: «Nahrungsnischen könnten in einem kompetitiven Umfeld zu stabilen Koexistenzen und Kooperationen führen, in denen Mikroben interagieren und voneinander profitieren, indem sie Nahrungsressourcen austauschen.»
Die Leitfrage, die Vorholt zusammen mit ihrem Team formulierte, lautet: Lassen sich aus den Stoffwechselfunktionen von Bakterien Prozesse ableiten, die das natürliche Blattmikrobiom stabil reproduzieren?
Kohlenstoffprofile zeigen Ressourcenkonkurrenz
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, testeten die Forschenden zunächst die Wachstumsfähigkeit von mehr als zweihundert repräsentativen Bakterienstämmen von Blättern der Ackerschmalwand auf insgesamt 45 verschiedenen Kohlenstoffquellen. Anhand der Kohlenstoffprofile ermittelten sie, dass die Nahrungsnischen der Stämme stark überlappen. Dies deutet auf eine ausgeprägte Konkurrenz um Ressourcen hin.
Mit den Kohlenstoffprofilen erstellten die Forschenden eine Sammlung von aussagekräftigen Stoffwechselmodellen für alle Bakterienstämme und simulierten die Interaktionen für mehr als 17'500 Paarungen zwischen diesen. Im Einklang mit den überschneidenden Nahrungsnischen zeigten die Simulationen eine ausgeprägte Dominanz an negativen Interaktionen, das heisst, eine konkurrenzbedingt verminderte Besiedlung von mindestens einem der beiden Stämme.
Durch Kooperation den Wettbewerb umgehen
Die Stoffwechselmodelle sagten jedoch auch positive Interaktionen voraus. Eine nähere Analyse zeigte, dass sich diese kooperativen Wechselwirkungen auf den Austausch von organischen Säuren und Aminosäuren zurückführen lassen. Die Autoren testeten die Vorhersagen der Modelle in Pflanzenexperimenten und konnten diese mit einer Genauigkeit von 89 Prozent bestätigen.
Dass ihre Modell-Vorhersagen so präzis funktionieren, hat die Forschenden selber überrascht: «Die hohe Aussagekraft deutet darauf hin, dass unsere Grundannahme zur Bedeutung von Stoffwechseleigenschaften richtig waren», sagt Pacheco.
Mikrobiome gezielt nutzbar machen
«Das Schöne an unseren Modellen ist, dass sie auch umgekehrt funktionieren», sagt Vorholt, «sie eignen sich, um Mechanismen aufzufinden, die zu Interaktionsmustern führen». Damit wird gezieltes Mikrobiom-Design möglich, was für Anwendungen eine zentrale Voraussetzung ist.
Die Erkenntnisse sind nicht nur für die Grundlagenforschung interessant – sie sind auch für die angewandte Agrarforschung relevant. Saatgut- und Agrochemiefirmen suchen heute mittels Versuch und Irrtum nach Mikroben für nachhaltigen Pflanzenschutz.
Vorholt leitet als Co-Direktorin den Nationalen Forschungsschwerpunkt zu Mikrobiomen. Die aktuelle Arbeit ihres Teams trägt zur Forschung des Netzwerks von 20 Gruppen bei, deren Ziel es ist, Mikrobiome – von der Pflanze bis zum Menschen – so zu verstehen, dass ihr beachtliches Potenzial für Gesundheit, Landwirtschaft und Umwelt erschlossen werden kann. Etwa indem aus dem Lot geratene Gemeinschaften gezielt mit der richtigen Mikrobe ergänzt, bestimmte Arten entfernt oder Krankheiten durch Kombinationen von Bakterien mit besonderen Funktionen behandelt werden. Vorhersagemodelle werden dabei zentral sein.