Wie sicher ist unser Geld?
Ob als Banknote oder Münze, als Guthaben auf dem Konto oder als digitales Zahlungsmittel auf Karten oder Smartphones: Geld ist ein ständiger Begleiter unseres Alltags. Ganz selbstverständlich gehen wir davon aus, dass wir heute damit ähnlich viel kaufen können wie in drei Monaten oder zwei Jahren. Das war nicht immer so: «Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass hohe Inflation nicht nur grossen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, sondern auch ein enormes soziales und politisches Zerstörungspotenzial birgt», sagt Hans Gersbach. Gersbach ist Professor für Makroökonomie, Innovation und Politik an der ETH Zürich und gehört dem wissenschaftlichen Beirat des deutschen Wirtschaftsministeriums an.
Erstmals seit den 1980er Jahren sind westliche Industriestaaten wieder mit höheren Inflationsraten konfrontiert. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen dürften der Teuerung nun weiter Auftrieb verleihen. Im Euroraum liegt diese aktuell (Stand Ende März 2022) bei 7,5 Prozent, mehr als fünf Prozentpunkte über dem Richtwert von 2 Prozent. In den USA liegt sie gar bei 7,9 Prozent. Nur in der Schweiz stiegen die Preise in letzter Zeit im Vergleich zum Vorjahr um lediglich 2,4 Prozent. Wie sicher ist unser Geld angesichts dieser einschneidenden Entwicklungen? Handelt es sich bei dem Preisanstieg um einen temporären Schock, der durch die russische Invasion zusätzlich verschärft wird, oder müssen wir längerfristig mit höheren Inflationsraten rechnen? Und wie können wir uns vor diesem Risiko schützen?
Temporär oder dauerhaft?
Wenn es um die Inflation geht, hat der Konjunkturforscher Jan-Egbert Sturm vor allem kurz- bis mittelfristige Veränderungen bei Preisen, Löhnen und Zinsen im Blick. Der ETH-Professor leitet die Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Die Prognosen seines Instituts haben Gewicht. Sturm tauscht sich regelmässig mit Mitgliedern des Bundesrats und der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aus.
Sturm ist ein empirischer Ökonom. Antworten findet er nicht nur in abstrakten theoretischen Modellen, sondern vor allem in Zeitreihen, Indizes und Statistiken. «Die Inflation wird grundsätzlich durch die rasche wirtschaftliche Erholung nach den Lockdowns im vergangenen Jahr und die damit einhergehenden Lieferschwierigkeiten getrieben», so der Volkswirt. Unternehmen haben aus dem Schock der Pandemie im Frühling 2020 gelernt, dass ihre Produktion ohne gewisse Reserven an wichtigen Gütern schnell ins Stocken gerät. «Auch weil nun viele Unternehmen gleichzeitig versuchen, ihre Vorräte aufzustocken», so Sturm, «führt dies zu Lieferengpässen und Preissteigerungen, die sich aber wieder abschwächen sollten, wenn die Lager gefüllt sind.»
Darüber hinaus nehmen Sturm und seine Mitarbeitenden den Warenkorb unter die Lupe, mit dem die Teuerung gemessen wird. Dieser bildet die Preisentwicklung bei alltäglichen Gütern und Dienstleistungen ab. Dabei fällt auf, dass ein grosser Teil der Teuerung auf höhere Preise für Energie und Rohstoffe sowie für Güter zurückzuführen ist, die während der Pandemie besonders gefragt sind. «Menschen waren zwar bereit, für Computer und Fernseher mehr Geld auszugeben, doch dabei handelte es sich eher um einmalige Effekte, die sich mittelfristig normalisieren sollten», so der Ökonom.
Unter normalen politischen Umständen würde dies dafür sprechen, dass die höhere Teuerung eher temporär ist. Doch der russische Angriff auf die Ukraine und die damit einhergehenden Sanktionen gegen Russland wirken sich auch auf die Inflation aus: «Da Russland einer der weltgrössten Öl- und Gaslieferanten ist, sind die Energiepreise weiter gestiegen», sagt Sturm. Dazu komme, dass Russland und die Ukraine zu den grössten Weizenexporteuren zählen. Nach dem Kriegsausbruch ist nicht nur der Preis für Weizen, sondern auch für andere Getreidearten wie Mais und Soja durch die Decke gegangen. Wie rasch und wie stark sich dies auf Lebensmittelpreise auswirkt, so Sturm, sei aktuell noch schwer einzuschätzen. Doch sicher sei, dass höhere Öl- und Gaspreise die Inflation vorerst einen Aufwärtsdruck verleihen.
Ein Zeichen für Unsicherheit
Doch auf welchem Niveau sich die Inflation längerfristig einpendelt, hängt nicht nur von der Entwicklung der Preise, sondern auch von den Inflationserwartungen ab. «Wenn immer mehr Menschen damit rechnen, dass alles teurer wird, fordern sie irgendwann auch höhere Löhne, was sich wiederum auf die Preise niederschlägt», erklärt Gersbach.
Um Inflationserwartungen zu messen, werden professionelle Analysten, Unternehmen und Konsumenten zur zukünftigen Teuerung befragt. Auch die KOF veröffentlicht solche Umfragen. Zudem können die Erwartungen von Finanzmarktakteuren auch aus gewissen Transaktionen abgeleitet werden. Für Gersbach zeichnen diese Daten ein immer deutlicheres Bild: «Während die Erwartungen auf den Finanzmärkten lange relativ tief und stabil waren, sehen wir bei den Umfragen schon länger eine deutliche Erhöhung der durchschnittlichen Inflationserwartungen und ihrer Streuung.»
Zudem gehen in vielen europäischen Ländern, die meisten Bürger von steigenden Inflationsraten aus. Die jüngsten Kriegsereignisse werden diese Tendenz verstärken. Ob sich diese pessimistischen Erwartungen weiter verfestigen, hängt Gersbach und Sturm zufolge massgeblich von der Geldpolitik der Zentralbanken ab. Als Reaktion auf die hohen Inflationsraten der 1970er und 1980er Jahre sind die meisten Zentralbanken in Industrieländern heute relativ unabhängig von der Politik und dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet. «Man hat aus vergangenen Krisen gelernt», so ETH-Ökonom Gersbach, «dass man die Stabilität einer Währung besser unabhängigen Experten anvertraut.»
Sollten sich die höhere Inflation verfestigen und die Inflationserwartungen weiter nach oben bewegen, müssten die Zentralbanken ihre Zinsen erhöhen und ihre grosszügigen Kaufprogramme und Interventionen auf den Finanzmärkten reduzieren. Beide Ökonomen sehen darin – vor allem für den Euroraum – erhebliche Risiken: «Eine zu frühe Erhöhung der Zinsen würde die sich zaghaft erholende Konjunktur wieder drücken. Zudem könnten Staaten mit einer hohen Verschuldung wohl in Refinanzierungsschwierigkeiten geraten», so Sturm. Zudem wären auch auf den Finanzmärkten starke Verwerfungen nicht ausgeschlossen.
Der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen Folgen verschärfen das Dilemma der Notenbanken zusätzlich: «Der sich abzeichnende Rückgang des Wirtschaftswachstums könnte sie dazu bewegen, die Zinsen nicht wie geplant anzuheben, was die Inflation weiter anfeuern würde.» erklärt KOF-Direktor Sturm. Im schlimmsten Fall drohe gar ein seit den 1970er Jahren nicht mehr beobachtetes wirtschaftliches Phänomen, die Stagflation. Dabei treffen hohe Inflationsraten auf rückläufige Wachstumsraten und steigende Arbeitslosenzahlen. Wie stark sich die wirtschaftliche Lage tatsächlich trübt und auf welchem Niveau sich die Energiepreise einpendeln, hängt davon ab, wie sich der Konflikt weiter entwickelt.
Bis anhin haben lediglich die britische und die amerikanische Notenbank signalisiert, dass sie dazu bereit wären, für eine niedrigere Inflationsrate auch weniger Wachstum und mehr Volatilität auf den Finanzmärkten in Kauf zu nehmen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen agiert bisher eher zurückhaltend. Sowohl für Gersbach als auch für Sturm hat das vor allem damit zu tun, dass die EZB Geldpolitik für den gesamten Euroraum macht und damit auf die wirtschaftliche Lage in 19 Staaten Rücksicht nimmt. Sollte sich die höhere Inflation aber als hartnäckig erweisen, so Gersbach, muss auch die EZB die Zinsen anheben, um den Wert des Geldes zu schützen.
Im Vergleich zur EZB hat es die SNB etwas leichter. Sie ist verantwortlich für eine der stabilsten und ältesten Währungen weltweit. «Schweizer Unternehmen und Konsumenten gehen davon aus, dass es praktisch keine Teuerung gibt», meint Sturm. Auch der Wechselkurs erklärt die vergleichsweise geringe Inflation in der Schweiz laut Sturm: «Der starke Franken macht importierte Güter billiger und dämpft so die Teuerung. Werden ausländische Güter teurer, kann die SNB eine leichte Aufwertung tolerieren und somit der Inflation entgegenwirken.» Zudem hängt die Schweizer Wirtschaft nicht stark von der Schwerindustrie ab. Höhere Öl- und Gaspreise wirken sich daher in einem geringeren Ausmass auf den Preis von Industriegütern aus.
Ein neues Geldsystem
Doch auf lange Sicht ist auch die Schweizer Geldpolitik mit einer grossen Unbekannten konfrontiert», erklärt Gersbach. Im Zuge der Finanzkrise von 2008 sei ein neues Geldsystem entstanden. «Vor der Finanzkrise hielten Geschäftsbanken bei ihrer Zentralbank lediglich kleine Reservepolster. Um aber die Bankensysteme und damit die Wirtschaft zu stabilisieren, haben Zentralbanken im grossen Stil Wertpapiere von Geschäftsbanken oder fremde Währungen, wie im Fall der Schweiz, gekauft. Dadurch sind die Reserven der Geschäftsbanken bei Zentralbanken in den letzten 14 Jahren sehr stark gestiegen.»
Mit diesen Reserven könnten die Banken Kreditvergaben oder Wertpapierkäufe stark ausweiten und damit neue Bankeinlagen und somit Geld schaffen, ohne dabei in Liquiditätsschwierigkeiten zu geraten. In welchem Ausmass dies passiert und ob das neu geschaffene Geld zu höherer Inflation oder gar zu Finanzkrisen führt, werde, so der ETH-Ökonom, kontrovers diskutiert. Geld bleibt ein Risiko.
Dieser Text spiegelt den Stand des Wissens der ersten Märzwoche wider.
Dieser Text ist in der Ausgabe 22/01 des ETH-Magazins Globe erschienen.