Aus Fäkalien Energie gewinnen
Grösser könnte der Unterschied nicht sein: In der Schweiz sind 97 Prozent der Haushalte an eine zentrale Kläranlage angeschlossen. Weltweit hingegen haben drei Milliarden Menschen keinen Anschluss an eine Kanalisation, vorwiegend in einkommensschwächeren Ländern.
Verständlicherweise verlangen die beiden Realitäten nach unterschiedlichen Lösungen für die Abwasserentsorgung. Die Eawag forscht seit langem daran, wie sich die sanitäre Versorgung weltweit verbessern liesse – unter anderem durch die fachgerechte Behandlung von Fäkalschlamm, der in getrockneter Form als Brennstoff dienen kann. Nun sollen die zum Beispiel in Afrika gemachten Erfahrungen auch in der Schweiz angewendet werden: «Wir wollen das Wissen, das in jahrzehntelanger Forschung erworben wurde, für die ganze Welt nutzbar machen», sagt Michael Vogel von der Eawag-Abteilung Siedlungshygiene und Wasser für Entwicklung. «Gemeinsam arbeiten wir an globalen Lösungen.»
Feste Brennstoffe für die Industrie
Interessant sind solche Lösungen vor dem Hintergrund, dass in Ländern mit hohem Einkommen die Ressourcenrückgewinnung aus Abwasser optimiert werden soll. Stichwort: Sanitär- und Nährstoffwende. Die Eawag-Forschungsgruppe Management of Excreta, Wastewater and Sludge (MEWS), die von Linda Strande geleitet wird, hat in mehreren afrikanischen Ländern Studien und Pilotversuche zu Technologien durchgeführt, mit denen sich aus Fäkalien feste Brennstoffe herstellen lassen. Eine grosse Herausforderung sind dabei die stark variierenden Eigenschaften des Fäkalschlamms. Es stellen sich aber auch zentrale Fragen dazu, wie sich der Schlamm entwässern lässt, wieviel Energie und Platz dafür nötig ist und in welcher Form schliesslich ein Markt für diese Fäkalbrennstoffe besteht. Wie sich in Uganda und Senegal gezeigt hat, kommt als Abnehmer insbesondere die Industrie in Frage. Für den Betrieb von Ziegelbrennöfen etwa besteht ein konstant hoher Bedarf an Brennstoffen, und beim industriellen Einsatz stellt die Übertragung von Krankheitserregern, die von den Fäkalbrennstoffen ausgehen könnte, kein Problem dar.
Hierzulande sind die Überlegungen zur Nutzung des Schwarzwassers direkt an der Quelle noch weniger konkret. «Die Technologien, die es dazu braucht, werden in der Schweiz erst seit kurzem erforscht», sagt Michael Vogel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe MEWS. Einen wichtiger Beitrag leistet die Idee, das Abwasser in den Haushalten in drei Stränge aufzuteilen: Urin, Schwarzwasser (Spülwasser mit Fäkalien) sowie Grauwasser (leicht verschmutztes Wasser aus Duschen etc.) und es dezentral zu behandeln.
Michael Vogel denkt dabei an die Entwässerung von Schwarzwasser direkt im Keller und logistische Lösungen zur weiteren Verwertung der Feststoffe auf Quartierebene. Es könnte sogar Sinn machen, zentrale und dezentrale Systeme zu kombinieren: Gewisse Bestandteile werden gleich vor Ort genutzt, um Energie und Nährstoffe zurückzugewinnen, Restwasser kann in die Kanalisation geleitet werden. «Diese Frage muss man lokal und gesamtheitlich anschauen», sagt Michael Vogel. «Faktoren, die dabei einfliessen können sind Kosten, Treibhausgasemissionen, und bestehende Infrastruktur sowie die Kapazitität der zentralen Kläranlage.»
Entwässerung: Sensoren für die richtige Dosierung von Flockungsmitteln
Ein grosses Problem bei der Verarbeitung des Schwarzwassers ist in der Schweiz, genau wie in einkommensschwachen Ländern seine grosse Variabilität – jeder Gang auf die Toilette liefert unterschiedliches Ausgangsmaterial und Mengen. Genau um solche Herausforderungen dreht sich die Forschung an der Eawag.
So wurde zum Beispiel für die Schweiz untersucht, welche Flockungsmittel am besten dazu geeignet sind, die Entwässerung von Schwarzwasser zu beschleunigen. Besonders Augenmerk legten die Forschenden dabei auf organische Mittel (Polymere). In einem gegenwärtig laufenden Projekt soll abgeklärt werden, welche Mengen Flockungsmittel in welchen Situationen für optimale Resultate benötigt werden. Das Ziel: Verschiedene Sensortypen vergleichen, die Menge an Feststoffen im Schwarzwasser bestimmen. Genaue Informationen über die Beschaffenheit des Schlamms stellen die Grundlage dar für eine Prozessautomation. In einem nächsten Schritt soll schliesslich abgeklärt werden, welche existierenden Pressen – unter anderem aus der Lebensmittelindustrie – sich am besten für die Herstellung von Pellets aus dem getrockneten Schlamm eignen.
Hier zeigen sich auch grundsätzliche Schwierigkeiten: Damit die Pellets effizient für die Energierückgewinnung genutzt werden können, müssen sie zu ungefähr 90 Prozent aus Feststoffen bestehen. Mit Pressen allein lässt sich dieser Wert aber nicht erreichen. Das heisst, die Pellets müssen zusätzlich getrocknet werden.
Herstellung von Biogas, Kompost oder Futtermittel aus Fäkalien
Es gibt aber auch andere Möglichkeiten für den Einsatz von Schwarzwasser. Bei der Produktion von Biogas etwa darf der Feuchtigkeitsanteil höher sein als bei Pellets. In Frage kommt zusätzlich die Pyrolyse, bei der Kohle aber auch brennbare Gase entstehen. Das Potenzial zur Energiegewinnung ist allerdings bei allen Technologien begrenzt: «Auf der Ebene eines Quartiers lässt sich so aus dem Abwasser Energie zurückgewinnen», sagt Michael Vogel, «die zwar den Energiebedarf der Haushalte bei weitem nicht deckt, aber vielleicht einen Beitrag zum Kochen oder Heizen leisten kann.»
Die Energie, die in den Fäkalien steckt, kann aber auch ganz anders genutzt werden: als Bestandteil von Kompost zur Verbesserung des Bodens oder als Basis zur Herstellung von Futtermittel. Die Larven von Soldatenfliegen beispielsweise fressen die festen Bestandteile von Schwarzwasser und verwandeln sie so in Insekten-Biomasse. Noch gibt es allerdings nicht nur technische Probleme zu lösen, bis das Abwasser in der Schweiz auf breiter Basis als Ressource genutzt werden kann. Gesetzlich geregelt ist bis jetzt nur der Einsatz von Klärschlamm aus Abwasserreinigungsanlagen: Er darf nicht als Dünger auf die Felder ausgebracht werden, sondern muss getrocknet und danach in Kehrichtverbrennungsanlagen oder Zementwerken verbrannt werden. Michael Vogel glaubt allerdings an die künftige Verwertung von Schwarzwasser auch aus Haushaltungen: «Unsere Aufgabe als Forscher ist es, der Industrie aufzuzeigen, dass Lösungen machbar sind und dass dafür auch ein Markt besteht.»