Krebs: Ein neuer Killer-Lymphozyt betritt den Ring

Ein Team der EPFL und des Swiss Cancer Center Léman hat herausgefunden, dass CD4-T-Lymphozyten, die normalerweise eine unterstützende Rolle bei der Bekämpfung von Krebszellen spielen, auch die Fähigkeit haben, diese zu zerstören.
Der Kampf zwischen CD4 T-Lymphozyten (in blau) und Tumorzellen (in orange). © 2021 EPFL

Behandlungen gegen Tumorerkrankungen basieren hauptsächlich auf CD8 T-Lymphozyten, die darauf spezialisiert sind, intrazelluläre Infektionen aufzuspüren und zu beseitigen sowie Krebszellen abzutöten. Ein grosser Teil der Patientinnen und Patienten spricht jedoch auf diese Behandlungen nicht an. Dies veranlasste ein Forschendenteam des Swiss Cancer Center Léman (SCCL, Schweiz), in dem die Universitäten Genf (UNIGE) und Lausanne (UNIL), das Ludwig Institute for Cancer Research (LICR), die EPFL und das CHUV zusammenarbeiten, die CD4 T-Lymphozyten zu untersuchen. Während diese eine unterstützende Rolle bei CD8 T-Zellen spielen, war ihre Fähigkeit, Tumorzellen direkt zu eliminieren, umstritten. Mit Hilfe innovativer Nanoimaging-Technologien, die im Labor der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie der EPFL entwickelt wurden, fanden die Wissenschaftlerinnen heraus, dass die CD4-T-Lymphozyten, wenn sie direkt in engen Kontakt mit den Krebszellen gebracht wurden, diese zu einem Drittel auch abtöten konnten. Diese Entdeckung, Gegenstand eines Artikels in Science Advances, ist bedeutsam und erweitert die therapeutischen Perspektiven, die auf der Verabreichung von CD4 T-Lymphozyten an Patientinnen und Patienten beruhen, die gegen herkömmliche Therapien resistent sind.

Wenn sich Krebszellen in unserem Körper vermehren, schaltet sich unser Immunsystem ein. Die erste Reihe von Kämpfern, die in der Lage sind, Tumorzellen zu zerstören, sind CD8 T-Lymphozyten, die als zytotoxische T-Zellen bekannt sind, unterstützt von CD4 T-Lymphozyten. «Deshalb basieren viele Krebstherapien auf CD8-T-Lymphozyten», erklärt Camilla Jandus, Letztautorin der Studie und Professorin in der Abteilung für Pathologie und Immunologie an der medizinischen Fakultät der UNIGE sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am LICR. «Leider sprechen einige Patientinnen nicht auf diese Behandlungen an, und so müssen wir neue finden.»

Das SCCL-Team konzentrierte sich auf CD4-T-Lymphozyten, die eine unschätzbare Unterstützung für unser Immunsystem darstellen, wie Pedro Romero, Professor in der Abteilung für Fundamentale Onkologie an der Fakultät für Medizin und Biologie der UNIL, erklärt: «Diese haben ein viel breiteres Spektrum an funktionalen Spezialisierungen als CD8-T-Lymphozyten, und lange Zeit waren wir nicht sicher, ob sie die Fähigkeit haben, sich in Killer-Lymphozyten zu differenzieren.»

20 000 einzelne «Boxringe»

Um dieser Frage nachzugehen, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler CD4 T-Lymphozyten von rund zwanzig Patientinnen mit einem Melanom, die am CHUV behandelt wurden: «Das Melanom ist zwar nicht der häufigste Hautkrebs, aber der tödlichste, und er reagiert besonders empfindlich auf Immuntherapien», erklärt Professor Jandus. Die Forschenden isolierten die CD4-T-Lymphozyten sowohl aus dem Blut als auch aus Fragmenten der Tumore mit der Idee, sie direkt zu vergleichen. Dissoziierte Tumorzellen und CD4 T-Zellen wurden gemeinsam inkubiert, um ihr Verhalten einzeln zu beobachten. Es wurden dann Beobachtungswerkzeuge benötigt, die eine hochentwickelte Auflösung bis auf die Ebene der einzelnen Zelle bieten: «Wir haben Chips mit über 20 000 Mini-Vertiefungen von 65 Pikolitern (1 Pikoliter = 10-12 Liter) hergestellt, in denen jeweils eine CD4-T-Zelle und eine Tumorzelle untergebracht werden können und die wie Boxringe funktionieren», sagt Hatice Altug, Professorin im Bionanophotonic Systems Laboratory der EPFL. Die Forschenden fotografierten dann 24 Stunden lang alle fünf Minuten diese Tausende von Vertiefungen gleichzeitig, um die Interaktionen zwischen den beiden Zellen aus einem grossen Satz von Paaren zu beobachten: «Wir wissen, dass es etwa zweieinhalb Stunden dauert, bis eine CD8 eine Tumorzelle abtötet, und wir beschlossen, diese Boxringe 24 Stunden lang zu beobachten, ohne zu wissen, wie und ob die CD4 reagieren würden», so Professorin Altug.

Ein Drittel der CD4s ging siegreich hervor

Zur grossen Zufriedenheit der Wissenschaftlerinnen zeigte die Hochdurchsatz-Integration der dynamischen Bildgebungsdaten, dass es bis zu einem Drittel der CD4-T-Lymphozyten gelang, die Tumorzelle, mit der sie eng verbunden waren, innerhalb von fünf Stunden abzutöten. Professor Romero betont: «Diese direkten Beobachtungen auf Ebene einzelner Lymphozyten, die zum ersten Mal mit einer solchen Sensitivität gezeigt wurden, bestätigen definitiv die Existenz von CD4-T-Lymphozyten, die in der Lage sind, Tumorzellen abzutöten. Und das obwohl die Tumorzellen es manchmal schaffen, sie von ihrer Schutzfunktion abzulenken, um sich mit ihnen zu verbünden.»

Der Picowell-Array-Chip in einem Standard-Objektträger mit separaten Kammern © 2021 EPFL

Indem sie die CD4-T-Zellen der Killersorte im Detail analysierten, fanden sie heraus, dass sie das Molekül SLAMF7 exprimierten und als Waffe einsetzten. «Deshalb werden wir jetzt die besten Killer-CD4-T-Zellen isolieren und in vitro kultivieren, um eine Billionen-Zellen-Armee herzustellen, die dann in Patientinnen und Patienten injiziert werden kann, bei denen CD8-basierte Therapien nicht wirken», so Camilla Jandus. Denn natürlich verfügt der menschliche Körper nur über eine geringe Anzahl von CD4-T-Zellen, die gegen Tumore gerichtet sind – nicht genug, um sie zu besiegen. «Mit der Fähigkeit, diese Nahkämpfe mit unserem Chip zu visualisieren, haben wir den Weg geebnet, um das Arsenal im Kampf gegen Krebs zu erweitern, das wir nun entwickeln müssen», schliesst Hatice Altug.

Weitere Informationen

Referenzen

Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.abe3348