Überwindung des «Tals des Todes» bei der Kohlendioxidabscheidung
Die Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels ist weltweit zu einem wichtigen Thema geworden, wobei Länder und internationale Organisationen verschiedene Strategien zur Lösung des Problems entwickeln. Die Senkung der CO₂-Emissionen steht dabei ganz oben auf der Liste, wobei Technologien zur Kohlenstoffabscheidung einen vielversprechenden Weg in die Zukunft darstellen.
Allerdings hat sich die Überbrückung der Kluft zwischen Forschung und praktischer Umsetzung von Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung als so schwierig erwiesen, dass sie sogar einen Namen hat: «Tal des Todes». Erschwerend kommt hinzu, dass die Perspektiven und Prioritäten der verschiedenen Interessengruppen in diesem Prozess berücksichtigt werden müssen.
Traditionell beginnt die Entwicklung von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung damit, dass Chemiefachleute Materialien entwerfen und Ingenieurfachleute Verfahren entwickeln, während die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen erst später bewertet werden. Die Ergebnisse sind oft suboptimal und verzögern nur die Umsetzung von Lösungen in der Praxis.
Als Reaktion darauf haben die Forschenden unter der Leitung von Berend Smit an der EPFL und Susana Garcia an der Heriot-Watt University die PrISMa-Plattform (Process-Informed design of tailormade Sorbent Materials) entwickelt: ein innovatives Tool, das Materialwissenschaft, Prozessdesign, Techno-Ökonomie und Lebenszyklusbewertung nahtlos miteinander verbindet, indem es von Anfang an die Perspektiven verschiedener Interessengruppen berücksichtigt.
Mithilfe fortschrittlicher Simulationen und maschinellen Lernens kann PrISMa die wirksamsten und nachhaltigsten Lösungen ermitteln und die Leistung neuer Materialien vorhersagen, was es zu einem leistungsstarken Instrument im Kampf gegen den Klimawandel macht.
Bewertung der KPIs
PrISMa bewertet vier Leistungsindikatoren (Key Performance Indicators, KPIs) oder «Schichten», um die Lebensfähigkeit eines Kohlenstoffabscheidungsmaterials von seiner anfänglichen Entwicklung bis zu seiner Implementierung in eine vollständige Kohlenstoffabscheidungsanlage zu beurteilen.
- Materialschicht: Anhand von experimentellen Daten und Molekularsimulationen sagt die Plattform die Adsorptionseigenschaften potenzieller Sorptionsmittel voraus.
- Prozess-Schicht: PrISMa berechnet Prozessleistungsparameter, wie Reinheit, Rückgewinnung und Energiebedarf.
- Technisch-wirtschaftliche Analyse-Ebene: PrISMa bewertet die wirtschaftliche und technische Durchführbarkeit einer Kohlenstoffabscheidungsanlage.
- Lebenszyklus-Bewertungsebene: PrISMa bewertet die Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus der Anlage und gewährleistet so umfassende Nachhaltigkeit.
Die vier Ebenen der PrISMa-Plattform. Bildnachweis: Charalambous et al. 2024. DOI: 10.1038/s41586-024-07683-8
Prüfung von PrISMa anhand von Fallstudien
Die Forschenden nutzten PrISMa, um über sechzig reale Fallstudien zu vergleichen, in denen CO2 aus verschiedenen Quellen in fünf Weltregionen mit unterschiedlichen Technologien abgeschieden wird. Durch die Berücksichtigung der Perspektiven verschiedener Interessengruppen half PrISMa, die wirksamsten und nachhaltigsten Lösungen zu ermitteln.
«Eines der einzigartigen Merkmale der PrISMa-Plattform ist die Fähigkeit, die Leistung neuer Materialien mithilfe fortschrittlicher Simulationen und maschinellen Lernens vorherzusagen», sagt Berend Smit. «Dieser innovative Ansatz beschleunigt die Entdeckung leistungsfähiger Materialien für die Kohlenstoffabscheidung und übertrifft die herkömmlichen Trial-and-Error-Methoden.»
Molekulare Simulationen
Die Plattform integriert die Dichtefunktionaltheorie (DFT) und die Molekularsimulation zur Vorhersage von Materialeigenschaften, die für die Prozessgestaltung benötigt werden. Das Team testete diesen Ansatz an einer CO2-Abscheidungsanlage und untersuchte die indirekten Emissionen während des 30-jährigen Betriebs der Anlage.
«Es ist uns gelungen, die Bewegung von Elektronen auf der DFT-Ebene zu verknüpfen, um die Gesamtmenge an CO₂ zu berechnen, die während der 30-jährigen Lebensdauer einer Abscheidungsanlage abgeschieden wird, und zu welchen Kosten», sagt Berend Smit.
Die Sichtweise der Beteiligten
PrISMa liefert wertvolle Erkenntnisse für verschiedene Interessengruppen, indem es Ingenieuren die Werkzeuge für die Entwicklung der effizientesten und kostengünstigsten Verfahren zur Kohlenstoffabscheidung an die Hand gibt und Chemikern Hinweise auf die molekularen Eigenschaften gibt, die die Leistungsfähigkeit von Materialien verbessern.
Umweltmanager erhalten Zugang zu umfassenden Bewertungen der Umweltauswirkungen, die eine fundiertere Entscheidungsfindung ermöglichen, während Investoren von detaillierten wirtschaftlichen Analysen profitieren, die die Risiken und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Investitionen in neue Technologien verringern.
Die Entdeckung neuer Materialien
PrISMa kann die Entdeckung leistungsfähiger Materialien für die Kohlenstoffabscheidung beschleunigen und übertrifft damit herkömmliche Trial-and-Error-Methoden. Mit den interaktiven Werkzeugen können die Nutzer über 1200 Materialien untersuchen und die Kompromisse zwischen Kosten, Umweltauswirkungen und technischer Leistung verstehen.
Dieser umfassende Ansatz stellt sicher, dass die gewählten Lösungen CO₂ effizient abscheiden und gleichzeitig die Umweltauswirkungen insgesamt minimieren.
Eine Möglichkeit, wie Smit sich den Einsatz von PrISMa vorstellt, ist die Entdeckung von metallorganischen Gerüsten (MOFs), porösen Materialien mit einer breiten Palette von Anwendungen, einschließlich der Kohlenstoffabscheidung: «Die Idee ist, dass Chemiefachleute die Kristallstrukturen ihrer MOFs hochladen können und die Plattform diese Materialien für alle Arten von Abscheidungsprozessen einstuft», sagt er. «So können selbst Chemikerinnen, die keine detaillierten Kenntnisse über Technologien zur Kohlenstoffabscheidung haben, Feedback darüber erhalten, welches MOF am besten funktioniert und warum.»
PrISMa kann die Entwicklung von Technologien zur Kohlendioxidabscheidung beschleunigen und dazu beitragen, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, indem es alle relevanten Interessengruppen frühzeitig in den Forschungsprozess einbindet. Durch die umfassende Bewertung von Materialien und Prozessen ermöglicht PrISMa eine fundiertere Entscheidungsfindung, die zur Entwicklung effektiverer und nachhaltigerer Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung führt.