Die Rolle der Lernfähigkeit bei der Hirnstimulation

Eine Studie der EPFL zeigt, dass die Wirksamkeit der Hirnstimulation auf die motorischen Fähigkeiten von der individuellen Lernfähigkeit und nicht vom Alter abhängt, was die Notwendigkeit eines individuelleren Ansatzes in der Neurorehabilitation unterstreicht.
©EPFL/iStock photos (Jolygon)

Mit zunehmendem Alter verschlechtern sich unsere kognitiven und motorischen Funktionen, was wiederum unsere Unabhängigkeit und Lebensqualität insgesamt beeinträchtigt. Die Forschung, die darauf abzielt, diesen Zustand zu verbessern oder sogar ganz zu beseitigen, hat vielversprechende Technologien hervorgebracht.

Dazu gehört die nicht-invasive Hirnstimulation: ein Begriff, der eine Reihe von Techniken umfasst, mit denen die Hirnfunktionen von aussen und nicht-invasiv beeinflusst werden können, ohne dass eine Operation oder Implantate erforderlich sind. Eine dieser vielversprechenden Techniken ist die anodale transkranielle Gleichstromstimulation (atDCS), bei der ein konstanter, niedriger elektrischer Strom über Elektroden auf der Kopfhaut abgegeben wird, um die neuronale Aktivität zu modulieren.

Studien zur atDCS haben jedoch uneinheitliche Ergebnisse erbracht, was die Forschenden dazu veranlasst hat, zu untersuchen, warum manche Menschen von der atDCS profitieren und andere nicht. Das Problem scheint in unserem Verständnis der Faktoren zu liegen, die die Empfänglichkeit für die Hirnstimulation beeinflussen und dazu führen, dass Menschen auf die Stimulation ansprechen oder nicht; zu diesen Faktoren gehört auch das Alter.

Einige Studien deuten darauf hin, dass weitere Faktoren, wie z. B. Ausgangsverhaltensfähigkeiten und vorheriges Training, eine wichtige Rolle spielen könnten, aber das Zusammenspiel dieser Faktoren mit dem Verhalten wurde noch nicht im Detail bestimmt, was darauf hindeutet, dass verfeinerte Vorhersagemodelle für die Auswirkungen der atDCS erforderlich sind.

Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung von Friedhelm Hummel an der EPFL einen wichtigen Faktor identifiziert, der die Empfänglichkeit einer Person für atDCS beeinflusst. Das Team untersuchte, wie die angeborenen Lernfähigkeiten die Wirkung der Hirnstimulation beim Erlernen einer motorischen Aufgabe bestimmen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass Personen mit weniger effizienten Lernmechanismen mehr von der Stimulation profitieren, während Personen mit optimalen Lernstrategien negative Auswirkungen erfahren könnten.

«In Zukunft könnten Klinikfachleute eine fortgeschrittenere Version unseres Algorithmus anwenden, um festzustellen, ob ein Patient von einer auf Hirnstimulation basierenden Therapie profitieren wird, um die Wirkung der Neurorehabilitation zu verbessern und die Behandlung zu personalisieren.»      Friedhelm Hummel, EPFL

Die Forschenden rekrutierten 40 Teilnehmende: 20 Erwachsene mittleren Alters (50-65 Jahre) und 20 ältere Erwachsene (über 65). Jede Gruppe wurde weiter unterteilt in diejenigen, die eine aktive atDCS erhielten, und diejenigen, die eine Placebo-Stimulation erhielten.

Zehn Tage lang übten die Teilnehmenden zu Hause eine Fingertipp-Aufgabe, mit der das Erlernen motorischer Abläufe untersucht werden sollte, während sie atDCS erhielten. Die Aufgabe bestand darin, eine numerische Sequenz mit einer Tastatur zu wiederholen und dabei so schnell und genau wie möglich zu sein.

Das Team verwendete dann ein Modell des maschinellen Lernens, das auf einem öffentlichen Datensatz trainiert wurde, um die Teilnehmenden auf der Grundlage ihrer anfänglichen Leistung als «optimale» oder «suboptimale» Lerner einzustufen. Dieses Modell sollte vorhersagen, wer von atDCS profitieren würde, und zwar auf der Grundlage seiner Fähigkeit, Informationen über die Aufgabe bereits während des Trainings effizient zu integrieren.

Die Studie ergab, dass suboptimale Lernende, die die Aufgabe in den frühen Phasen des Lernens scheinbar weniger effizient verinnerlicht hatten, eine beschleunigte Verbesserung der Genauigkeit bei der Ausführung der Aufgabe erfuhren, wenn sie atDCS erhielten. Dieser Effekt beschränkte sich nicht nur auf Personen eines bestimmten Alters (z. B. ältere Erwachsene), sondern auch auf jüngere Personen, die suboptimal lernten.

Im Gegensatz dazu zeigten Teilnehmende mit optimalen Lernstrategien, unabhängig vom Alter, sogar einen negativen Trend in der Leistung, wenn sie atDCS erhielten. Dieser Unterschied deutet darauf hin, dass die Hirnstimulation für Personen, die anfänglich Schwierigkeiten mit motorischen Aufgaben haben, von grösserem Nutzen ist. Die atDCS scheint also eher eine wiederherstellende als eine verbessernde Wirkung zu haben, was wichtige Auswirkungen auf die Rehabilitation hat.

«Durch den Einsatz verschiedener Methoden des maschinellen Lernens waren wir in der Lage, den Einfluss verschiedener Faktoren auf die individuellen Auswirkungen der Hirnstimulation zu entschlüsseln», sagt Pablo Maceira, der Erstautor der Studie, «Dies wird den Weg ebnen, um die Auswirkungen der Hirnstimulation bei einzelnen Probanden und Patienten zu maximieren.»

Die Studie deutet darauf hin, dass auf lange Sicht personalisierte Hirnstimulationsprotokolle entwickelt werden, um den Nutzen auf der Grundlage der spezifischen Bedürfnisse eines Individuums zu maximieren, und nicht auf der Grundlage eines allgemeinen Merkmals wie dem Alter. Dieser Ansatz könnte zu wirksameren, auf Hirnstimulation basierenden Interventionen führen, die auf spezifische Mechanismen zur Unterstützung des Lernens abzielen, insbesondere im Hinblick auf die Neurorehabilitation, deren wichtigste Grundlage das Wiedererlernen von Fähigkeiten ist, die aufgrund einer Hirnläsion (z. B. nach einem Schlaganfall oder einer traumatischen Hirnverletzung) verloren gegangen sind.

«In Zukunft könnten Klinikfachleute eine fortgeschrittenere Version unseres Algorithmus anwenden, um festzustellen, ob ein Patient von einer auf Hirnstimulation basierenden Therapie profitieren wird, um die Wirkung der Neurorehabilitation zu verbessern und die Behandlung zu personalisieren», sagt Hummel.

Weitere Informationen

Finanzierung

  • Defitech-Stiftung
  • Bertarelli-Stiftung
  • Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF)

Weitere Mitwirkende

  • Universität Genf
  • Hochschule für Technik und Architektur Westschweiz (HES-SO)
  • NIH Nationales Institut für neurologische Störungen und Schlaganfall

Referenzen

Maceira-Elvira, P., Popa, T., Schmid, A. C., Cadic-Melchior, A., Müller, H., Schaer, R., Cohen, L. G., & Hummel, F. C. (2024), Native learning ability and not age determines the effects of brain stimulation, npj Science of Learning 27 November 2024