Künstliche Intelligenz und Big Data zum Schutz von Wildtieren
Der Bereich der Tierökologie ist im Zeitalter von Big Data und dem Internet der Dinge angekommen. Dank ausgeklügelter Technologien wie Satelliten, Drohnen und terrestrischen Geräten wie automatischen Kameras und Sensoren, die an Tieren oder in ihrer Umgebung angebracht werden, werden jetzt beispiellose Datenmengen über Wildtierpopulationen gesammelt. Diese Daten sind inzwischen so einfach zu erfassen und weiterzugeben, dass sie die Entfernungen und den Zeitaufwand für Forschende verkürzen und gleichzeitig die störende Anwesenheit von Menschen in natürlichen Lebensräumen minimieren. Heute gibt es eine Vielzahl von KI-Programmen zur Analyse grosser Datenmengen, doch sind diese oft allgemeiner Natur und für die genaue Beobachtung des Verhaltens und des Aussehens von Wildtieren schlecht geeignet. Ein Team von Wissenscahftlerinnen und Wissenschaftlern der EPFL und anderer Universitäten hat einen bahnbrechenden Ansatz entwickelt, um dieses Problem zu lösen und genauere Modelle zu entwickeln, indem sie Fortschritte im Bereich der Computer Vision mit dem Fachwissen von Ökologen kombinieren. Ihre Ergebnisse, die heute in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, eröffnen neue Perspektiven für den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Erhaltung von Wildtierarten.
Aufbau von interdisziplinärem Know-how
Die Erforschung von Wildtieren hat sich von einer lokalen zu einer globalen Angelegenheit entwickelt. Die moderne Technologie bietet jetzt revolutionäre neue Möglichkeiten, um genauere Schätzungen von Wildtierpopulationen zu erstellen, das Verhalten von Tieren besser zu verstehen, die Wilderei zu bekämpfen und den Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten. Ökologen können mit Hilfe der künstlichen Intelligenz, insbesondere der Computer Vision, wichtige Merkmale aus Bildern, Videos und anderen visuellen Daten extrahieren, um Wildtierarten schnell zu klassifizieren, einzelne Tiere zu zählen und bestimmte Informationen aus grossen Datensätzen zu gewinnen. Die allgemeinen Programme, die derzeit zur Verarbeitung solcher Daten verwendet werden, funktionieren oft wie Blackboxes und nutzen nicht das gesamte vorhandene Wissen über die Tierwelt. Darüber hinaus lassen sie sich nur schwer anpassen, leiden manchmal unter mangelhafter Qualitätskontrolle und sind potenziell mit ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Verwendung sensibler Daten konfrontiert. Wenn beispielsweise alle Daten, die zum Trainieren eines bestimmten Programms verwendet werden, in Europa gesammelt wurden, eignet sich das Programm möglicherweise nicht für andere Regionen der Welt.
«Wir wollten mehr Forschende für dieses Thema interessieren und ihre Anstrengungen bündeln, um in diesem aufstrebenden Bereich voranzukommen. KI kann als wichtiger Katalysator für die Erforschung der Tierwelt und den Umweltschutz im Allgemeinen dienen», sagt Prof. Devis Tuia, Leiter des Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory der EPFL und Hauptautor der Studie. Wenn Informatikfachleute die Fehlertoleranz eines KI-Programms verringern wollen, das darauf trainiert wurde, eine bestimmte Art zu erkennen, müssen sie beispielsweise auf das Wissen von Tierökologen zurückgreifen können. Diese Fachleute können angeben, welche Merkmale in das Programm einfliessen sollen, z. B. ob eine Art in einem bestimmten Breitengrad überleben kann, ob sie für das Überleben einer anderen Art entscheidend ist (z. B. durch eine Räuber-Beute-Beziehung) oder ob sich die Physiologie der Art im Laufe ihres Lebens verändert. «Neue Algorithmen des maschinellen Lernens können zum Beispiel dazu verwendet werden, ein Tier automatisch zu identifizieren, etwa anhand des einzigartigen Streifenmusters eines Zebras, oder in Videos kann die Bewegungsdynamik ein Hinweis auf die Identität sein», sagt Prof. Mackenzie Mathis, Leiterin des Bertarelli-Stiftungslehrstuhls für Integrative Neurowissenschaften an der EPFL und Mitautor der Studie. «Hier ist die Verschmelzung von Ökologie und maschinellem Lernen der Schlüssel: Feldbiologinnen verfügen über ein immenses Fachwissen über das untersuchte Tier, und unsere Aufgabe als Forschende im Bereich des maschinellen Lernens ist es, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um Werkzeuge zu entwickeln, die eine Lösung finden.»
Bekanntmachung der bestehenden Initiativen
Die Idee, eine engere Verbindung zwischen Computer Vision und Ökologie herzustellen, kam auf, als Tuia, Mathis und andere in den letzten zwei Jahren auf verschiedenen Konferenzen ihre Forschungsaufgaben diskutierten. Sie erkannten, dass eine solche Zusammenarbeit äusserst nützlich sein könnte, um das Aussterben bestimmter Wildtierarten zu verhindern. Eine Handvoll Initiativen wurde bereits in diese Richtung gestartet; einige davon sind in dem Artikel in Nature Communications aufgeführt. So haben Tuia und sein Team an der EPFL ein Programm entwickelt, das Tierarten anhand von Drohnenbildern erkennen kann. Es wurde kürzlich an einer Robbenpopulation getestet. In der Zwischenzeit haben Mathis und ihre Kollegen ein Open-Source-Softwarepaket namens DeepLabCut vorgestellt, mit dem Wissenschaftlerinnen die Haltung von Tieren mit bemerkenswerter Genauigkeit schätzen und verfolgen können. Es wurde bereits 300 000 Mal heruntergeladen. DeepLabCut wurde für Labortiere entwickelt, kann aber auch für andere Tierarten verwendet werden. Forschende an anderen Universitäten haben ebenfalls Programme entwickelt, aber es ist schwierig für sie, ihre Entdeckungen mit anderen zu teilen, da sich in diesem Bereich noch keine wirkliche Gemeinschaft gebildet hat. Andere Forschende wissen oft nicht, dass es diese Programme gibt oder welches Programm für ihre spezielle Forschung am besten geeignet ist.
Erste Schritte in Richtung einer solchen Gemeinschaft wurden jedoch in verschiedenen Online-Foren unternommen. Der Artikel in Nature Communications zielt jedoch auf ein breiteres Publikum ab, das sich aus Forschenden aus der ganzen Welt zusammensetzt: «Eine Gemeinschaft nimmt immer mehr Gestalt an», sagt Tuia, «bisher haben wir ein erstes Netzwerk durch Mundpropaganda aufgebaut. Wir begannen vor zwei Jahren mit den Leuten, die jetzt die anderen Hauptautoren des Artikels sind: Benjamin Kellenberger, ebenfalls an der EPFL, Sara Beery am Caltech in den USA und Blair Costelloe am Max-Planck-Institut in Deutschland.»