Krebsbekämpfung mit geringeren Nebenwirkungen
Tumorzellen unterwandern häufig normale physiologische Prozesse, um ihr Wachstum zu fördern, indem sie Proteine ausnutzen, die für wesentliche Zellfunktionen zuständig sind. Daher ist es wichtig, die Aktivität dieser Proteine nur in den Krebszellen zu blockieren, ohne ihre entscheidende Rolle in gesunden Geweben zu beeinträchtigen. Aus diesem Grund können die klassischen Ansätze mit kleinen Molekülen, die eine systemische Hemmung in allen Zellen des Körpers bewirken, zu schweren Nebenwirkungen führen.
Ein Beispiel für essenzielle Proteine, die von Krebszellen gekapert wurden, sind die Cathepsine, eine Enzymfamilie, die für den Abbau anderer Proteine und den Umbau des Körpergewebes verantwortlich ist. Kathepsine sind an verschiedenen Krebsarten, Osteoporose und Autoimmunkrankheiten beteiligt. Klinische Versuche mit niedermolekularen Cathepsin-Inhibitoren scheiterten jedoch entweder an mangelnder Wirksamkeit oder an der Toxizität.
Nun hat ein Team von Forschenden unter der Leitung von Elisa Oricchio und Bruno Correia an der EPFL einen neuen Ansatz entwickelt, um diese Einschränkungen zu überwinden. Sie haben eine modulare Arzneimittelplattform entwickelt, die nicht-natürliche Peptidinhibitoren (NNPIs) mit Antikörpern konjugiert und so Antikörper-Peptid-Inhibitor-Konjugate (APICs) bildet. Diese Methode stellt sicher, dass die Inhibitoren spezifisch an die Krebszellen abgegeben werden, wodurch systemische Nebenwirkungen verringert und die therapeutische Wirksamkeit erhöht werden.
Die Forschenden begannen mit der Entwicklung von NNPIs, die kovalent an Cathepsine binden und diese hemmen. Sie modifizierten die Peptidsequenzen so, dass sie einen Michael-Akzeptor enthielten, eine chemische Komponente, die die Bildung einer stabilen Bindung mit Cathepsinen erleichtert.
Der Michael-Akzeptor reagiert mit dem Cysteinrest im aktiven Zentrum des Cathepsins (dem Teil des Enzyms, der für seine Hauptaufgabe verantwortlich ist) und bildet eine stabile, kovalente Bindung, die das Cathepsin wirksam hemmt. Um die Spezifität und Wirksamkeit der Peptide weiter zu optimieren, setzte das Team ein Sättigungsmutagenese-Screening ein – eine Methode, bei der systematisch jede Aminosäure in einem Protein verändert wird, um die besten Varianten mit den gewünschten Eigenschaften zu finden.
Die Forschenden identifizierten mehrere starke Inhibitoren gegen vier verschiedene Cathepsine, nämlich Cathepsin S, B, K und L. Indem sie diese Inhibitoren an Antikörper banden, die CD22, CD79, HER2 und Siglec15 erkennen, konnten die Forschenden die NNPIs präzise an Lymphomzellen, Brustkrebszellen und Osteoklasten abgeben. Auf diese Weise wird die natürliche Fähigkeit von Antikörpern genutzt, von den Zielzellen internalisiert zu werden und die Inhibitoren genau dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden.
Nicht-natürlicher Peptidinhibitor im Komplex mit Cathepsin S. Bildrechte: Aaron Petruzzella (EPFL)
Dann war es an der Zeit, die APICs zu testen: Sowohl in Zelllinien als auch in Tiermodellen zeigten sie signifikante therapeutische Wirkungen. In Lymphom-Modellen beispielsweise führte die Behandlung mit APICs, die auf Cathepsin S abzielen, zu einer Verkleinerung des Tumors und zur Aktivierung der Immunantwort gegen Krebszellen. In Brustkrebsmodellen verhinderten APICs, die auf Cathepsin B abzielen, die Invasivität des Tumors und die Zellmigration, was das Potenzial von APICs zur Verhinderung der Metastasierung unterstreicht.
Indem die Inhibitoren spezifisch an die Krebszellen abgegeben werden, kann der APIC-Ansatz Nebenwirkungen vermeiden oder minimieren, die üblicherweise mit anderen Behandlungen, z. B. Chemotherapien, verbunden sind. Der modulare Charakter des APIC-Konzepts bedeutet ausserdem, dass es an verschiedene Proteasen angepasst werden kann, die bei unterschiedlichen Krankheiten eine Rolle spielen, was die Behandlungslandschaft für andere Krankheiten als Krebs revolutionieren könnte.
Das APIC-Projekt geht nun über das Labor hinaus und unternimmt erste Schritte in Richtung klinische Realität: «Wir haben auf der Grundlage dieses Projekts zwei Patentanträge eingereicht», sagt Elisa Oricchio, «Aaron Petruzzella, der Doktorand, der das Projekt leitete, erhielt kürzlich die Unterstützung des SNF-Bridge Proof of Concept-Stipendiums, um die Arbeit an diesen Inhibitoren fortzusetzen, die Grundlagen für ein Start-up aufzubauen und die Aufmerksamkeit potenzieller Investoren zu erregen.»