Wie die Schweiz bis 2050 energieunabhängig werden könnte
Ein CO2-neutrales und unabhängiges Schweizer Energiesystem im Jahr 2050 ist theoretisch möglich, wenn man die derzeit ungenutzten lokalen erneuerbaren Energiequellen nutzt. Dieses System wäre sogar billiger als das Energiesystem des Landes im Jahr 2020, das mit denselben Annahmen modelliert wurde, wobei die Kosten um bis zu 30–32 % gesenkt werden könnten. Dies sind die Ergebnisse einer umfassenden Studie unter der Leitung der EPFL und der HES-SO Wallis, die den Weg für einen verstärkten Plan für mehr inländische Investitionen in saubere Energie ebnen könnten.
Obwohl theoretisch möglich, ist die völlige Unabhängigkeit des Schweizer Energiesystems kein Ziel an sich. Die Vorgabe, bis 2050 CO2-neutral zu sein, steht jedoch im Einklang mit dem Text des Bundesgesetzes über die Klimaschutzziele (das im Juni 2023 zur Abstimmung kommt).
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschlossen dennoch, ihr Modell, das Multi-Energie- und Multi-Sektor-Modellierungssystem EnergyScope, zu verwenden, um die Schweiz in einen völlig energieunabhängigen Zustand zu versetzen, um die Versorgungssicherheit theoretisch zu gewährleisten und später die Auswirkungen der Importe und Exporte zu berechnen. Das Modell generiert kostenoptimale Investitionsoptionen, die die Anforderungen der Schweizer Gesellschaft, definiert als Haushalte, Verkehr und Industrie, erfüllen und sich auf die Rolle der bestehenden oder verstärkten Infrastruktur konzentrieren.
Die Forschenden der Gruppe Industrial Process and Energy Systems Engineering (IPESE) der EPFL School of Engineering unter der Leitung von François Maréchal kamen zu dem Schluss, dass die Schweiz die Erzeugung von Strom aus Photovoltaik (PV) und Windkraft steigern sollte, um die oben genannten Ziele zu erreichen, und dass ein wirtschaftliches Optimum erreicht werden könnte, wenn 60 % der Dachflächen der Schweiz mit PV-Anlagen bedeckt wären.
«Die Schweiz hat noch ein weitgehend ungenutztes PV-Potenzial auf bereits bebauten Flächen. Ein wirtschaftliches Optimum könnte erreicht werden, wenn weniger als zwei von drei Dächern gedeckt sind. Der nächste Schritt besteht darin, herauszufinden, welche Dächer am besten geeignet sind», erklärt Jonas Schnidrig, Doktorand der EPFL und der HES-SO Wallis und Erstautor der kürzlich in der Zeitschrift Frontiers in energy research veröffentlichten Studie.
Da die Sonne im Sommer intensiver scheint, der Wind aber im Winter stärker weht, muss das richtige Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und saisonaler Speicherung gefunden werden, um den Schweizer Energiebedarf jederzeit zu decken, insbesondere im Winter. Die Studie legt nahe, dass die im Sommer dominierende Solarstromproduktion durch den Einsatz von Windkraftanlagen, die hauptsächlich im Winter produzieren, zusammen mit Wasserkraft und Biomasse optimal ausgeglichen werden könnte. Sie zeigen auch, dass es viele gleichwertige Lösungen gibt, und sie bewerten deren Empfindlichkeit gegenüber Kostenunsicherheiten. Die Modelle zeigen die Interdependenz der Optionen und die Auswirkungen der technologischen Entscheidungen auf andere Investitionen und die Infrastruktur auf.
Die Forschenden kommen zu folgendem Schluss «Der Hauptunterschied liegt in der Art der Kosten: Das derzeitige Schweizer Energiesystem basiert hauptsächlich auf (billigen) Importen und nicht auf Investitionen. Die Verbraucherin oder der Verbraucher zahlt also und ist darauf angewiesen, Ressourcen und Technologien zu nutzen, die tatsächlich ausserhalb der Schweiz investiert und betrieben werden», erklärt François Maréchal. «Im Gegensatz dazu basiert das von uns modellierte zukünftige System auf lokalen Investitionen und der Nutzung unserer eigenen Ressourcen und scheint langfristig die wirtschaftlichste und widerstandsfähigste Wahl zu sein.»