Service public im digitalen Zeitalter schützen
Die Nutzenden traditioneller physischer öffentlicher Dienstleistungen werden nun zu Kundinnen und Kunden digitaler Plattformen. Diese Plattformen dienen in vielen Fällen als Vermittlerinnen zwischen Dienstleistern und Endnutzern und verändern so den klassischen Charakter öffentlicher Angebote, die auf physischen Dienstleistungen basieren. Auch wenn die Plattformisierung einiger Dienste diese effizienter machen könnte, kann der Verlust des direkten Kontakts mit den Nutzerinnen und Nutzern und ihren Daten Auswirkungen auf die Qualität der physischen Dienstleistung haben. Eine übermässige Digitalisierung kann auch erhebliche Herausforderungen für die öffentliche Politik mit sich bringen, da private Plattformanbieter möglicherweise kommerziellen Interessen Vorrang vor dem Allgemeinwohl einräumen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, haben der emeritierte EPFL-Professor Matthias Finger, dessen Forschung sich auf Bereiche wie die Steuerung grosser soziotechnischer Systeme und Infrastrukturpolitik konzentriert, und Melanie Kolbe-Guyot, Leiterin der Abteilung für digitale Politik beim C4DT, kürzlich in einem Strategiepapier des EPFL Center for Digital Trust (C4DT) eine tiefgreifende Analyse und eine Liste von Empfehlungen zur Gewährleistung der Qualität des öffentlichen Dienstes veröffentlicht.
Robert Finger ist der Meinung, dass traditionell staatlich geführte Sektoren wie Transport, Kommunikation, Energie, Bildung und öffentliche Medien am stärksten von der Plattformisierung betroffen sind: «Plattformen haben es leichter, in Branchen einzudringen, die stärker fragmentiert sind.»
Datenschutz
Eine grosse Herausforderung stellen die von diesen Plattformen gesammelten Daten dar. Wenn private Plattformanbieter alle Daten erhalten, können sie de facto zu denjenigen werden, die den Dienst selbst definieren. Robert Finger fügt hinzu: «Darüber hinaus wissen Sie nicht, was die Plattformanbieter mit Ihren Daten machen. Sie können sie auch ausserhalb der schweizerischen oder europäischen Gerichtsbarkeit verwenden.»
Eine weitere Befürchtung von Finger ist, dass das Eindringen von Plattformen in den öffentlichen Dienst zu einer Preiserhöhung oder einer Verschlechterung der Servicequalität führen könnte: «Infrastrukturen sind gut, weil der Staat viel Geld in sie investiert hat. Wenn ein privates Unternehmen den Infrastrukturdienst vermittelt, nimmt es eine Marge ein. Um den Service so gut zu halten, wie er vor der Einführung der Plattform war, muss der Staat also mehr bezahlen oder er wird irgendwann gezwungen sein, die Qualität zu verringern», so Prof. Finger.
Um die hohen Qualitätsstandards des Service public aufrechtzuerhalten, müssen die Schweizer Behörden nach Ansicht der Autorin und des Autoren präzise Strategien festlegen, um etwaige nachteilige Auswirkungen digitaler Plattformen auf Bereiche wie Fairness, Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit sowie den kontinuierlichen Betrieb der traditionellen physischen Dienstleistungserbringung abzumildern. Wie diese Massnahmen jedoch umgesetzt werden müssen und wie die Schweizer Regierung diese Herausforderungen angehen muss, ist noch offen. Aufgrund des dezentralen Charakters der Schweiz ist eine starke Beteiligung der kantonalen und föderalen Verwaltungen erforderlich, um eine gemeinsame Strategie zu definieren, die die Aufrechterhaltung eines hochwertigen öffentlichen Dienstes gewährleistet.
Finger und Kolbe-Guyot betonen auch, wie wichtig es ist, auf Bundesebene eine einzige Organisationseinheit zu schaffen, die für die Politik und die Vorschriften der Digitalisierung verantwortlich ist und den öffentlichen Dienst als integralen Bestandteil davon einbezieht. Dies ist unerlässlich, um mit der rasanten Entwicklung in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern Schritt zu halten: «Mein Ansatz ist sehr pragmatisch. Wenn wir die Qualität des öffentlichen Dienstes aufrechterhalten wollen, müssen wir bestimmte Dinge mit den Anbietern plattformbasierter Dienste tun, wie zum Beispiel einen rechtlichen Rahmen festlegen, in dem die Anbieter die Daten der Nutzerinnen und Nutzer teilen müssen. Das ist rechtlich nicht unmöglich, aber es erfordert politischen Willen», so Finger abschliessend.
Die in dem Strategiepapier veröffentlichte Liste der Empfehlungen umfasst folgende Punkte:
- Private Plattformbetreiber dazu verpflichten, die Daten der Nutzenden mit öffentlichen Dienstleistern zu teilen
- Aushandlung einer fairen Gewinnbeteiligung zwischen Unternehmen und Verwaltung als Beitrag zur Finanzierung der Infrastrukturen, die den Dienst ermöglichen
- Gewährleistung der Zugänglichkeit und Kontinuität des öffentlichen Dienstes, sowohl physisch als auch digital
- Durchsetzung von Preistransparenz und fairer Preisgestaltung
- Sicherstellung der Gleichbehandlung der Bürgerinnen und Bürger durch einen geeigneten Rechtsrahmen
- Sondierung «staatlich begünstigter» privater Plattformen oder staatlicher Alternativen
- Untersuchung von Datenräumen in strategischen Schlüsselsektoren