Schnelle PCR-Tests per Knopfdruck
Als sich Michele Gregorini vor fünf Jahren für eine Doktorarbeit bewirbt, befindet er sich im gleichen Büro wie für dieses Interview. Gegenüber von ihm sitzt Wendelin Stark, Professor im Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Dieser schlägt vor, dass der Maschinenbauingenieur ein PCR-Gerät entwickelt, das schneller und simpler als herkömmliche Modelle funktioniert.
Der 26-jährige Mailänder erinnert sich nur zu gut ans Vorstellungsgespräch. «Damals habe ich noch nicht einmal gewusst, für was die Abkürzung PCR steht, geschweige denn, wie diese Methode funktioniert», sagt Gregorini und lacht. Anfang 2016 ist er gerade aus Australien zurückgekehrt, wo er im Anschluss ans ETH-Studium ein Jahr lang bei einem Solarenergie-Startup mitgearbeitet hat.
Jetzt ist Gregorini selbst CEO einer jungen Firma, das PCR-Gerät aus seiner Doktorarbeit ist deren Aushängeschild. Gemeinsam mit Philippe Bechtold – einem Chemieingenieur, der ebenfalls in der Forschungsgruppe von Stark doktoriert und nun kurz vor dem Abschluss steht – hat er vor bald einem Jahr das ETH-Startup Diaxxo gegründet.
Die Jungunternehmer beabsichtigen aber nicht bloss, ein neues Medizingerät auf den Markt zu bringen. Vielmehr wollen sie die Art und Weise, wie PCR-Tests in der Medizin eingesetzt werden, grundlegend verändern.
Ein Test kostet wenige Franken
PCR-Tests sind der Goldstandard bei der Diagnose von Infektionskrankheiten, und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Einfache Erkältung, Grippe oder gar eine Lungenentzündung: Um bei einer Atemwegsinfektion die genaue Art des Erregers zu bestimmen, macht die Ärztin oder der Arzt einen Rachenabstrich und schickt die Patientenprobe zur Analyse an ein medizinisches Labor. Die Resultate treffen meist erst mehrere Tage später ein.
Geht es nach Gregorini und Bechtold, soll dieser Ablauf in Zukunft einfacher und vor allem schneller werden. Ihre Vision: Das Gesundheitspersonal führt die PCR-Tests direkt in der Praxis durch – in weniger als 30 Minuten. Patientinnen und Patienten könnten so schon beim ersten Besuch von einer optimalen Behandlung profitieren.
«Das spart nicht nur Zeit, sondern vor allem Geld», so Gregorini. Ein Test soll nur wenige Franken kosten. In Entwicklungsländern, wo das Geld für Laboranalytik oftmals fehlt, würden PCR-Tests so erst zugänglich gemacht, fügt Bechtold hinzu.
Testkartusche gleicht einem Kaffeepad
Seit fast fünf Jahren arbeiten die Startup-Gründer nun an ihrem PCR-Gerät. Den ersten Prototyp haben sie von A bis Z selbst entwickelt: Gehäuse, Elektronik, Software und auch die auswechselbare Testkartusche, also das Gefäss, in dem die biochemische Reaktion stattfindet. Diese gleicht in Form und Grösse einem Kaffeepad und ist die wichtigste Innovation des Gerätes.
Statt die Reagenzien für den PCR-Test wie gewohnt in einem Plastikröhrchen zu vermischen, wird bei der neuen Methode lediglich ein Tröpfchen der Patientenprobe in eine der Mulden auf der Aluminium-Kartusche gegeben. Der Clou: Weil Metall Wärme viel besser leitet als Plastik, kann das Gerät die Reagenzien entsprechend schneller aufheizen und abkühlen.
Um das Erbgut des Krankheitserregers zu vervielfältigen, sind nämlich mehrere sich zyklisch wiederholende Reaktionsschritte nötig, die bei unterschiedlichen Temperaturen – von 55 bis 95 Grad Celsius – ablaufen. Im neuen Gerät dauert ein Zyklus gerade mal knapp 20 Sekunden statt wie gewöhnlich zweieinhalb Minuten. Die Gesamtdauer für einen PCR-Test mit 45 Zyklen reduziert sich damit von über zwei Stunden auf knapp 20 Minuten – ähnlich einem Antigen-Test.
Ausserdem ist es mit dem neuen Gerät nicht nötig, verschiedene PCR-Reagenzien aufwendig dazu pipettieren. Die Reagenzien sind in den Mulden bereits vorhanden – in gefriergetrockneter Form. Dass sich Testkits für verschiedene Erreger so bis zu sechs Monate bei Raumtemperatur aufbewahren lassen, ist ein praktischer Nebeneffekt.
Pandemie gibt Projekt Schub
Bis dieser Ansatz zuverlässig funktioniert hat, mussten Gregorini und Bechtold jedoch einige Herausforderungen überwinden. Lange getüftelt hat Bechtold an einem Verfahren, das die Reagenzien so trocknet, sodass sie sich später wieder gut mit der Probe vermischen lassen. «Das war eine besonders komplizierte Aufgabe», so der 26-jährige Luxemburger. Denn: Gleichzeitig müssen die Reagenzien gut in den Mulden haften, damit die Testkartuschen den Transport überstehen.
Der Wendepunkt kommt im Frühling 2020: die Corona-Pandemie. «Plötzlich wird aus dem Forschungsprojekt ein unglaublich gefragtes Medizinprodukt», so Gregorini. Noch bevor das Virus in der Schweiz richtig ankommt, beginnen die Ingenieure, eine Kartusche für den Nachweis von SARS-Cov-2 zu entwickeln – ihren ersten diagnostischen Test überhaupt.
Dann geht es Schlag auf Schlag. Den ersten Förderbeitrag erhalten die beiden Forscher vom Progamm «Bridge» des Schweizerischen Nationalfonds, schnell kommen weitere Corona-Gelder hinzu. Im September werden die beiden ins ETH-Pioneer-Fellowship-Programm aufgenommen. Im Oktober 2020 gründen sie die Firma Diaxxo.
Von Entwicklern zu Managern
Heute beschäftigt Diaxxo bereits zwölf Mitarbeitende. Ein wachsendes Team aus Hardware- und Software-Spezialisten und -Spezialistinnen, Biotechnologen und Elektroingenieurinnen arbeitet nun daran, das PCR-Gerät weiter zu verbessern und marktreif zu machen.
Die beiden Firmengründer sind unterdessen nicht mehr primär Produktentwickler, sondern in die Rolle von Managern geschlüpft. Fragen der Mitarbeitenden beantworten, Präsentationen für potentielle Geldgeber vorbereiten, mit Projektpartnern hin und her mailen: Erst am frühen Abend, wenn die meisten schon im Feierabend sind, findet Gregorini Zeit, sich die Fortschritte in der Werkstatt an der ETH Zürich anzuschauen.
Feldstudie in Sansibar liefert wichtige Inputs
Die Liste der Interessenten am PCR-Gerät wird unterdessen länger und länger. Täglich treffen neue Anfragen ein. Sogar ein grosser Kreuzfahrtanbieter hat angeklopft. Solange das Gerät jedoch noch nicht als Medizinalprodukt zertifiziert ist, dürfen die Firmengründer nicht an Privatkunden verkaufen, sondern setzen auf Forschungskollaborationen. In gemeinsamen Projekten können sie die Praxistauglichkeit des Geräts verbessern.
Die bisher grösste Zusammenarbeit ist das ETH-Startup mit dem Schweizer Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) eingegangen. In einer Feldstudie auf Sansibar stehen derzeit Geräte von Diaxxo im Einsatz, um Schulkinder flächendeckend auf die parasitische Wurmerkrankung Schistosomiasis zu testen.
Für die Partner des Tropeninstituts ist das neue PCR-Gerät besonders interessant, weil sie damit die Tests direkt in den verschiedenen Schulen durchführen können, statt ein Laborzentrum aufzubauen und die Proben jedes Mal dorthin zu transportieren. Rund um die Uhr stehen Gregorini und Bechtold nun zur Verfügung, um die Forschenden beim Einsatz des Gerätes zu unterstützen. Von Softwareanpassungen über lokale Reparaturanleitungen war bereits viel Improvisation gefragt.
Gerade das dynamische Umfeld ist für Bechtold einer der grössten Pluspunkte seines Jobs. «Jeden Tag lernst du so viel.» Gleichzeitig sind sich die Firmengründer bewusst, dass die Lebenszeit von diaxxo wahrscheinlich begrenzt ist. «Die Produktpalette so weit auszubauen, dass sie rentiert, ist als ein kleines Unternehmen im Medizinproduktesektor eine grosse Herausforderung», erklärt Gregorini.
Ein mögliches Szenario wäre, dass Diaxxo in den nächsten Jahren von einem grösseren Unternehmen übernommen wird. Das gemeinsame Ziel der beiden Startup-Gründer bleibt jedoch vorerst Vollgas geben und schauen, wie weit sie es bringen.